{"id":2962,"date":"2022-04-24T09:00:44","date_gmt":"2022-04-24T07:00:44","guid":{"rendered":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/?p=2962"},"modified":"2022-04-23T14:26:27","modified_gmt":"2022-04-23T12:26:27","slug":"der-faktor-zeit-als-sprengstoff-im-menschlichen-miteinander","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/leichter-leben\/der-faktor-zeit-als-sprengstoff-im-menschlichen-miteinander\/","title":{"rendered":"Der Faktor Zeit als Sprengstoff im menschlichen Miteinander"},"content":{"rendered":"

Von Holger Hartwig*<\/em><\/p>\n

\u201eIm Moment nicht\u201c. \u201eDaf\u00fcr habe ich zurzeit nicht den Kopf frei\u201c. \u201eDamit kann ich mit aktuell nicht besch\u00e4ftigen, es ist so viel anders los\u201c. Kennen Sie diese S\u00e4tze bzw. weiterer Varianten von Menschen aus Ihrem pers\u00f6nlichen Umfeld? Sie k\u00f6nnen f\u00fcr mehrere Botschaften stehen: \u00fcberfordert sein, andere Priorit\u00e4ten setzen, emotional ausgebrannt sein usw.<\/p>\n

Vielen Menschen, die diese S\u00e4tze sagen, ist eine wichtige Unterscheidung nicht bewusst: Es ist sehr bedeutsam, darauf zu achten, in welchem Zusammenhang diese Botschaft \u201egesendet\u201c wird. Es macht einen riesengro\u00dfen Unterschied, ob es sich um eine Aufgabe oder um eine zwischenmenschliche Frage handelt.<\/p>\n

Warum? Aufgaben kann jeder aufschieben. Hier ist das Setzen von Priorit\u00e4ten sinnvoll, denn in der Tat kann ein Mensch nicht alles gleichzeitig erledigen. Der Tag hat nur maximal 16 kreative Stunden und der Mensch nur einen Kopf und zwei H\u00e4nde. Wer sich und seinen Alltag geregelt bekommen will, der muss zeitliche Aspekte einflie\u00dfen lassen. Dinge einmal zur\u00fcckzustellen und das dem Mitmenschen gegen\u00fcber deutlich zu benennen, ist sinnvoll und gut.<\/p>\n

Ganz anders ist es bei dem Thema \u201eIm Moment nicht\u201c und \u201eDaf\u00fcr habe ich nicht Kopf frei\u201c oder \u201eIch brauche Zeit f\u00fcr mich\u201c in Situationen des menschlichen Miteinanders. Denn anders, als bei dem Erledigen einer Sach-Aufgabe (z.B. das Bad kann auch n\u00e4chste Woche geputzt werden), sind hier Gedanken und Emotionen im Spiel. Die beteiligten Menschen, denen gesagt wird \u201eIm Moment nicht\u201c, nehmen die Botschaft zur Kenntnis \u2013 und dann rattert die \u201eR\u00fcbe\u201c. Als erstes kommen die Gedanken: Was bedeutet das? Wie meint der\/die das? Bin ich nicht mehr wichtig f\u00fcr ihn\/sie? Warum nimmt der\/die sich nicht einfach die Zeit?<\/p>\n

In Phase 2 geht das Gehirn des Empf\u00e4ngers der Botschaft noch einen Schritt weiter: Die Analyse der Situation beginnt. Gedanken kommen, Gedanken gehen. Emotionen kommen, Emotionen gehen. W\u00e4hrend der \u201eIm Moment nicht\u201c-Mensch sich mit den Themen, die er um sich hat, ablenkt und weiter durchs Leben geht, f\u00e4ngt der andere an, sich im Kreis zu drehen. Er sucht Antworten, warum er \u201eim Moment\u201c nicht zum Zuge kommt. Er kann dabei aber im Prinzip nur spekulieren, was \u201eSache\u201c ist, weil der andere Beteiligte ja \u201ekeine Zeit\u201c f\u00fcr einen Austausch hat. Es besteht die Gefahr einer Spirale, die nach und nach Gedanken, Sorgen, \u00c4ngste verfestigt, die m\u00f6glicherweise fernab der tats\u00e4chlichen Gr\u00fcnde sind. Vor allem bei Paaren kann diese \u201eSpirale\u201c der Gedanken anstelle des Dialogs Folgen haben, die nicht wieder einzufangen sind.<\/p>\n

Wenn es also um die Frage geht, ob sich ein Mensch einer Situation oder Aufgabe stellt oder zeitlich f\u00fcr sich verschiebt, dann ist es ganz wesentlich, darauf zu achten, ob es um eine Sache geht oder es einen anderen Menschen direkt betrifft. Wer \u201everschiebt\u201c, wenn andere damit zu tun haben, der darf einen Moment in sich hineinf\u00fchlen und sich fragen, wie es ihm wohl gehen w\u00fcrde, wenn er auf der \u201eIm Moment-Nicht\u201c-Zeitschiene selbst nicht zum Zuge kommen w\u00fcrde.<\/p>\n

F\u00fcr die, die gerne \u00fcber die Zeitschiene einem Dialog mit einem anderen Menschen ausweichen, kommt oft die gro\u00dfe \u00dcberraschung, wenn es dann mit Verz\u00f6gerung zum Gespr\u00e4ch kommt. Sie erfahren dann oftmals, dass der andere sich mit seinen Gedanken verselbst\u00e4ndigt hat, viel mehr empfunden und hineininterpretiert hat, als \u00fcberhaupt beabsichtigt war. Manchmal sind sie erschrocken, wie sehr dem anderen der fehlende Austausch zugesetzt und wieviel Kraft das Warten bis zur Kl\u00e4rung gekostet hat.<\/p>\n

Die Erkenntnis \u201eDas war so nicht gemeint\u201c, \u201eDas habe ich doch nicht gewusst, wie es Dir damit geht\u201c oder \u201eDas wollte ich nicht, dass es Dir so zu Herzen geht und du so sehr leidest\u201c kann dann deutlich zu sp\u00e4t kommen. Zu sp\u00e4t, weil bei dem anderen Menschen etwas kaputt gegangen ist \u2013 etwas, was nicht wieder \u201eganz\u201c gemacht werden kann. Und dann hat das mit dem \u201eIm Moment\u201c einen sehr hohen, oftmals viel zu hohen Preis.<\/p>\n

Jeder, der im Miteinander einen Dialog mit anderen \u2013 es gibt wirklich oft auch gute Gr\u00fcnde daf\u00fcr, das zu tun, weil wirklich viel um die Ohren oder einfach auch eigene Verunsicherung vorhanden ist – auf die lange Bank schiebt oder dem Gespr\u00e4ch mit der Begr\u00fcndung \u201eim Moment\u201c ausweicht, sollte sich des m\u00f6glichen Preises, dieses Sprengstoffes f\u00fcr alles, was doch immer so und damit so vertraut war, bewusst sein. Denn sonst kann das \u201eIm Moment nicht\u201c bzw. keine Aufmerksamkeit zu einem sehr langen zeitlichen Moment werden, der mehr Wirkung hat auf die Zukunft, als es \u00fcberhaupt vorstellbar war.<\/p>\n

*\u00a0Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker f\u00fcr Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.<\/em><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Von Holger Hartwig* \u201eIm Moment nicht\u201c. \u201eDaf\u00fcr habe ich zurzeit nicht den Kopf frei\u201c. \u201eDamit kann ich mit aktuell nicht besch\u00e4ftigen, es ist so viel anders los\u201c. Kennen Sie diese S\u00e4tze bzw. weiterer Varianten von Menschen aus Ihrem pers\u00f6nlichen Umfeld? Sie k\u00f6nnen f\u00fcr mehrere Botschaften stehen: \u00fcberfordert sein, andere Priorit\u00e4ten setzen, emotional ausgebrannt sein usw.<\/p>\n","protected":false},"author":3,"featured_media":795,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[36,37],"tags":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2962"}],"collection":[{"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/3"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=2962"}],"version-history":[{"count":1,"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2962\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":2963,"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2962\/revisions\/2963"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/795"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=2962"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=2962"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/hartwig-am-sonntag.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=2962"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}