Wie würde die Leeraner Innenstadt aussehen, wenn nicht Ende der 1960er Jahre Leeraner Bürgerinnen und Bürger aktiv geworden wären? So wie der Kleemann-Beton-Bunker am Kreuzungspunkt der Mühlen-, Heisfelder- und Brunnenstraße. Bloß gut, dass das Engagement der Bevölkerung den Abriss-Irrsinn mit großspuriger Westtangente verhindert haben. Und was hat das mit heute zu tun? Sehr viel. Denn in diesen Tagen wird – mehr als 50 Jahre später (!) – hinter den Kulissen ein weiterer wichtiger Schritt für den dauerhaften Erhalt der Schönheit der Ledastadt gegangen.
Mitte Juli haben die Eigentümer von zahlreichen Immobilien in der Altstadt Post vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege bekommen. Im Beamtendeutsch hieß es: „Altstadtquartier Wörde/Norderstraße – Eintragung in das Verzeichnis der Kulturdenkmale“. Im Klartext bedeutet das: Die Behörde will Häuser und Grundstücke nach einer Ortsbesichtigung durch eine „aufgrund der geschichtlichen sowie städtebaulichen Bedeutung in das Verzeichnis der Kulturdenkmale nach § 4 Niedersächsischen Denkmalschutzgesetztes (NDschG)“ eintragen. Einziges Ziel: der Erhalt der Gebäude. Besser spät als nie – könnte man dazu sagen.
Insgesamt geht es um 37 Immobilien in den beiden Straßen und eine in der Faldernstraße. Das ist für Leer ein Anstieg um knapp 10 Prozent. Bisher sind stadtweit etwa 400 Objekte ausgewiesen, größtenteils in der Innenstadt. Im Leeraner Rathaus wird diese Ausweitung der Zahl der Denkmäler, die seit 2020 läuft begrüßt, da sie die bestehenden baurechtlichen Maßgaben untermauert. Zu jedem dieser Gebäude haben die Denkmalschützer die wichtigsten Fakten recherchiert und zusammengestellt. Schon spannend, was da so alles aufgeführt wird, beispielsweise, dass das Haus Norderstraße 27 in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Synagoge war. Die genannten Straßenzüge sind nach Expertenmeinung wohl bereits um 1600 entstanden. Die vorhandene Baustruktur sei noch heute wesentlich durch die historische Parzellierung bestimmt. Doch während in anderen Siel- und Seestädten Ostfrieslands repräsentative Fassaden die Ortsansicht am Hafen prägen, stehen in Leer die recht heterogenen Kaufmanns- und Packhäuser mit der Rückseite zum Anleger. Aus Sicht der Denkmalexperten besteht ein öffentliche Interesse am Erhalt. Das Quartier sei prägend für das Straßenbild von Leer und dokumentiere die Orts- und Stadtbaugeschichte in den einzelnen Entwicklungsphasen als ein anschauliches Zeugnis der Stadtbau-, Orts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht – was vor allem Besucher der Stadt machen – dürfte an den Darstellungen keine Zweifel haben.
Was die Unterschutzstellung für die Eigentümer, die ihre Bedenken dieser Tage einreichen konnten, bedeutet? Fluch und Segen zugleich, könnte man sagen. Zum einen werden sie noch stärker eingeschränkt, was bauliche oder nutzungsbedingte Veränderungen betrifft. Zum andern sieht das Landesgesetzt sogar vor, dass diese Denkmale neben Schutz, Pflege und Erhalt sowie wissenschaftlicher Erforschung auch „im Rahmen des Zumutbaren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ sollen. Zudem sollten sie möglichst mit Informationsschildern versehen werden. Auch kann – aber das ist eine Seltenheit – eine Enteignung vorgenommen werden. Immerhin: Wer Eigentümer eines Baudenkmals ist, der kann bei Unterhalt und Investitionen auf staatliche Zuschüsse – bis zu 30 Prozent der Gesamtaufwendungen – hoffen und profitiert von steuerlichen Erleichterungen.
Für die Leeraner und die Gäste von außerhalb ist der Schritt des Landesamtes so oder so ein Gewinn. Denn selbst, wenn ein Kleemann-Bunker 2.0 gesellschaftlich heute ebenso wie damals nicht im Ansatz mehrheitsfähig wäre, stellt es rechtlich sicher, dass kein Schindluder mehr betrieben werden darf. Und das ist gut so. Wichtig wird es sein, dass das Wohnen – und auch Arbeiten – in dem Quartier in Hafennähe weiter attraktiv bleibt. Denn nur wenn Denkmal nicht gleich Museum bedeutet, bleibt Leer lebendig, schön und attraktiv.