DIE KOLUMNE: Hilferuf für ein besonderes „Denk´ mal!“ in der Stadt Leer

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„Für mich ist Denkmal ein lebenslanger Imperativ, der aus zwei Wörtern besteht“ – dieses weitgehend unbekannte Zitat des österreichischen Kabarettisten Fritz Grünbaum, der 1941 im Konzentrationslager in Dachau starb, bringt auf den Punkt, warum es in Deutschland und weltweit viele Monumente der Erinnerung gibt. Am „Tag des Denkmals“ am kommenden Sonntag, 9. September, steht an vielen Orten Deutschlands die Erinerung an die Geschichte im Mittelpunkt. In Leer wird dieser Tag aber auch zu einem „Hilferuf“. Warum? Eines der ältesten Zeugnisse der Geschichte der Stadt und der Christianisierung Ostfriesland wird in Leer seit Jahren der Verrottung hingegeben.

Ausgerechnet – oder wohl ganz bewusst? – lädt die Evangelisch-reformierte Kirche in Leer an diesem Tag auf den Friedhof am Westerende ein. Dort gründete der Missionar Liudger bereits Ende des 8. Jahrhunderts die erste Missionskirche in Ostfriesland. Bis heute ist in dieser eine Krypta, die Unterkirche eines Gotteshauses, aus dem 12. Jahrhundert erhalten. Allerdings ist die Frage berechtigt: Wie lange noch? Seit fünf Jahren ist der bis dahin täglich möglich gewesene Zugang zur Krypta nicht mehr möglich. Es modert, Grünspan bildet sich im Eingangsbereich. Es braucht keine prophetischen Gaben, um festzustellen: Allzu lange wird dieser Ort nicht mehr erhalten bleiben. Nun könnte man sagen, dass das doch die Aufgabe der Kirche ist, die Missionskirche samt Krypta „in Schuss“ zu halten. Aber:  Der Zugang zur Krypta macht deutlich, dass dieser Ort seit den 1950er Jahren weit mehr als nur Zeugnis der älteren Geschichte ist. Über dem Eingang steht unmissverständlich geschrieben: „Hier gedenken die Bürger von Leer der Opfer beider Weltkriege: 1914/1918 und 1939/1945“. Der tiefe, kühle und kalte Innenraum der Krypta ist somit Gedenkort an die Gefallenen und an die Opfer des Nationalsozialismus. Nicht zuletzt in Zeiten, in denen nur 2.500 Kilometer von Leer entfernt wieder täglich Menschen in einem Krieg sterben, ist dieses Denkmal ein Ort, auf den „Denk mal!“ mehr denn je zutrifft.

Warum ist die Einladung zum Besuch des Friedhofes und der Krypta am Tag des Denkmals ein Hilferuf? Ganz einfach: Wenn nicht bald gehandelt wird – und wie immer geht es dabei ums Geld – wird die Krypta nach über 1000jähriger Geschichte zu einem Ort des Zerfalls statt der Erinnerung. Der Umgang mit der Krypta ist ein Zeichen, wie die Ledastadt mit dem Gedenken an die beiden Weltkriege und an die NS-Zeit umgeht. 2019 ist der Vertrag zwischen Stadt und Kirchengemeinde ausgelaufen, der die Betreuung des Ortes des Gedenkens geregelt hatte. Seitdem ist es ruhig geworden, die Krypta ist nicht mehr zugänglich. Ab und an gab es – gescheiterte – Gespräche der reformierten Gemeinde mit der Stadt und mit dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege. Lösungsansätze sind bisher noch nicht in Sicht.

Mit einer neuen Pastorin und einem neu gewählten Kirchenrat will die Leeraner Gemeinde – so ist zu vernehmen – nun einen neuen Anlauf zur „Rettung“ des Gedenkorts nehmen. Die „Präsentation“ des Zustandes der Krypta am Denkmaltag in Zusammenarbeit mit der Ostfriesischen Landschaft und dem Niedersächsischen Institut für historische Küstenforschung (NIhK) wird der erste Schritt sein. Mehr Öffentlichkeit bedeutet mehr Bewusstsein.

Wie es weitergehen kann? Gespräche mit der Stadt Leer und der Politik werden unabdingbar sein. Es sollte dabei nicht nur um die Krypta als Gedenkort der Stadt gehen, sondern um ein Gesamtkonzept für die Zukunft des Vorplatzes des Frieshofs und die Überreste der ältesten Steinkirche in Leer. Denn auch der Vorplatz sorgte jüngst für Aufsehen aufgrund der Obdachlosen, die dort mit Dreck und Krach „lebten“. Sie sind nun ob des Alkoholverbotes „weitergezogen“ – zur Kirchenmauer nahe des Supermarktes. Diese „Änderung“ betrachten die Anwohner jedoch nicht als eine wirkliche Verbesserung. Auch hier bleibt also die Erforderniss, gute Antworten zur endgültigen Problemlösung – in diesem Fall durch den Landkreis als zuständige, aber bisher wohl erfolglose Sozialbehörde – zu finden.

Zurück zur Krypta: Die Einbindung der Ostfriesischen Landschaft und des Küstenforschungsinstituts mit ihren Experten durch die Kirchengemeinde gibt den ersten Rückenwind. Weitere wichtige Partner müssen folgen. Die Politiker der Stadt inklusive des Bürgermeisters als Partner zu gewinnen, dürfte ebenfalls keine große Herausforderung sein, da sich wohl keiner nachsagen lassen will, dass die Erinnerung an die Kriegstoten der Ledastadt – zurückhalten formuliert – „nicht von Bedeutung“ sei. Lässt die Stadt zu, dass die Krypta weiter verrottet, wäre es nach den seit Jahren nicht erfolgreichen Bemühungen, am Ort der ehemaligen Synagoge in der Heisfelder Straße ein Denkmal zu schaffen, ein zweites, diesmal wohl fatales Signal für den Umgang der Stadt mit ihrer Erinnerung an die eigene Geschichte. Denn die Stadt bleibt, selbst wenn die Kirche Eigentümer der Krypta ist, in der Verantwortung für diese Stätte des Kriegsgedenkens.

Bis zur Rettung der zweischiffigen gewölbten Unterkirche samt Grabplatten aus dem 16. Jahrhundert an der Ostseite werden für die Engagierten der Kirchengemeinde noch weite Wege zu Gesprächen mit Politik, Behörden und Geldgebern aus der Gesellschaft zu gehen sein. Hoffentlich gibt es eine große Resonanz aus der Bevölkerung zur Einladung zum Besuch dieses „Denk ´mal! –Tages“, denn die Einstellung und das Verhalten der Leeraner werden am Ende entscheidend sein, was aus der Krypta wird.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Hilferuf für ein besonderes „Denk´ mal!“ in der Stadt Leer