Normalerweise haben Zeitungen eine lange Geschichte, setzen auf Tradition und die Gewohnheiten bei ihren Lesern. Neue Optik und neue Strukturen gibt es bei manchen Verlagen nur alle 10 bis 15 Jahre. Im Osten der Nachwendezeit war das anders. Der Rekord: Zwei „neue“ Zeitungen in sechs Monaten…
Neue Technik zieht ein, die Druckmaschinen ermöglichen neue Format und mehr Farbe und der Wettbewerb zwischen alten Bezirkszeitungen und Neugründungen hat es in sich. Mein Weg führt 1994 nach Potsdam. Bei der ehemaligen Zeitung der FDP/Liberalen (sie hießen DDR-weit immer Neueste Nachrichten) bin ich damals Chef vom Dienst (Redaktioneller Koordinator). Die Aufgabenstellung bei der Tageszeitung Potsdamer Neueste Nachrichten ist durch die Geschäftsführung eindeutig definiert: Innerhalb von zehn Wochen die Produktionsabläufe neu regeln, ein neues Layout und eine neue Struktur mit entwickeln. Einige Jahre später werde ich bei einem anderen Verlag erleben, dass ein solches „Wir erfinden uns neu“-Projekt eher auf ein bis zwei Jahre angelegt ist. Zeit haben wir keine, die Leser werden schon damals immer weniger. Mit einer tollen Teamleistung gehen wir Ende Juni mit der neuen „PNN“ – nebenbei wurde auch die Sonntagszeitung neu aufgestellt – an den Start. Die Resonanzen sind gut. Es läuft. Allerdings nur wenige Wochen…
Es ist die Zeit, als an den großen Schrauben gedreht wird. Ein Gesprächstermin mit der Geschäftsführung ist angesetzt – und innerhalb weniger Sekunden wird klar, dass die „Keulerei“ in den Vormonaten überflüssig war. Der Konzern Holtzbrinck hat in der Zentrale die Entscheidung getroffen, dass die PNN in den Berliner Tagesspiegel integriert wird. Neues Format, neue Schriften, neue Struktur – und von der gerade erst entwickelten neuen PNN bleibt nichts übrig. Da ich in den Monaten zuvor wohl einen guten Job gemacht habe, bekomme ich die Aufgabe: Bitte das Ganze noch einmal – dieses Mal mit diesen und jenen Vorgaben. Auch hier ist der Zeitrahmen wieder eng gesteckt. Bis Ende September soll alles „geregelt“ sein. Die Gespräche mit der Chefredaktion des damals großen Tagesspiegels – das ist mit 24 Jahren eine besondere Erfahrung am Tisch mit in der Branche renommierten Namen zu sitzen – laufen auf Augenhöhe. Die Aufgabe lässt sich lösen. Auch dieses Mal klappt es. Die PNN wird innerhalb eines halben Jahres zweimal zu einer runderneuerten Zeitung und sieht bis heute wie die kleine Schwester des Tagesspiegels aus.
Mein Job ist getan – und mit diesen wilden Monaten verbinde ich auch mein letztes Erlebnis mit einem Ossi am letzten Arbeitstag. Es ist mir bis heute gut in Erinnerung geblieben, weil es meine Zeit in den neuen Bundesländern und im Miteinander mit den Ossis in gewisser Weise zusammenfasst. Sieben Monate zuvor hatte ich dort angefangen – und das unter besonderen Bedingungen. Denn: Der Betriebsrat des Verlages hatte damals meiner Einstellung die Zustimmung verweigert. Die Geschäftsführung entschied, dass ich trotzdem meine Arbeit aufnehmen und vor dem Arbeitsgericht die Zustimmung eingeklagt werden sollte. Das dauerte jedoch. Am zweiten Arbeitstag gehe ich damals in die Redaktion und stelle einem langjährigen Redakteur eine sachliche Frage. Er schaut mich von oben bis unten an und sagt dann: „Erstens sind Sie verdammt jung, zweitens weiß ich nicht, wie lange Sie noch hier sind, drittens kommen Sie aus dem Westen und viertens beantworte ich Ihre Frage nicht.“ Das hat damals gesessen. Ich habe mich für die klare Ansage bedankt und bin gegangen.
Sechs Monate später – dank der Fusion bzw. die Integration in den Tagesspiegel in Berlin ist meine Zeit in Potsdam dann leider beendet. Jung, Probezeit – und Personalabbau bedeuten Sachen packen. Ich gehe also durch alle Redaktionsräume und verabschiede mich. Dabei treffe ich auch auf den Redakteur, der so klar zum Ausdruck gebracht hatte, was er von mir als Wessi hält. Er bittet mich, zu ihm zu kommen und sagt dann laut, so dass es alle mitbekommen: „Erinnern Sie sich? Vor einigen Monaten war ich nicht fair zu Ihnen, als ich Sie hier als Wessi habe stehen lassen. Bevor Sie jetzt gehen: Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich finde es sehr schade, dass Sie unseren Verlag verlassen.“ Er hat mir die Hand gegeben und mir alles Gute gewünscht.
Vier Jahre wilder Osten – eine intensive Zeit, wie sie, so denke ich heute, für so manches Leben insgesamt reicht. Es war lehrreich – beruflich und vor allem menschlich. Ich würde immer wieder in die Ex-DDR direkt nach der Wende gehen, auch wenn es manchen Tag wie ein Leben in einer anderen grauen Welt war.