Die Situation in den Ballungszentren und Großstädten ist bekannt: es fehlt an ausreichend und vor allem auch bezahlbarem Wohnraum. Die Politik – beispielsweise in Berlin – hat darauf reagiert. In der Hauptstadt bauen die landeseigenen Unternehmen tausende Wohnungen, die mit Mietpreisbindung versehen werden. Und trotzdem entspannt sich die Lage nur wenig.
Für eine Stadt wie Leer scheint der Mangel an bezahlbaren Wohnungen noch weit weg zu sein. Doch: Auch der Ledastadt droht in den nächsten Jahren eine dramatische Entwicklung.
Die Zahl der geförderten Wohnungen, die mit so genannter Sozialbindung und damit vergünstigter Kaltmiete in Leer verfügbar sind, ist dramatisch. 2016 waren es noch 608, 2019 noch 364 und 2027 werden nur noch 136 Wohnungen – davon 116 altengerecht, die diese Bindung haben. Parallel dazu steigt die Zahl der Haushalte, die auf Transferleistungen bzw. preiswerte Wohnungen einen „Anspruch“ haben an. In Leer sind es aktuell 4.450 Haushalte, d.h. 130 Haushalte je 1000 Einwohner. Landesweit sind es nur 77 je 1000. Diese Haushalte kommen nicht mit ihren Einnahmen klar. Was diese beiden Entwicklungen bedeuten? Hamburg und Berlin lassen grüßen. Und die Zahl wird sich weiter erhöhen. Die Mieten werden steigen, stärker als die Einkommen. Gründe: Mehr Nachfrage als Angebote und vor allem auch die hohen Anforderungen an energetische Modernisierungen im Zuge der Klimaschutzziele.
Was hat in Leer dazu geführt, dass es immer weniger Sozialwohnungen geben wird? Einige Gründe gelten bundesweit: Anfang der 2000er Jahre gab es Prognosen, die zwar falsch waren, aber klar sagten, dass es zu viele Wohnungen geben würde. Zudem ist es in Zeiten günstiger Bauzinsen nicht attraktiv, günstige staatliche Subventionen in Anspruch zu nehmen, wenn gleichzeitig damit Preis- und Vergabebindungen verbunden sind. Auf dem freien Markt ist mehr mit Wohnungen schlichtweg mehr zu verdienen.
Und in Leer? Die Stadt hat sich seit etwa einem halben Jahrhundert „rausgehalten“, wenn es um Neubauten ging. Noch viel schlimmer: Bis vor wenigen Jahren versickerten die Mieteinnahmen aus den städtischen Wohnungen sogar noch im städtischen Haushalt, statt für Modernisierungen verwendet zu werden. Die aktuell laufenden (Nachhol-)Investitionen am Hermann-Lange-Ring sind nur ein Beispiel. Positiv ist, wenn überhaupt, dass die Stadt überhaupt noch eigene Wohnungen für den besagten „Kundenkreis“ hat. Andere Kommunen – siehe Wilhelmshaven – machten vor mehr als 20 Jahren durch Verkäufe an „Heuschrecken“ große Kasse, sanierten sich damit und haben heute das Problem, dass diese Investoren die Bestände oft nicht hegen und pflegen und soziale Brennpunkte entstehen.
Leer hat einen weiteren Vorteil: den Bauverein. Die Genossenschaft investiert im Rahmen ihrer Möglichkeiten kontinuierlich, hat traditionell ein gutes und bezahlbares Angebot, aber heute auch fast alle Wohnungen ohne Bindungen und meist saniert, was auf die Mieten durchschlägt. Und selbst der Bauverein finanziert Neubauten und Sanierungen eher ohne als mit Förderung und damit Mietpreisbindung…
Was in Leer zu tun ist? Die Stadt sieht das Problem kommen, müsste selbst bauen mit der Tochter KWL. Aber woher soll das Geld – es geht ja nicht um kleine Summen – dafür kommen? Und die Grundstücke? Der Markt in Leer ist für Investoren hoch interessant – aber eben nicht für Angebote für Sozialschwächere. Und Projekte wie die Soziale Ost- oder Weststadt verbessern zwar die Quartiere und sorgen in Teilen für modernen Wohnraum – aber eben nur „nebenbei“.
Was helfen könnte, ist ein Blick ins benachbarte Emsland. Dort gibt es den „Lingener Weg“. Im Emslander ist es gelungen, Wohnen zu einem Thema für alle gesellschaftlichen Akteure wurde. Man sollte es kaum für möglich halten: Staat, Kirche und Wirtschaft gehen gemeinsam an das Thema heran. Alle Beteiligten haben vor knapp fünf Jahren erkannt, dass bezahlbarer Wohnraum ein Erfolgsfaktor für die Wirtschaft ist, wenn es um das Anwerben von Mitarbeitenden beispielsweise in der Pflege oder in der Industrie geht. Die katholische und die evangelische Kirche, das örtliche Krankenhaus, die Banken und die Stadt sowie einige Unternehmer haben eine Genossenschaft gegründet. Seit zwei Jahren wird gebaut.
Auch in Leer drängt die Zeit. Beim Bauverein – er wollte bereits Anfang der 2000er Jahre mit der Stadt kooperieren und die Wohnungen verwalten, was die Politik am Ende verhindert hat – ist Kompetenz zweifelsfrei vorhanden. Geld, das untergebracht werden will, gibt es in Leer auch genug. Nur: Wer schafft es in der Kreisstadt, die Akteure zusammen zu bringen?
Ach ja, übrigens wollte sich Landrat Matthias Groote (SPD) dem Thema auch kreisweit annehmen. Im Februar 2019 liefen Vorgespräche für ein „Bündnis für bezahlbares Wohnen“. Initialzündung war eine Veranstaltung von Seniorenbeiräten in Filsum im November 2018. Jetzt ist 2022. Passiert ist – wenn überhaupt – nur etwas, was dann vor der Öffentlichkeit gut versteckt wurde.
- Lesen Sie dazu auch einen Bericht über den „Lingener Weg“