Der voreilige Griff zur Schmerztablette

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Von Holger Hartwig*

Sind Sie ein Mensch, der schnell zur Schmerztablette greift? Oder eher jemand, der es sich lange überlegt, abwägt und sich dann des Öfteren auch dafür entscheidet, die Schmerzen auszuhalten?

Es ist eine Herausforderung, aus dem Umgang mit Schmerztabletten etwas abzuleiten, was das mit schwierigen Situationen im Leben zu tun haben kann. Denn manche Menschen leiden unter (schweren und/oder chronischen) Erkrankungen, bei denen die Ärzte zu Recht sagen, dass Schmerzen nicht sein müssen bzw. sein sollen.

Bei der Frage, wie es mit dem Griff zur Schmerztablette aussieht, geht es eher um den „dicken Hals“, die „verschnupfte Nase“, das „Brett im Nacken“, den „Druck im Kopf“ oder sogar um diejenigen, die vor einem Arzttermin schon vorweg zu einer Schmerztablette greifen.

In dem einen oder anderen Fall sollte der Griff zur Schmerztablette überlegt sein. Der Körper ist das Haus der Seele und oft stehen die Schmerzen des Alltags für Belastungen und Ängste, die ein Mensch mit sich trägt. Mit dem voreiligen Griff zur Tablette kann leicht mal etwas „weggedrückt“ werden, statt die Belastung zu ertragen, und durch die Tablette einfach weiter zu funktionieren, statt sich bewusst etwas zurückzunehmen, auszuruhen und seinem Körper etwas Gutes zu tun.

Der schnelle Griff zur Schmerztablette kann auch einen symbolischen Charakter haben. Die Frage ist: Wer schnell und gerne zur Tablette neigt, versucht auch in vielen anderen Bereichen des Lebens den einfachsten Weg zu nehmen? Statt eine Situation zu ertragen und sich etwas tiefer mit den möglichen Ursachen und vielen anderen „kritischen“ Momenten zu beschäftigen, wird geschaut, wie schnell der Fokus auf etwas anderes gelenkt werden kann. Bei manch einem wird aus der Tablette dann auch schnell mal ein anderes Mittel (z.B. der Alkohol) zur Hand genommen, um sich nicht genauer die Situation anzusehen.

Also denken Sie einmal darüber nach: Sind Sie eher jemand, der schnell zu einem Schmerzmittel greift oder jemand, der eine Situation ertragen kann, sich diese anschaut, den Ursachen auf den Grund geht und nach einer langfristig erfolgreichen Lösung sucht? Denn wie heißt es doch so schön: Der einfachste und schnellste Weg ist nicht immer der Beste.

PS: Die obige Betrachtung ist nicht dazu gedacht, Menschen, die zur Schmerztablette greifen, zu kritisieren. Es ist im Umgang mit Schmerzen und vor allem mit der Art und der Intensität der Schmerzen immer eine individuelle Entscheidung, die es zu respektieren gilt. Ich habe angefangen über Schmerztabletten nachzudenken, als ich 2015 mit dem kaputten Sprunggelenk in einer Reha-Klinik war. Ich hatte seit vielen Wochen keine Schmerztabletten mehr genommen und wurde durch die behandelnde Ärztin mehrfach gefragt, welche Tabletten ich denn gerne hätte. Sie hat keine Ruhe gegeben. Genommen habe ich keine, auch wenn die Bewegung in der Reha an manchen Stellen eine Herausforderung war. Das Ziel der Tabletten hat mir damals eine Pflegerin erklärt: Wenn die Patienten ihren Körper durch die Tabletten nicht vollständig wahrnehmen, dann können sie problemlos alle Anwendungen mitmachen. Die Anwendungen sind im Klinikalltag wirtschaftlich interessant. Sie versuche, den Reha-Patienten immer mal wieder deutlich zu machen, dass jede Tablette, die nicht genommen wird, eine Chance sein kann, bewusster mit der Situation umzugehen und auf sich und seinen Körper zu achten. Bei mir war es damals die Chance, denn ich wusste, was ich wie trainieren muss und wo ich aufpassen musste, es nicht zu übertreiben. Bis heute überlege ich daher sehr, ob der Griff zur Tablette sinnvoll ist oder wie ich besser auf „mein Haus der Seele“ achten kann.

Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.

Holger HartwigDer voreilige Griff zur Schmerztablette