Schlimmer geht nimmer – das sollte meinen, wer von außen auf die Beziehung zwischen der Stadt und dem Kreis Leer schaut. Stress mit Klage bei der Höhe der Kreis- und Sonderumlage, seit Jahren kein wirkliches Vorankommen beim EWE-Campus und auf der Arbeitsebene bei Planungs- oder Baugenehmigungen immer wieder Konfrontationen. Die werden nicht öffentlich, weil private Investoren beteiligt sind. Jetzt kommt es doch noch schlimmer: Die Vertreter der Stadt Leer werden – Stand heute – in der in Kürze anstehenden Gesellschafterversammlung der Leer-Nord GmbH den vom Kreis entwickelten Verträgen mit Tennet nicht zustimmen. Im Klartext: Die millionenschwere Ansiedlung droht zu scheitern.
Was ist passiert? Die Vorteile der Ansiedlung des Energiegiganten sind unbestritten. Alle wollen Tennet. Gerüchte, dass ein Unternehmen aus dem Leeraner Hafen die Ansiedlung und den Ausbau des EmsPort verhindern will, sind nur Gerüchte. Allerdings: Damit Tennet in der Kreisstadt investiert, kommt es für die Stadt auf Feinheiten an. In den durch den Kreis erarbeiteten Vereinbarungen mit Tennet sollte alles durchdacht sein, meint man. Es geht um richtig viel. „Nein“, sagt dazu die Stadtverwaltung. Den Vertrag könne die Stadt nicht gegenzeichnen, bestätigen auch die juristischen Berater der Rathausspitze. Warum? Ganz einfach: Kommt es zur Vertragsunterschrift, könnten langfristig massive finanzielle Verpflichtungen auf Stadt und Kreis zukommen. Verkürzt zusammengefasst: Tennet könnte Investitionen in die Infrastruktur – z.B. in den EmsPort-Ausbau oder Gleisanschluss – einfordern. Die Stadt und der Kreis müssten umsetzen oder Regress zahlen. Leers Bürgermeister Claus-Peter Horst soll Landrat Matthias Groote (SPD) mehrfach auf die „gefährlichen“ Vertragsklauseln hingewiesen haben – ohne Erfolg. Somit blieb der Stadt nur, die Notbremse zu ziehen. In einer kurzfristigen Sondersitzung (!) des städtischen Verwaltungsausschusses wurde diese Woche mehrheitlich festgelegt, dass die Stadt die Ansiedlung unter diesen Umständen ablehnt.
Nur Juristen oder Gerichte können final beurteilen, ob und in welchem Umfang die Befürchtungen der Stadt eintreffen könnten. Der Umgang mit dem Thema zeigt aber ein weiteres Mal: Landrat Groote steckt entweder nicht tief genug im oder verkennt die Bedeutung eines Themas und hat obendrein wohl schlechte Berater an seiner Seite hat. Die Argumente der Stadt zu ignorieren und damit Situation so eskalieren zu lassen und die Ansiedlung zu gefährden – das macht nur noch fassungslos. Professionalität geht anders.
Ist die aktuelle Entwicklung verwunderlich? Nein. Der Landrat hat im Umgang mit Konflikten seine ganz eigene Art. Wenn´s irgendwo „brennt“, delegiert er oder gründet einen Arbeitskreis. Auch bei dem Thema Kreisumlage ist das so. Dort klagt bereits die Stadt gegen den Kreis. Weitere Kommunen verlieren die Geduld, weil kein Kompromiss in Sicht ist. Einige Bürgermeister sagen in Hintergrundgesprächen mittlerweile deutlich, dass nicht mehr viel fehlt und sie klagen auch gegen den „eigenen“ Kreis wegen der (zu hohen) Umlage klagen. Auch hier droht aus einem lodernden Feuer ein Flächenbrand zu werden.
Was denkt sich der Landrat bei seinem brüskierenden Vorgehen? Zu wenig. Hofft er beispielsweise bei der Kreisumlage, dass es sich das Thema gerichtlich bis Herbst 2026 hinzieht und sich dann – sofern er nicht zur Wahl wieder antritt – ein Nachfolger damit herumschlagen muss? Allerdings: Die Tage, an denen der Geduldsfaden – wie bei der Stadt Leer bereits mehrfach – bei Grootes Gesprächspartnern bis 2026 reißt, werden zunehmen. Es sei denn, es kommt bei den Sachthemen noch ein fundiertes „Groote-Wunder“, d.h. fachlich versierte, tragfähige Kompromisse.
Zurück zu Leer-Nord: Die nächsten Monate werden spannend. Der wertgeschätzte Geschäftsführer Dieter Schröer (73), der nach seiner Pensionierung als Wirtschaftsförderer des Kreises für Leer-Nord zum erfolgreichen Gestalter wurde, steigt auf eigenen Wunsch aus zum 31. März 2025. Einziger verbleibender Geschäftsführer ist dann Landrat Groote. Der hatte ja im Frühjahr seinen Rückzug mit Blick auf Arbeitsbelastung etc. für sich „beschlossen“, dann aber einen Rückzieher gemacht. Nun müssen sich Stadt und Kreis einig werden, wie es weitergeht. Gegenseitiges Vertrauen in Professionalität und Qualität der Arbeit sind angesichts des Dramas um Tennet infrage zu stellen.
Fazit: Man kann nur hoffen, dass es gelingt, bei Tennet doch noch die Kurve zu kriegen und dann einen neuen Geschäftsführer – vielleicht ja sogar in Vollzeit – zu gewinnen. Fest steht: Bleibt die Stadt Leer beim Nein und Tennet springt ab, braucht es kein Entwicklungsmanagement mehr. Dann sind sowohl diese wohl für Leer-Nord einmalige Chance als auch der gesamte Standort gleichermaßen „tot“.
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