DER EMSKANAL

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So richtig glauben konnte ich es nicht, was mir da aus einer Quelle Anfang Dezember 2008 „zugeflüstert“ wurde. Seit drei Monaten gebe es in der Staatskanzlei in Hannover eine Runde, bei der geplant wird, von Papenburg einen Kanal in Richtung Nordsee zu bauen. Einen Kanal quer durch Westoverledingen! Mit nur einer Aufgabe: die Überführung der Kreuzfahrtriesen der Meyer-Werft dauerhaft zu ermöglichen. Es sei absolutes Stillschweigen über diesen spektakulären, milliardenschweren Plan vereinbart worden, bis erste Fragen – beispielsweise die Kosten und die technische Machbarkeit – durch die Wasser- und Schifffahrtdirektion Nordwest in Aurich voruntersucht seien. Mein Informant ergänzte noch: Der „Kreis der Eingeweihten“ sei sehr klein. Wie immer, konnte sich der Informant darauf verlassen, dass niemals jemand erfahren würde, woher ich diese Info hatte. Aber ganz ehrlich: Ein sauteurer Kanal mitten durch den Kreis Leer? Und wenn der für die Meyer-Schiffe gebaut würde, dann müsste der ja auch ziemlich breit sein. Ich hatte Zweifel, ob an dieser Geschichte auch nur ein Wort stimmen könnte.

Nun sind es aber auch genau solche Storys, die den journalistischen Ehrgeiz wecken. Mir war von Beginn an klar, dass ich – wie immer und in dieser so unglaublichen Geschichte mehr denn je – eine zweite Quelle benötige, die die Pläne bestätigt, bevor ich damit „raus“ gehe. Vorsicht ist angesagt. Das „Spiel“ ist bekannt. Wenn es eine Mauer des Schweigens gibt und ich rufe den Falschen an, dann sind alle anderen gewarnt und keiner sagt mehr etwas. Ich behalte auch in meiner Redaktion das Thema erst einmal für mich. Die ersten Telefonate im Hintergrund – erfolglos. Keiner der üblichen „Verdächtigen“ weiß nur irgendetwas oder hat gut reagiert. Bisher habe ich im Recherche-Spiel nur auf die falschen Karten gesetzt. Ich fange an zu zweifeln. Aber meine Quelle war doch immer zuverlässig gewesen… Gut, einen Joker habe ich noch. Wenn in der Vorrecherche nichts geht, dann bleibt nur der Weg ins „Zentrum“ der Informationen. Ich entschließe mich, an einem Freitagvormittag in der Staatskanzlei der Landesregierung von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) anzurufen. Es dauert eine Stunde, bis der Rückruf kommt. Ich nähere mich langsam dem Thema an. Die Frage, ob es aktuell Gespräche mit der Meyer Werft gebe, wird bejaht. Dann muss ich mit der Frage aller Fragen raus: Ist dabei auch ein Kanal von Papenburg an die Küste ein Thema? Mein Gesprächspartner ist Profi. Er reagiert souverän: „Ich kann Ihnen lediglich bestätigen, dass es regelmäßig Gespräche zur Situation der Ems mit der Werft und den Umweltverbänden gibt.“ Na ja, da ist ungefähr so ergiebig, als wenn in der Wettervorhersage der Meteorologe sagt: Morgen wird es einen Sonnenaufgang geben und dann scheint die Sonne oder nicht. Auch die Nachfragen bringen mich kein Stück weiter. Und nun? Ich denke für einen Moment das Wort mit Sch… Und dann erinnere ich mich an ein Telefonat vor vielen Jahren mit der Treuhandanstalt, als es um den Verkauf der Peenewerft in Wolgast ging. Auch damals war großes Schweigen angesagt…

Versuch macht klug, denke ich. Hat ja schon einmal geklappt. Also sage ich zu dem Pressesprecher der Staatskanzlei: „Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ich werde Ihnen erzählen, was meine Recherchen ergeben haben. Dann wissen Sie wenigstens, was so gesprochen wird. Und dann stelle ich Ihnen am Ende eine Frage, die nichts mit dem Thema, der Landesregierung und Ihnen persönlich zu tun hat. Und Sie versprechen mir, dass Sie auf die Frage mit Ja oder Nein antworten.“ Der Pressesprecher geht auf den Deal ein. Er will ja wissen, was ich weiß… Also fange ich an zu erzählen. Auf der Gegenseite keinerlei Regungen. Null Reaktionen. Es lässt sich aus dem Verhalten nichts, rein gar nichts erkennen. Ich atme tief durch und dann kommt – wie besprochen – meine Frage: „Sagen Sie mal Herr Soundso (ich habe den Namen nicht mehr im Kopf): Was denken Sie, bin ich ein schlaues Köpfchen und habe mein Handwerkszeug gelernt oder sollte ich besser noch einmal auf die Schulbank?“ Lange Pause auf der anderen Seite. Dann die Antwort: „Herr Hartwig, Sie verstehen Ihr Handwerk in jeder Hinsicht exzellent“. Rumms. Ich bedanke mich für das Kompliment und wir beenden das Gespräch mit freundlichen Worten und ich wünsche ihm dann viel Spaß beim Lesen meines Artikels. Er bedankt sich bei mir für den offenen Austausch und wünscht mir alle Gute. Ich würde mich ja bestimmt wieder melden. Ich bin mir sicher: Meine Infos stimmen, denn ein Pressesprecher weiß genau, dass – sobald an einer Geschichte etwas dran ist – das sowieso an die Öffentlichkeit kommt. Und dann ist schon besser, wenn die Infos (die er ja nicht bestätigen darf, sonst verliert er seinen Job) in der Sache korrekt sind.

Und nun? Ich muss mit dem Chefredakteur in Osnabrück telefonieren. Es bleibt ja ein Restrisiko, denn es war ja kein Ja aus Hannover. Mit meinem Chef spreche ich über die Details der Recherche. Wie immer, bekomme ich von dort Rückendeckung. Schon beim Transrapid-Unglück hatte ich mit meinen Recherchen zu den Hintergründen richtig gelegen und es hat nie Ärger gegeben mit meinen Berichten. „Schreiben Sie die Story!“, so die klare Ansage. „Wir bringen das Thema in der Neuen Osnabrücker Zeitung morgen und Sie können Sie dann ja auch in Ostfriesland Kompakt (OK) veröffentlichen.“ Also ran an den Computer…

Also ist das Thema am Sonnabendmorgen in der Welt. Für den OK bedeutet das: Wir holen Stimmen aus der örtlichen Politik und von den Naturschützern herein. Keiner weiß etwas, keiner sagt etwas Konkretes. Einer lässt sich mit den Worten zitieren: „Das ist wie ein Aprilscherz zu Nikolaus.“ Sollte ich doch daneben liegen? Ich zweifle. Die Story ist raus… es gibt kein zurück mehr.

Die Tage und Wochen danach werden zu einer Achterbahnfahrt. Mir gelingt es zwar, weitere Details zu recherchieren (kleine Puzzleteile, die ein Gesamtbild ergeben), doch es herrscht weiter ein großes Schweigen. Ich recherchiere, dass es einen Kanal-Plan schon einmal zu Zeiten von Adolf-Hitler gegeben hat. An der gesprengten Brücke in Papenburg endeten die Realisierungsarbeiten. Ich erfahre, dass der Leeraner Landrat Mitte Januar 2009 in die Staatskanzlei fährt. Er sagt nur: „Wir waren bisher nicht aktiv in derartige Überlegungen eingebunden.“ Weitere Kommentierungen lehnt er ab. Ich lege bei dem Thema noch einmal mit einer weiteren Veröffentlichung nach. Ich bin mir sicher, dass… Aber es gibt da ein klitzekleines Problem: Alle anderen auch überregionalen Medien steigen auf das Thema ein. Es hagelt Dementis. Tenor: An einem Emskanal ist nichts dran. Lediglich die TAZ schreibt, dass es angeblich Pläne gebe – eine Quelle zitiert sie nicht. Ich gebe zu, dass ich durchaus nervös bin. Sollte es das erste Mal sein, dass ich totalen „Mist“ geschrieben habe. Na ja, irgendwann ist immer das erste Mal, versuche ich mich zu beruhigen. Mal sehen, wie ich das wieder einfange.

Ich bleibe an dem Thema dran und irgendwie ergibt sich immer noch kein klares Bild. So richtig NEIN sagen will zu dem Thema auch keiner. Mittlerweile sind über drei Monate vergangen. Es ist ruhig geworden um das Thema. Wohl besser so, denke ich. Dann schreibt ein erster, meist gut informierter ehemaliger Chefredakteur in einem Blog „Es ist etwas im Busch“. Also doch? Dann platzt drei Woche später die „Bombe“. Die Staatskanzlei bestätigt die Überlegungen zum Emskanal. Die Steine, die mir vom Herzen fallen, höre ich heute noch plumpsen…

Die Pläne für einen Emskanal waren dann einige Jahre noch politisches Thema. Eine Machbarkeitsstudie für etwa 120.000 Euro wurde erstellt und bis Herbst 2010 sollte die Lenkungsgruppe – ja, es hat sie gegeben in der Staatskanzlei – einen Vorschlag zur Umsetzung vorlegen. Es dauert bis zum Frühjahr, ehe die Pläne endgültig verworfen werden. Die Kosten werden auf 1,1 Milliarden Euro geschätzt. Zuviel.

Und nächsten Sonntag, Punkt 9 Uhr, geht es mit „Immer wieder sonntags“ weiter… Dann geht es um… lassen Sie sich überraschen.

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    Holger HartwigDER EMSKANAL