Da spricht eine Statistik eine deutliche Sprache: Die Zahl der „verwarn-und bußgeldrechtlichen Verstöße inklusive Verkehrsunfällen“ – so heißt das im Amtsdeutsch – ist bei der Polizei Leer/Emden im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr auf nahezu die Hälfte zurückgegangen. 2019 wurden 14166 Delikte im Verkehr festgestellt, 2020 waren es nur 7087. Noch drastischer ist die Entwicklung bei den Geschwindigkeitsüberschreitungen: Sie gingen bei der Polizei von über 7000 auf 1609 zurück. Allerdings ist der Rückgang der Delikte nicht auf mehr angemessenes Fahrverhalten zurückzuführen, sondern „natürlich der Pandemie geschuldet“, schreibt die Polizei. Kurzum: In den Corona-Lockdowns sind auch die Verkehrsrowdies oft zuhause geblieben und es hat weniger „gekracht“. Und wer dann doch „erwischt“ wird, legt tendenziell deutlich öfter Widerspruch ein.
Geschwindigkeitsverstöße: Einnahmen auf Niveau von 2018
Der Rückgang der festgestellten Delikte hat auch wirtschaftliche Folgen – wie beispielhaft die Einnahmen an Buß- und Verwarngelder durch Geschwindigkeitsverstöße zeigen. Diese Verstöße, die die Polizei sowie der Kreis (allein hier folgten 2020 auf eigene Geschwindigkeitsmessungen 12.710 Verwarngelder und 3.633 Bußgeldbescheide ) und die Stadt Leer insgesamt durch Radarkontrollen feststellten, führten zu einem Rückgang der Einnahmen von 1,1 Mio. Euro (2019) auf 748.378 Euro im Corona-Jahr, wie der Kreis Leer, der für diese Verfahren zuständig ist, mitteilte. Mit den Einnahmen 2020 sei wieder das Niveau von 2018 erreicht. Der Kreis stellt dazu fest: „Durch den Corona-Lockdown herrschte weniger Verkehr herrschte und der Messbetrieb war aufgrund der Kontaktbeschränkungen stark eingeschränkt.“ Der zwischenzeitliche Anstieg sei, so die Kreisverwaltung, zudem „auf den Einsatz besserer Messtechnik – teilweiser Einsatz einer zweiten Kamera für den Gegenverkehr) entstanden“. Übrigens: Das eigenommene Geld setzt der Kreis nach eigenen Angaben ausschließlich für Maßnahmen der Verkehrssicherheit und für den Bau und die Unterhaltung von Kreisstraßen ein, ein Teil wird an die Stadt Leer abgeführt (50 Prozent ausschließlich der Einnahmen aus Messungen, die die Stadt selbst vornimmt).
(Fast) keine Aussagen zu Delikt-Orten
Wo sich die Autofahrer nicht „benehmen“, dazu halten sich Polizei und Kreis bedeckt. „Darüber führen wir keine besondere Statistik“, so der Kreis bzw. „Das Aufkommen von Verkehrsverstößen lässt sich nicht an Örtlichkeiten festmachen“ (Polizei). Lediglich von Seiten der Stadt Leer hieß es mit Blick auf zu schnelles Fahren: „In der Regel an Bundesstraßen. Hier die B436 beim ehemaligen Waldzoopark oder auf der B70, Papenburger Straße, auf Höhe der Kaserne.“
Krass: Mit 146 durch den Ort
Die Bandbreite der Verstöße ist groß – wie die Heftigkeit. Der Kreis wusste zu berichten, dass der letzte grobe Verstoß das Fahren in einer geschlossenen Ortschaft mit 146 km/h war. Bei der Stadt Leer fielen „Raser“ auf der Deichstraße (170 statt 70) und in der Stadt auf der Brücke Südring auf. Dort ließ ein Fahrer ein teures Foto von sich machen, als er mit 121 statt 50 fuhr. Die Polizei Leer antworte so: „Die Frage nach den krassesten Verstößen kann man nicht pauschal beantworten. Wenn ein Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr sämtliche üblichen Sorgfaltspflichten außer Acht lässt, erreichen wir schnell den Bereich der Verkehrsstraftat.“
Stationäre Blitzer: Es bleibt bei zwei Standorten
Anders als in so mancher Großstadt, wo viele Ampeln mit festen Blitzern ausgestattet sind, sind i Kreisgebiet bisher zwei Apparate aufgestellt: in Klostermoor (Groenewoldstraße/ 3. Südwieke) und in Neudorf (Wiesmoorer Straße/ Neudorfer Straße). Da die Verkehrsdichte in Neudorf höher ist, sind hier nach Aussage des Kreises mehr Delikte zu verzeichnen. Derzeit ist, so der Kreis, nicht vorgesehen, weitere Anlagen zu installieren. „Fest installierte Messanlagen waren und bleiben eine Ausnahme. Weitere würden nur in Betracht kommen, wenn Unfallhäufungsstellen festgestellt würden, bei denen zu hohe Geschwindigkeiten die Ursache sind.“
Mobiles Blitzer: Stadt muss seit März 2021 „verzichten“
Bei der Polizei kommen sowohl Standgeräten als auch mobile „Blitzer“ zum Einsatz. Wie häufig? „Die Zahl der Stunden des Geräteeinsatzes ist variabel und wird schwerpunktmäßig nach Notwendigkeit durchgeführt“, so die Antwort aus der Polizei-Pressestelle. Der Kreis Leer wird konkreter. Er verfügt derzeit über ein mobiles Gerät. Es kommt wöchentlich etwa 80 Stunden an Stellen, die als Gefahrenpunkte gelten, zum Einsatz bzw. es wird auch auf Wunsch von Anwohnern, sofern es Hinweise gibt, auf bestimmten Straßen zum Messen eingesetzt. Eindeutig auch die Antwort der Stadt. Dort muss man mit Kontrollen derzeit passen. „Bis März 2021 waren drei mobile Geräte im Einsatz. Diese dürfen – aufgrund möglicher Messfehler – seither jedoch nicht eingesetzt werden“, schreibt das Rathaus.
Immer mehr Widersprüche gegen Strafen
Einen eindeutigen Trend gibt es in der Frage, ob die „Verkehrssünder“ ihre Straßen hinnehmen. Klare Tendenz: Es wird öfter widersprochen. Die Stadt Leer nennt dazu zwei Entwicklungen: 2014 mussten sechs Stellungnahmen zu Verfahren abgegeben werden, 2020 hingegen 107. Auch die Zahl der Verfahren, bei denen Mitarbeiter der Verwaltung als Zeugen vor Gericht auftreten mussten, ist rapide gestiegen: von sechs in 2014 auf 85 in 2020. Vom Kreis hieße es: „Es wird darüber keine Statistik geführt. Aber auch in der Vergangenheit gehörte es zum Alltagsgeschäft der Messbeamten, vor Gericht in Einspruchsverfahren auszusagen.“ Durch den Einsatz des neuen Messverfahrens sind in den letzten Jahren keine Fälle bekannt, bei denen technische Verfahrensfehler zu einer Einstellung geführt haben.“ Eindeutig auch die Aussage der Polizei: „Wir achten peinlich auf die Einhaltung aller Vorschriften, die mit dem Einsatz von Messtechnik und deren Bedienung einhergehen und kann daher alle Verstöße gerichtsverwertbar erfassen und bearbeiten.“
Der von der Stadt Leer festgestellte Anstieg von Gerichtsverfahren ist hingegen keine Besonderheit. Bundesweit berichten auch andere Kreise und Kommunen über diesen Trend. Als Grund wird vermutet, dass es mittlerweile über das Internet agierende Portale wie www.geblitzt.de gibt, die mit einem bundesweiten Netz an Rechtsanwälten den Beschuldigten eine vollkommen kostenlose Vorprüfung und eine anschließende Vertretung vor Gericht anbieten.
Ruhender Verkehr: Stadt „verliert“ fast 20 Prozent
Auch im Bereich des ruhenden Verkehrs hat Corona Folgen. Bei der Stadt Leer werden durchschnittlich ausschließlich Verwarngelder in Höhe von 70.000 Euro pro Jahr für Verstöße (z.B. Überschreiten der Parkdauer, Falschparken) eingenommen. Im Corona-Jahr ist die Zahl der Verstöße zurückgegangen und führt zu einer Reduzierung der Einnahmen . Nach Angaben der Stadt sind die Einnahmen um etwa 135.000 Euro zurückgegangen – das sind fast 20 Prozent.