DIE KOLUMNE: „Leer-kann-mehr“-Bürgermeister wird zum Leeraner „Schuldenmeister“

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 Das, was in diesen Tagen im Leeraner Rathaus final vorbereitet und durch die Politik beschlossen wird, ist ein radikaler Kurswechsel. Über zwei Jahrzehnte wurde alles getan, um von den „Miesen“ herunterzukommen. Nun sollen bis 2029 die Schulden der Stadt von derzeit 55,7 Mio. Euro auf über 112 Mio. Euro (!) ansteigen. Damit wird die Stadt einen Kreditbestand so hoch wie noch nie haben. Kurzum: Der „Leer-kann-mehr“-Bürgermeister Claus-Peter Horst wird vom Bürger- zum „Schuldenmeister“.

Oberflächlich betrachtet, trifft „Schuldenmeister“ als neue Betitelung zu, denn vorgesehen ist innerhalb von fünf Jahren eine Kreditaufnahme von 76,1 Mio. Euro. Um zu verstehen, was da gerade passiert, ist ein tiefergehender Blick erforderlich. Fakt ist: Diese Schulden werden aufgenommen, um mit insgesamt 96 Mio. Euro einen massiven Investitionsstau vor allem an den Schulen der Stadt abzubauen sowie andere, unverzichtbare Infrastruktur zu erhalten bzw. zu erneuern.

Genau an dieser Stelle – es werden mit den Schulden reale Gegenwerte geschaffen – liegt der Schlüssel für die Trendwende. Seit einigen Jahren müssen die Kommunen ihre Ein- und Ausgaben und ihre Werte – wie jedes Unternehmen – exakt erfassen. DOPPIK nennt sich das im Kommunalbereich. Zuvor galt über Jahrzehnte das Motto „Rein in die linke Tasche, raus aus der rechten Tasche“, d.h. es wurden nur simpel Ein- und Ausgaben in einer Überschuss- bzw. Defizitrechnung festgehalten. Mit der Einführung der DOPPIK wurde das anders. Nun wird in Leer alles so erfasst, wie es in der Anlagenbuchhaltung einer Firma immer üblich war. In Leer wurden zudem zwischenzeitlich alle Haushaltsabschlüsse seit 2014 im Eiltempo seit 2022 – endlich – nachträglich validiert, d.h. überprüft. Damit ist die Finanzplanung kein Blindflug mehr. Viel zu lange war das anders, weil schlichtweg immer wieder Planzahlen fortgeschrieben wurden.

Warum nun in diesem Ausmaß investiert werden kann? An den Fakten aus dem laufenden Geschäft (Ergebnishaushalt, vergleichbar mit der jährlichen Gewinn- und Verlustrechnung einer Firma) liegt es nicht. Dieses bringt auch in den kommenden Jahren ein sattes Minus. Erwartet wird ein Fehlbetrag von 42 Mio. Euro bis 2029. Das ist heftig, aber vor allem auch durch erhöhte Sozialausgaben (Transferausgaben) bedingt. Sie machen fast 50 Prozent der Gesamtausgaben aus. Es sind die sachlichen Notwendigkeiten, die die Neuverschuldung ermöglichen. Gegen gut durchkalkulierte und in der Sache zwingend erforderliche Investitionen in Schulen kann die Kommunalaufsicht beim Kreis, die das Finanzgebaren Jahr prüft und zustimmen muss, nichts einwenden. Es sind Pflichtaufgaben, es ist eine Finanzierung von Prestigeobjekten. Auf Platt ausgedrückt: „Wat mutt, dat mutt“. Ob die Stadt Leer bis 2029 bei über 120 Mio. Euro Verschuldung landen wird, ist offen. Im Rathaus hat man den „worst case“ angenommen und ausgeschlossen, dass auch aus den laufenden Einnahmen Handwerkerechnungen bezahlt werden können. Dabei wird in 2024 mit 44 Mio. Euro an Gewerbesteuer-Einnahmen das Rekordjahr in der Geschichte verzeichnet. Es kommt über diese Steuer fast doppelt so viel wie noch vor einigen Jahren in das Stadtsäckel. Leer profitiert mit seiner Wirtschaftsstruktur auch von der fortschreitenden Digitalisierung. Wo die Reise angesichts der aktuellen Konjunkturflaute und -krise hingeht, weiß niemand. Vorsicht ist angebracht und gut.

Fazit: Die Bezeichnung Leeraner „Schuldenmeister“ für Bürgermeister Horst könnte suggerieren, dass er Geld rücksichtslos verprasst, um bei einer möglichen Wiederwahl 2026 gut dazustehen. Das ist jedoch zu kurz gedacht. Es ist vielmehr der gemeinsame Mut von Rat und Verwaltung, durch klare Analysen Strukturdefizite zu erkennen und abzustellen. Dabei weitsichtig zu agieren, kostet viel Geld. Erfolgreiche Unternehmer machen es nicht anders.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: „Leer-kann-mehr“-Bürgermeister wird zum Leeraner „Schuldenmeister“