Vergleiche hinken, hat ein Freund von mir immer zu sagen gepflegt. Mag stimmen, manchmal helfen sie allerdings ganz gut, Fragen aufzuwerfen und Antworten aufzuzeigen. Vor einiger Zeit hatte ich einen Menschen im Coaching, der sich permanent „im Stress“ sieht und von zu hohem Druck im Alltag sprach. Schuld daran seien die anderen – im Büro, in der Familie und in der Freizeit. Die anderen wollten immer nur dies oder das vom ihm. Ihm fehle es an Zeit für sich und zunehmend mehr an Power.
Die ersten Versuche, dem stressgeplagten Zeitgenossen seine Situation zu verdeutlichen, scheiterten. Dann schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass dieser „Büromensch“ jeden Tag mit seinem Computer arbeitet. Also fragte ich ihn, worauf es denn mit Blick auf das Funktionieren und die Leistungsfähigkeit ankomme. Die Antworten waren vielfältig. Zuallererst benötige ein Computer kontinuierlich Energie, sonst gehe gar nichts. Dann ist ein funktionierendes Innenleben erforderlich und ein gutes Betriebssystem sowie gute Software und natürlich jemand, der vor dem Rechner sitzt und damit etwas anzufangen weiß.
Ich fragte ihn dann, worauf es neben dem Prozessor und der restlichen Technik ankomme. Antwort: Du musst regelmäßig das System warten und Updates durchführen. Dann brauchst Du einen guten Virenschutz, damit sich nichts Schadhaftes einnisten kann. Zudem solltest Du darauf achten, dass Du nicht gleichzeitig zu viele Programme geöffnet hast, denn dann wird das System langsamer und im schlimmsten Fall stürzt es ab. Auch solltest Du regelmäßig kurze Pause einlegen, um die Daten bzw. das, was Du am Rechner gemacht hast, durch das Abspeichern zu sichern. Und du solltest darauf achten, dass Du die Programme, die Du einsetzt, immer auf dem neuesten Stand hältst. Auch gehöre es dazu, den Rechner bzw. den Bildschirm in den Stand-By-Modus zu versetzen, um Energie zu sparen. Es folgten weitere Beschreibungen und ich musste den gestressten Menschen stoppen, da er bis in jedes Detail einstieg. So war spürbar, dass dieser „Büromensch“ genau wusste, wie abhängig er von dem Computer ist, wenn er seine Ziele erreichen und zufrieden nach Hause gehen kann.
Nach einer kleinen Pause fragte ich ihn, ob er sich vorstellen könne, einmal sich und seinen Körper wie einen Computer zu betrachten. Was passiere, wenn er sich und sein Betriebssystem nicht regelmäßig pflege bzw. warte? Was mache er, um sich keinen Virus einzuhandeln? Wie stelle er sicher, dass nicht zu viele „Baustellen“ im Leben – sprich Programme, die Aufgaben erledigen oder Lösungen suchen – gleichzeitig aktiv sind? Was passiert, wenn der Mensch in seinem Leben keinen Stand-By-Modus kennt, sondern immer nur Full-Power?
Es dauerte ein wenig, bis es „klick“ machte. Als erstes schauten wir uns an, welche und wie viele „Baustellen“ gleichzeitig vorhanden sind. Wir schauten, wie der aktuelle Stand dieser Baustellen ist und sicherten den Status Quo. Und wir überlegten dann, welche Baustellen sich davon wie ein Programm schließen lassen könnten. Eine Aufgabe, die sich als weit schwieriger herausstellte, als eine Software auf dem Bildschirm weg zu klicken. Die nächsten Fragen schlossen sich nach und nach an: Wie sieht es mit Menschen im Umfeld aus, die immer gerne ungelegen kommen, sich einnisten und Kraft kosten? Wie kann der Betroffene diese Momente erkennen und zu seinem Schutz – wie ein Virenschutzprogramm – abwehren? Ja und natürlich stellte sich auch die Frage, inwieweit das Betriebssystem insgesamt eine große Pause brauche, um mit neuen Erkenntnissen und neuer Kraft durchzustarten.
Wir haben im Coaching dieses Bild dann nicht weiterverfolgt. Ab und an, wenn es sich anbot, wurde der hinkende Vergleich als Beispiel herangezogen. Stück für Stück gelang es, den Druck vom Kessel zu nehmen und Stress abzubauen – verbunden mit der Erkenntnis, dass das eigene Betriebssystem immer im Vordergrund stehen muss, damit alle anderen Anforderungen, die das Leben mit sich bringt, gemeistert werden können.
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.