DIE KOLUMNE – Die drei fatalen „B‘s“: Bettensteuer, Bürokratieabbau und Bodenlosigkeit

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Jetzt sind es nur noch wenige Wochen, bis die Stadt Leer mit zu den (unrühmlichen) Vorreitern in der Kategorie Kleinstädte in Deutschland gehört: Die Kreisstadt führt als eine der ersten in Niedersachsen zum 1. Juli die „Bettensteuer“ ein. Alle Vermieter der Ledastadt werden damit zu Steuerschuldnern mit Blick auf die Frage, wann welche Gäste wie lange für welchen Preis eines ihrer Betten genutzt haben. Diese neue „Aufwandssteuer“, wie die Zahlung offiziell heißt, setzt mit ihrer Existenz gleich in dreifacher Hinsicht ein fatales Zeichen.

Das erste B steht für die Bettensteuer. Übernachtungen für Urlauber und Geschäftsreisende in der Kreisstadt werden teurer, denn die Vermieter werden die 3 Prozent Steuer nicht aus eigener Tasche zahlen, sondern zusätzlich für jedes vermietete Bett – egal, ob es sich um eine Geschäfts- oder Ferienübernachtung handelt – kassieren. Aktuell – so sagt die Stadtverwaltung – scheint der neue Kostenfaktor für die Übernachtungssteuer, wie sie offiziell heißt, keine Auswirkungen haben. Für 2024 werden der Stadt an Ems und Leda erstmals in ihrer Geschichte über 250.000 Übernachtungen erwartet. Die Buchungslage ist – so die Stadt – „hervorragend“. Das ist erfreulich. Die Zunahme ist seit mehr als 50 Jahren eine Erfolgsgeschichte: Bis auf die Zeit der Pandemie ist die Zahl der Gäste in der Stadt kontinuierlich angestiegen, seit Anfang der 1990er Jahre hat sie sich verdoppelt. Neue Hotelbauten und damit mehr Kapazitäten führten zu mehr Übernachtungen. Allerdings muss man eines feststellen: Die neue Steuer wird bisher im Umland von Leer und in den Nachbarstädten wohl nicht eingeführt. Papenburg oder Emden nachziehen nachziehen werden, ist offen. Die Steuer könnte die gute touristische Entwicklung einbremsen. Auf jeden Fall waren sich die Fachleute, die vor dem Beschluss der Einführung gehört wurden, einig, dass die Bettensteuer nicht förderlich sein wird.

Kommen wir zum zweiten B – Bürokratieabbau. Wie gerne wird davon gesprochen, wie gerne wird landauf landab deutlich gemacht, dass weniger Papierkram und mehr Konzentration auf die Aufgaben, die den Firmenzweck ausmachen, dringend notwendig sind. Die Bettensteuer, die den Gastgebern auf sieben Seiten vorweg erklärt wurde, ist das genaue Gegenteil. Selbst wenn die Stadtverwaltung Leer ihr Versprechen einhält, den Aufwand für die Vermieter und Hotels durch Online-Meldungen gering zu halten, müssen Vermieter erneut „statistisch“ aktiv werden. Quartalsweise müssen sie melden, wie viele Übernachtungen es gab. Vier Jahre lang muss mit personenbezogenen Daten des Hauptgastes nachvollziehbar bleiben, wer wann an- und abgereist ist, wie lange er oder sie beherbergt wurde und wieviel dafür gezahlt wurde. Auch bei der Stadtverwaltung fällt zusätzliche Arbeit an: Damit die Steuer korrekt „eingetrieben“ wird, muss eine neue Stelle im Rathaus geschaffen werden, die mit einem Aufwand von bis zu 50.000 Euro angesetzt wird. Sieht also so der Bürokratieabbau auf kommunaler Ebene aus?

Warum die Bettensteuer trotz Risiken für die Tourismuswirtschaft und trotz Bürokratiezuwachs kommt? Das dritte B gibt die Antwort – Bodenlosigkeit. Davon kann die Rede sein, wenn man in die Umstände schaut, die zu der Einführung der neuen Steuer führen. Denn: Die Stadt leidet – wie bekanntermaßen fast alle Kommunen – seit Jahrzehnten unter chronischer Unterfinanzierung. Erforderlich istd, so sieht es der Gesetzgeber vor, im Zuge der Haushaltsplanung ein so genanntes Haushaltsicherungskonzept. Bei diesem „Konzept“ – sollte man es vielleicht eher Kostensenkung- und Einnahmestrategie nennen – geht es darum, Möglichkeiten zu finden, mit denen die Haushaltslage verbessert werden kann. Bei der Stadt Leer umfasst das aktuelle Konzept fast 60 Seiten. Darin steht – natürlich – auch die „Bettensteuer“. Charmant wird dort formuliert, dass „Leer ein beliebter Ausflugsort ist und häufig von Touristen besucht wird“.

Die Bettensteuer soll also die Stadt finanziell mit retten: Unter Abzug der Kosten für die neue Verwaltungskraft inklusive Nebenkosten für Raum, IT etc. sollen ab 2025 pro Jahr etwa 250.000 Euro „verdient“ werden. Wow, bei einem Fehlbedarf von in den nächsten Jahren errechneten zwischen 3,3 und 5,8 Mio. Euro macht das den Kohl nicht fett! Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Bodenlosigkeit der kommunalen Finanzen – selbst in Zeiten hoher Steuereinnahmen dank guter Konjunktur – und die Bettensteuer sind nicht der Freude der aktuellen Verantwortlichen im Rathaus und im Stadtrat an neuen Steuern bzw. neuer Bürokratie geschuldet. Sie drücken aus, was niemand sagt, aber doch alle wissen: Das öffentliche Finanzsystem ist aus dem Ruder gelaufen. Die aktuellen Steuerschätzungen für den Bund mit Milliardenrückgängen an Einnahmen und damit geringer zu erwartender Zuweisungen an die Kommunen „von oben“ werden noch deutlicher machen, dass es so nicht weitergehen kann. Eine Leeraner Bettensteuer ist da nur ein winzig kleiner Strohhalm.

Was das alles bedeutet? In Leer muss man darauf hoffen, dass erstens die Gäste weiterhin in die nicht zuletzt durch die Friesland-Krimis beliebte Stadt in Scharen strömen. Sie bringen mit sich Wirtschaftskraft, die Arbeitsplätze und Steuereinnahmen in größeren Dimensionen als die Bettensteuer sichert. Zweitens kann man darauf hoffen, dass bei aller Haushaltskonsolidierung die neue Ertragsquelle – wie angekündigt – zumindest teilweise genutzt wird, „den Tourismussektor gezielt zu stärken“. Und drittens darf man vor allem darauf hoffen, dass – über alle Ebenen der Politik von Berlin ins kleine Leer hinweg – endlich erkannt wird, dass „Aktivitäten“ wie eine Bettensteuer falsche Medikamente gegen die Ursachen der bedrohlichen Krankheit eines Zusammenbruchs des gesamten Systems sind. Sie machen die Krankheit auf kurz oder lang eher schlimmer.

Holger HartwigDIE KOLUMNE – Die drei fatalen „B‘s“: Bettensteuer, Bürokratieabbau und Bodenlosigkeit