Es ist die Zeit, in der der Grenzübergang in Bunderneuland ein beliebtes „Reiseziel“ ist. Die Zöllner kontrollieren – und auf der anderen Seite der Grenze warten kleine Buden auf die Besucher. Preiswerte Zigaretten, dazu für die Kinder gerne mal doppelt gesalzene Lakritz und wer einen „Diesel“ sein Eigen nennt, der fährt noch in den kleinen Ort Neuschanz – das Bad gibt es damals im Namen noch nicht – weil auch der Kraftstoff jenseits der Grenze deutlich günstiger ist. Genau in dieser Zeit vor 46 Jahren wird der Grundstein für eine deutsch-niederländische Erfolgsgeschichte gelegt. Eine Geschichte, die allein im Zeitraum von 2014 bis 2022 etwa 56 Millionen Euro in die Region „holt“.
Es ist das Jahr 1977, als Politiker und Vertreter von Institutionen auf beiden Seiten der Grenzen Weitsicht beweisen. Es ist das Jahr der Gründung der bis heute größten grenzüberschreitenden Organisation – dem Zweckverband Ems Dollart Region (EDR). Was in den vergangenen 46 Jahren von 80 Partnern auf den Weg gebracht wurde und wie viele Millionen DM, Gulden und später dann Euro aus Brüssel für die Region akquiriert wurden, lässt sich leider rückwirkend nicht mehr exakt feststellen. Was sich feststellen lässt, ist, dass es fast keinen Lebensbereich gibt, in dem die EDR keine Spuren hinterlassen hat. Aus einer Zeit, in der die Menschen in den Nachbarländern noch viel zu oft den Zweiten Weltkrieg vor Augen hatten und es selbst bei Fußballturnieren mit Jugendmannschaften ab und an so richtig „krachte“, wurde ein partnerschaftliches Miteinander.
Das heutige Aufgabengebiet der EDR – der Sitz ist in einem Gebäude nahe der ehemaligen Zigaretten-Buden – ist umfangreich. Ein zentraler Bereich ist das Regionale Programmmanagement (RPM) für das EU-initiierte Interreg-Programm – man könnte dazu auch „Geldbeschaffungseinheit“ sagen. Grenzübergreifende Projekte vom Schulaustausch bis hin zu großen innovativ-technologischen Vorhaben mit Partner von beiden Seiten der Grenze stärken den Zusammenhalt und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit der Region. Neben vielen Investitionen in die Infrastruktur – wer kennt nicht die Internationale Dollart-Fahrradroute – ist der Fokus auch auf die Vermittlung der Sprache gerichtet. Während fast alle Niederländer schon sehr lange die deutsche Sprache sprechen und verstehen, war es auf deutscher Seite lange nicht üblich, Niederländisch zu können. Höchstens die deutschen Krimis mit niederländischen Untertiteln oder die Radiosender, die mit flotter Musik weit vor der Einführung des privaten Rundfunks junge Leute überzeugten, sorgten für rudimentäre Kenntnisse. Heute wird bereits in der Grundschule diese Sprachkompetenz gefördert oder mit „Digi+“ wurde sogar eine zweisprachige digitale Lernmethode für unterschiedliche Schulfächer entwickelt. Schulische, studentische, wissenschaftliche, kulturelle und unternehmerische Austauschformate runden das grenzübergreifende Angebot ab.
Seit einigen Jahren ist die EDR zudem auch für immer kleinere Vereine und Institutionen in der Region zum Ansprechpartner geworden. Kleinste Projekte widerlegen, dass Europa nur etwas für die großen Themen ist. Mit vereinfachten Antragsverfahren sorgen sie – die maximale Förderhöhe beträgt 25.000 Euro – für Freundschaft und Vertrauen, ein „Europa im Kleinen“ entlang der Grenze sozusagen. Wer allerdings glaubt, dass es einfach ist, an diese Gelder heranzukommen, der sollte mit Fördernehmern sprechen. Die werden berichten, dass trotz des gerne zitierten Bürokratieabbaus – und viel Hilfe von Seiten der EDR – der „Papierkram“ weiterhin herausfordernd ist, ganz egal, wieviel Euros das Projekt „bringt“. Diese Baustelle bleibt weiterhin für alle Projektpartner – in acht Jahren bis 2022 waren es allein 1.470.
Wie es in den nächsten Jahren bis zum Ende der Förderperiode 2027 weitergeht? Eine „Strategie No(o)rd“ setzt mit Kernthemen unter anderem auf die Förderung einer fortschreitenden Digitalisierung, eine aktiv gestaltete Energiewende, Lösungen für den demografischen Wandel und mehr Miteinander mit Blick auf Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Themen, die nicht überraschen und die EDR wohl mit allen anderen Europa-Regionen gemeinsam hat. Was es braucht, sind dabei weiterhin Niederländer und Deutsche, die Spaß daran haben, gemeinsam zu gestalten. Und wie sagte doch ein niederländischer Geschäftsmann vor einigen Jahren mal im Scherz: „Deutsche und Niederländer, das passt – solange es nicht um das Thema Fußball geht, denn dort regiert weiterhin die Rivalität.“ Dem ist wohl so, alles andere macht Mut, den EDR-Weg weiterzugehen.