Der Gesetzgeber hat die Stadt Leer zum Handeln gezwungen. Aufgrund steuerlicher Vorgaben im Umsatzsteuergesetz können die Stadtwerke nicht mehr als Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) weitergeführt werden. Viele der Aufgaben, die diese Tochter seit 2008 für die Stadt übernommen hat, hätten ab 2023 mit Mehrwertsteuer versehen werden müssen. Die Folge: 19 Prozent höhere Kosten für das Stadtsäckel. Das wären bei der aktuellen Konstellation pro Jahr etwa 500.000 Euro gewesen.
Um dieser Mehrbelastung zu entgehen, ist jetzt hinter den Kulissen ziemlich geräuschlos eine Lösung vorbereitet worden, die nun umgesetzt wird. Dabei war ein wesentlicher Faktor, dass der Leeraner Bürgermeister Claus-Peter Horst bis zu seinem Wechsel an die Rathausspitze (Gründungs-)Chef der Stadtwerke war. Er kennt beide Seiten der Medaille – und hatte doppeltes Interesse an einer funktionierenden Lösung.
Die Stadtwerke werden zu einem Eigenbetrieb der Stadt, so trocken beschreibt man diesen Vorgang im Amtsdeutsch. Was insgesamt dahinter steckt, verrät ein genauer Blick auf die Details. Ein Eigenbetrieb ist – anders als eine AöR – lediglich eine Organisationsform eines kommunalen Unternehmens und keine rechtlich eigenständige Firma bzw. Rechtsform. Er wird als kommunales Sondervermögen ausgewiesen und stellt jährlich einen Wirtschaftsplan auf. Dieser Eigenbetrieb wird – wie bisher – verantwortlich bleiben für den Hafenbetrieb, den Baubetriebshof, die Wasserversorgung, die Stadtentwässerung und die technische Verwaltung. Die Struktur der Mitarbeitenden bleibt erhalten, sie werden nur wieder direkt bei der Stadt angestellt sein.
Die aus dem Berliner Finanzministerium aufgrund einer Rechtssprechung erzwungene rechtliche Veränderung bietet nun mehr Chancen als Risiken.
Als erstes ein Blick auf die Nachteile: Eine AöR hat im Gegensatz zu einem Eigenbetrieb die Möglichkeit, auch für Dritte Leistungen zu erbringen und damit die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Das allerdings war in den fast 15 Jahren nur Theorie statt Praxis.
War es deshalb falsch, vor vielen Jahren eine Ausgliederung der Stadtwerke samt Baubetriebshof vorzunehmen? Nein. Denn die wirtschaftliche Bilanz der Stadtwerke spricht eine eindeutige Sprache. Gestartet mit einem Vermögen von 60 Millionen Euro, wird der Bereich nun bald mit einem Vermögen von voraussichtlich 76 Mio. Euro wieder eingegliedert. Das ist das Eine. Das noch Bedeutsamere ist: Die Aufgaben, die die Stadtwerke übernommen hatten, sind wirtschaftlich aufgestellt und kein Minusgeschäft mehr. Unternehmerisches Handeln hat sich zu hundert Prozent durchgesetzt. Insofern machte es auch absolut keinen Sinn, sich über eine Zerschlagung der bisherige Strukturen Gedanken zu machen.
Zu den sinnvollen Synergieffekten wird gehören, dass der gesamte Bereich des Straßenbaus zusammengefasst wird. Die Abteilung Kanalbau/Kanalplanung der bisherigen Stadtwerke wird im Eigenbetrieb um die bisherige städtische Abteilung Straßenbau erweitert. In der Praxis bedeutet das: Die Verwaltung plant, die gesamte Umsetzung macht der Eigenbetrieb. Zeiten, in denen zwei Auftraggeber eine Baustelleneinrichtung für dieselbe Straße mit doppelten Kosten veranlassten (kein Witz, das hat es gegeben), dürften vorbei sein.
Ein weitere Effekt ist, dass der Bürgermeister es jetzt noch leichter haben dürfte, die Außendarstellung der Stadt aus einer Hand zu professionalisieren. Ursprünglich plante er, eine Stelle Medienarbeit je zur Häfte aus dem Etat der Stadt bzw. Stadtwerke zu finanzieren. Nun ist sowieso in letzter Konsequenz alles unter einem Dach.
Ist die Rückkehr der Stadtwerke zum städtischen Eigenbetrieb auch verbunden damit, dass Horst nun „Chef vom Ganzen“ ist und seine Machtfülle steigert? Auf den ersten Blick ja. Allerdings: Bürgermeister, Politik und die Stadtwerke-Führung sind sich einig, dass es für eine weitere gute Zukunft des Eigenbetriebs sinnvoll ist, dass die bisherigen auch ökonomisch bewährten Strukturen erhalten bleiben.
Hinter den Kulissen werden gerade alle rechtlichen Möglichkeiten ausgelotet. Ziel: die maximale Eigenständigkeit. Bürgermeister Horst jedenfalls hat dem Vernehmen nach kein Interesse, durch die Hintertür wieder voll in der Verantwortung zu stehen. Damit der Betriebsleiter – so wird der heutige Stadtwerke-Vorstand dann heißen – und sein Team frei und erfolgreich weiterarbeiten können, muss allerdings die Politik mitspielen. Der Rat muss diversen Sonderregelungen zustimmen, beispielsweise auch einem Teilpersonalrat, mit denen dann der Betriebsalltag geregelt werden kann. Das dürfte aber nur Formsache sein, denn jedes Ratsmitglied dürfte erkannt haben, dass die Stadtwerke als wirtschaftsliches „Erfolgsmodell“ möglichst weiter effektiv arbeiten sollten.
Fazit: Durch die Integration des Vermögens der Stadtwerke in den Schoß der Stadt, die Synergieffekte und den Umstand, dass eine höchstmögliche Eigenständigkeit weiterhin für unternehmerisches Denken und Handeln steht, ist aus der rechtlichen Vorgabe eine Chance geworden. Man darf gespannt sein, ob sie wie angedacht genutzt wird.