DIE KOLUMNE – Landkreis Leer: Personalaufbau als Mittel gegen Führungs- und Strukturschwäche?

Artikel teilen

Wäre die Kreisverwaltung Leer ein Unternehmen, dann würde sie sich über eine steigende Zahl an Kunden und damit Mehrarbeit freuen. Wäre die Kreisverwaltung ein Unternehmen, dann würde sie feststellen, dass leider jeder dieser Kunden ein „wirtschaftliches Minusgeschäft“ ist. Aufwand und Ausgaben decken Kosten und Einnahmen nicht. Wäre die Kreisverwaltung ein Unternehmen, dann würde sie angesichts dieser Faktoren die Kunden reduzieren bzw. deren Betreuung wirtschaftlicher gestaltet. Aber: Die Kunden der Kreisverwaltung sind keine „normalen“ Kunden. Sie gehören zur steigenden Zahl der Leistungsempfänger im Bereich Teilhabe und Soziales. Was ein Unternehmen machen würde? Überlegen, wie die Mehrarbeit effizienter organisiert werden kann. Gesagt – getan. Der Kreis hat das auch gemacht: Er hat eine Organisationsuntersuchung und Stellenbemessung im Amt für Kinder, Jugend und Familie vornehmen lassen. Allerdings: Anders als bei einem Unternehmen, das wirtschaftlich nicht klarkommt, lautet die Lösung für die Kreisverwaltung: Neueinstellungen.

Der Kreistagspolitik wurde nun der Vorschlag vorgelegt, weitere insgesamt 17 Stellen zu schaffen – und das, obwohl bereits von einem Minus von 24,54 Mio. Euro für das Jahr 2024 ausgegangen wird. Die neuen Stellen sind das greifbarste Ergebnis der Studie der Hamburger con_sens-Constulting. Beim Blick in die 166-seitige Analyse dürfte den Kreistagsabgeordneten vieles mehr klar geworden sein. Die Verwaltung ist – auf jeden Fall in diesem Dezernat – alles andere als ein effizienter, kostenorientierter Dienstleister für die Bürger, die Leistungen sind auch mit Blick auf eine  professionelle Aufgabenwahrnehmung – vorsichtig ausgedrückt – „verbesserungswürdig“.

Die Hamburger Experten haben zwölf Empfehlungen gegeben, die teilweise deutlich formuliert sind. Das überrascht, schließlich ist der Kreis ja der Auftraggeber. So wird angeraten, eine neue Aufbauorganisation mit eindeutigen Vertretungsregelungen sowie ein „Fach-und Finanzcontrolling“ (!), das eng an die Aufgabenfelder Jugendhilfeplanung, Angebotsplanung und Entgeltvereinbarungen angebunden sein soll, zu schaffen.

Ach ja, und dann wurden die Mitarbeitenden auch nach ihrer Meinung gefragt. Eines der Ergebnisse: Nur 28 Prozent beschreiben das Betriebsklima mit gut, 60 Prozent mit weniger gut und 12 Prozent mit gar nicht gut. Wäre die Kreisverwaltung ein Unternehmen, dann wäre ein solches Ergebnis für die Eigentümer ein Grund zur extremen Sorge – zusätzlich zu den beängstigenden strukturellen Defiziten. Die Eigentümer würden umgehend das gesamte Haus durchleuchten lassen in der Hoffnung, alle Defizite zu erkennen und noch die Kurve zu bekommen, statt handlungsunfähig zu sein oder – einfacher ausgedrückt – „pleite“ zu gehen.

Die Kreisverwaltung jedoch kann nicht „pleite“ gehen. Spannend wird daher, wie die Kreistagspolitik mit den Erkenntnissen umgeht. Zu befürchten ist, dass die neuen Stellen, die die Analyse teilweise auch mit der anfallenden Mehrarbeit begründet, durchgewunken werden. Dann gilt wieder der (Behörden-)Grundsatz: Der Führungsschwäche begegnet man am besten mit mehr Personal. Diese Denkweise beherrscht die Chefetage im Kreishaus. Seit 2015 stieg die Zahl der Stellen von 773 auf beachtliche 1134. Die Schwächen in der Führung und Organisation konnte Landrat Matthias Grote nicht beseitigen. Zudem gehen nun auch noch die Finanzen in den Keller. Gut, dass der Landkreis Leer kein Unternehmen ist.

Foto: Pexels.com

Holger HartwigDIE KOLUMNE – Landkreis Leer: Personalaufbau als Mittel gegen Führungs- und Strukturschwäche?