Gemeinderäte, Stadträte und Kreistage fassen in jedem Jahr unzählige Beschlüsse. Einer davon, der diese Woche in der Stadt Leer gefasst wurde, hat es verdient gleich als historisch. bezeichnet zu werden – auch wenn man mit diesem Adjektiv lieber zurückhaltend umgehend sollte. Es geht um die millionenschwere Schulbauoffensive in den kommenden Jahren. Warum ist der Beschluss besonders? Gleich aus mehreren, ganz unterschiedlichen Gründen.
Grund 1: Bei einem so weitreichenden Thema hat der Rat über alle Parteien und Gruppierungen hinweg eine Einigkeit gezeigt, die nur selten in den vergangenen Jahrzehnten in der Ledastadt zu erkennen war. Lokalpolitik sollte normalerweise immer frei von parteipolitischen Interessen sowie Macht- und Personalspielchen untereinander und mit oder gegen die Verwaltungsspitze sein. Dass es oft anders ist, kennt Leer aus vergangenen Legislaturperioden zur Genüge. Schön, dass es bei dem Thema Schulen nun anders ist.
Grund 2: Erstmals legen sich alle Parteien der Stadt fest: Die Kinder der Stadt und ihre Perspektiven stehen ohne Wenn und Aber an allererster Stelle! Bis zu 15 Millionen Euro wird die Schulbauoffensive in den kommenden Jahren kosten. Das ist – neben Erneuerung der Südringbrücke – der größte Posten bei einer Verschuldung und Haushaltslage, die in den kommenden Jahren eher wieder angespannt sein dürfte. Andere Vorhaben, die auch notwendig sind, werden hinter die Schulerneuerungen gestellt. Die Schulen werden – zu lange ist zu wenig passiert – endlich „up to date“ – digital, modern und für den Ganztagsbetrieb ausgestattet und, wo es möglich ist, dazu noch komplett barrierefrei. Wann genau was passieren wird, kann jeder Interessierte jederzeit im Ratsinformationssystem auf der Internetseite der Stadt Leer bis ins Detail nachvollziehen.
Grund 3: Die Verwaltung hat es geschafft, endlich wieder konsequent das zu machen, was man eigentlich als Standard erwarten sollte: langfristige und strategische Überlegungen. So zu arbeiten, kostet viel Kraft und bedeutet, sich nicht ausschließlich von aktuellen Aufgaben treiben zu lassen. Knapp 1000 Stunden sind in vielen Fachbereichen im Rathaus nach Schätzungen insgesamt investiert worden, bis das etwa 100 Seiten starke Papier zur Beschlussfassung auf dem Tisch liegen konnte. Alles ist durchleuchtet worden, unzählige Gespräche wurden geführt, teilweise wurde auch mal heftiger diskutiert, um abzuwägen, wann welche Schule wie an der Reihe sein soll. Die Kommunikation mit der Politik und allen Akteuren hat dabei über ein Jahr hinweg nahezu für die Öffentlichkeit geräuschlos funktioniert. Es gelang, ohne großes „Theater“ durch die Zeit zu kommen. Das zeigt, dass es doch geht, neben dem immer hektischer werdenden Tagesgeschäft in Zeiten von Personalknappheit Schwerpunkte zu setzen. Von daher darf man optimistisch sein, dass diese Herangehensweise in Leer auch bei anderen Themen funktionieren kann.
Grund 4: Der Beschluss hat maximale Langzeitwirkung. Das, was auf den Weg gebracht wird, wird seine nachhaltige Wirkung erst in zwei Jahrzehnten zeigen, wenn die meisten Akteure in der Politik und im Rathaus nicht mehr aktiv sein werden. Die Kinder, die in modernen Schulen mit guten Bedingungen hoffentlich viel lernen, werden in 20 bis 30 Jahren – pardon für die harte Formulierung – besser „arbeits-, leistungs- und lebensfähig“ sein. In den ersten Schuljahren werden bekanntlich die Grundfähigkeiten – und auch viele Tugenden – vermittelt. Das bedeutet in Summe, dass die Wirtschaft der Stadt besseres Personal finden wird. Und: Es bedeutet dann hoffentlich auch, dass weniger dieser Kinder im Erwachsenenalter Transferleistungen erhalten müssen und sich selbst finanzieren können. Kurzum: Die Millionen für die Schulen und Bildung – Achtung Binsenweisheit – sind sehr gut investiertes Geld. Weitere gute Gründe, warum die Bezeichnung historisch passt, würden sich sicherlich finden lassen, je länger man über die Nachhaltigkeit dieses Beschlusses nachdenkt.
Grund 5: Es ist ein Ratsbeschluss, wie er mit seinem weitreichenden langfristigen Inhalt eher selten ist. Er gibt die Richtung vor und so der Verwaltung für das Handeln die notwendige Sicherheit. Alles, was jetzt angepackt wird, kann in Bezug auf diesen Beschluss geschehen. Das wird verhindern, dass Wahlkampf oder andere Interessen die grundsätzliche Vorgehensweise torpedieren könnten. Zudem ist Fakt: Es ist ein Beschluss des Rates und somit der „höchste“ politische Beschluss, den es gibt. Alle Parteien wissen, was es bedeuten würde, daran aus welchen Gründen zu rütteln. Jede (kurzfristige) Diskussion, wenn es um Schulthemen geht, wird um diesen Beschluss nicht herumkommen.
Mit der Entscheidung wartet nun viel Arbeit auf die Verwaltung. Es gilt, in die Detailplanungen zu gehen, Fördermöglichkeiten zu prüfen und im Dialog mit den Akteuren an den Schulen und in den Quartieren die Voraussetzungen zu schaffen, damit auf Worte Taten folgen. Gefordert sind dabei auch die Schulleitungen und Lehrer. Zum einen, weil sie die Neugestaltung ihrer Schulen aktiv mitgestalten sollten. Zum anderen, weil sie auch die schwere Aufgabe haben, mit den vorherrschenden Bedingungen noch einige Zeit klar zu kommen. Vor allem aber auch, weil sie bei den Eltern um Verständnis werben müssen, dass die Schule ihrer Kinder möglicherweise erst in X Jahren an der Reihe sein wird.
Anspruchsvoll wird die Aufgabe allerdings auch für die vielen Ehrenamtlichen in den Vereinen, denn: Ganztagsschulen haben auch Einfluss auf das Freizeitverhalten der Kinder. Hier wird es darum gehen, möglichst abgestimmt mit Schulen und Jugendhilfe der Stadt – sie wird noch mehr vor Ort sein müssen als bisher und Home-Office wird in diesem Bereich hoffentlich ein Fremdwort bleiben – zu agieren. Wie das Miteinander funktionieren kann, dafür gibt es bereits Beispiele in der Stadt. So gibt es an der Plytenbergschule eine FSJ-Stelle – FSJ steht für freiwilliges soziales Jahr -, die sowohl an der Schule als auch für den SC 04 Leer agiert.
Fazit: Der Beschluss ist der Startschuss für eine mögliche Erfolgsgeschichte. Drücken wir die Daumen, dass alle Beteiligten sich der Bedeutung des Beschlusses bewusst sind und – wie im vergangenen Jahr geschehen – und dass die Kinder und ihre Perspektiven dauerhaft an erster Stelle stehen.