Zeitenwende im Kreis Leer: Die „fetten Jahre“, in denen der Kreis Leer mit guten Finanzen – u.a. auch dank einer erhöhten Kreisumlage – agieren konnte, sind vorbei. Ausgerechnet die Mehrheitsfraktion aus SPD/Grünen/Junker ist es, die mit einem Änderungsantrag den geplanten Haushalt ihres Landrats Matthias Groote (SPD) zu Fall bringt. Die Wagenburg-Mentalität „Unser Landrat – meine Mehrheit“ bröckelt. Das für die Kreistagssitzung am Montag für den Beschluss vorgelegte Finanzpapier des Kreishauses öffentlich zu Fall zu bringen, ist eine Ohrfeige für Landrat Groote.
Was steckt dahinter? Die Verwaltung hatte einen Rekordhaushalt von 513 Mio. Euro vorgelegt und wollte dabei auch die Kreisumlage um vier Punkte erhöhen – wohlwissend, dass die Kommunen bereits jetzt „auf Zinne“ sind und die aktuelle Umlage juristisch anfechten. Der Konflikt mit den Städten und Gemeinden schwelt seit langer Zeit, dem Landrat und seiner Führungsmannschaft gelingt es nicht, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Nun setzt die Mehrheitsfraktion den Akzent, schreibt von einer „kommunalen Familie, die vor Kraftanstrengungen steht“. Statt vier Punkten plus bei der Umlage sollen es nur noch zwei sein. Macht etwa fünf Millionen Euro Mindereinnahmen. Dazu soll das Kreishaus Sparmaßnahmen prüfen. Die Mehrheitsfraktion will nun wissen: Sind alle kulturellen Einrichtungen erforderlich oder kann die Trägerschaft abgegeben werden? Sollten Gebühren für Dienstleistungen angepasst werden? Haben sich Doppelstrukturen in der Verwaltung entwickelt? Sind alle Beteiligungen des Kreises sinnvoll? Macht es Sinn, weiterhin ein Zentrum für Arbeit zu betreiben? Sind geplante Personaleinstellungen zwingend notwendig zur Aufgabenerfüllung? Wow, das sind viele sinnvolle Fragen, aber warum kommen diese erst jetzt? Und: Warum stellt der Landrat sich diese nicht selbst, sondern bekommt sie von der eigenen Mehrheitsgruppe aufgezeigt? Viele Jahre wurde die Personalstruktur üppig und fast unumkehrbar ausgeweitet Die Seniorenwohnanlage Heisfelde konnte mächtig-kräftige Millionenverluste ansammeln, die in Summe dem jetzigen Sparziel entsprechen. Die Mehrheitsfraktion ließ den Landrat und sein Team gewähren. Gab es Kritik, folgte seit 2016 die „Wagenburg-Mentalität“.
Noch spannender ist die Frage: Warum wird nicht als erstes der Konflikt mit den Kommunen um die Kreisumlage gelöst? Eine gleichbleibende Kreisumlage wäre ein deutliches Signal an die „kommunale Familie“, dass es nicht wie bisher weitergehen kann. Es wären dann rund 10 Mio. Euro – d.h. zwei Prozent – Mindereinnahmen. Müsste auch machbar sein, oder? Ganz abgesehen davon, dass 2025 erst der Anfang der finanziellen Zeitenwende sein wird. Für die kommenden Jahre werden Steueraufkommen und Zuwendungen von Land und Bund tendenziell eher weniger als mehr werden, die Sozialausgaben für Teilhabe werden weiter steigen. Wahrlich keine guten Perspektiven, wenn dann auch noch für den „Ärger in der Familie“ – wer kennt das nicht? – kein Ende in Sicht ist.
Die Finanzen sind nicht die einzige Baustelle des Landrats. Auf seine Stellvertreterin, Baudezernentin Jenny Daun, wird eine „heiße Phase“ zukommen, Nachdem die Bürgermeister aus dem Kreisgebiet bereits vor Wochen eine Wiederwahl aufgrund der Arbeitsweisen der Dezernentin in Frage stellten, forderte der Landrat „Belege“. Die Bürgermeister lehnten ab. Diese Aufgabe hat nun die CDU-Kreistagsfraktion übernommen. Alle Kommunen wurden gebeten, ihre „Erfahrungen“ samt Fakten aufzuschreiben. Erste Rückmeldungen liegen den Christdemokraten zwischenzeitlich – so ist zu Vernehmen – vor. Es ist davon auszugehen, dass die gesammelten Beispiele dem Kreistag und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Auch hier ist dann die entscheidende Frage: Steht die Mehrheit des Kreistags hinter dem Vorschlag des Landrats, Daun trotzdem wiederzuwählen? Oder kommt es auch hier zu einer Zeitenwende, weil der Druck aus der kommunalen Ebene nicht mehr abzuwehren ist? Eines wird der Landrat selbst erkennen: Gegen die Kommunen wird er auf Dauer nicht erfolgreich „regieren“ – pardon agieren – können, selbst wenn er 2026 von den Bürgern wiedergewählt werden sollte. Auch wird er wissen, dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass seine Hausmacht, die seit 2021 schon mit einer Stimme sehr knapp bemessen ist, ab 2026 weiter Bestand hat. Er wird wissen, dass die Zeiten in vielfacher Hinsicht unbequemer werden.
Bereits jetzt zeigt sich der Landrat fast ausschließlich bei angenehmen Terminen in der Öffentlichkeit. Geht es um kritische Themen wie die Kreisumlage, schwelen die Konflikte weiter und werden nicht wirklich „abgeräumt“. Zudem „versteckt“ sich Groote – wie bei der Kreisumlage – medial und lässt seinen Büroleiter Koenen agieren. Klare Botschaften des Kreishaus-Chefs gibt es – wenn überhaupt – in der Kreistagsrede. Aber da sind nur selten Zuhörer dabei. Das Agieren des Landrats wirft weitere Fragen auf: Reflektiert er sein Handel nicht mehr? Hat er die Lust und die Kraft, auch in schwierigen Zeiten als Boss voranzugehen? Kann er als Chef mit eigener Kompetenz und Weitsicht Konflikte lösen, Krisen erfolgreich managen, den „Sparkurs“ durchsetzen, und mit harter Hand agieren? Das alles wird er in den nächsten Jahren brauchen, vor allem, damit die „kommunale Familie“ nicht vollends zerstört wird. Matthias Groote selbst kennt die Antwort auf diese Fragen am besten.