Es ist der Dezember 1992. Berlin. Nachwendezeit. Navigationssysteme und Handys sind noch nicht erfunden. Ich bin Redakteur einer Wochenzeitung, die im gesamten Osten der Stadt erscheint. Für jemanden, der auf dem platten Land groß geworden ist und auch dort journalistisch aktiv war, ist in der Millionenmetropole, die aus Ost und West zusammenwächst, alles anders. Vor allem die Wege zu den Terminen…
Es ist ein Freitag. In der Redaktionskonferenz bekomme ich einen schönen Auftrag. Im Stadtteil Köpenick sind Drillinge zur Welt gekommen. Der Bezirksbürgermeister besucht die Familie und die Presse darf dabei sein. Für 15 Uhr ist das Treffen mit Kaffee und Kuchen bei der Familie angesetzt. Ok, von Mitte bis Köpenick – das ist schon ein Ende. Ich mache mich schlau, ob es eine gute Anbindung per S-Bahn gibt. Leider nein, zu weit draußen. Also entscheide ich mich, mit dem Auto zu fahren. Da ich mich wenig auskenne und kein Gefühl für die Verkehrslage in der Stadt habe, frage ich eine Berlinerin in der Redaktion, wieviel Zeit ich einplanen sollte. „Eineinhalb Stunden wäre für die etwa 15 Kilometer schon ganz gut“. Ok, wenn die das so sagt, dann werde ich das mal so machen. Lieber zu früh da sein als zu spät.
Bevor ich mich dann gegen 13.20 Uhr ins Auto setze, wird der Falk-Stadtplan – der gelbe, der sich so wunderbar ausfalten ließ – herausgesucht. Einmal den Weg „vorbereiten“, denn die Beschilderung in der ehemaligen Hauptstadt der DDR ist nicht wirklich umfangreich. Zudem ist die gesamte Stadt irgendwie eine Großbaustelle.
Ich komme pünktlich los. Der erste Teil des Weges ist flott zurückgelegt. Ich glaube, dass ich wohl viel zu früh da sein werde. Dann jedoch wendet sich das Blatt. Baustelle, Stau, Umleitung, Stau, Unfall, Stau. Die Zeit rennt und rennt. Ich werde nervös. Bald ist es 15 Uhr und das Ziel noch ziemlich weit entfernt. Umdrehen? Weiterfahren? Ich entscheide mich, weiter zu fahren. Selbst wenn der Herr Bürgermeister bereits lange wieder im Rathaus sein sollte, reicht es bestimmt für ein schönes Foto von der Mutter mit ihren drei Babys. Ich gehe das Risiko ein – heute würde ich über Handy anrufen und fragen, wie es aussieht.
Die Fahrt – oder besser das Vorwärtskommen im Schneckentempo – geht noch einige Zeit weiter. Ich nutze diese Zeit, um mir Gedanken zu machen, wie ich für die beste Stimmung sorge und irgendwie mein Zuspätkommen schön reden kann. So richtig fällt mir nichts ein. Mal sehen, vielleicht ist ja noch irgendwo kurz vor dem Ziel ein Blumenladen.
15 Uhr, 15.30 Uhr, 16 Uhr, 16.30 Uhr – immer noch im Auto. Dann gegen 16.50 Uhr komme ich an. Mein Glück: Ein Blumenladen um die Ecke. Also einen schönen Strauß gekauft und dann den Hauseingang und die Klingel suchen. Gesagt, getan. Die Tür öffnet sich und ich werde freundlich empfangen. Als ich mich gerade für meine fast zweistündige Verspätung entschuldige, wird mir ins Worte gefallen. „Das macht gar nichts, dass Sie jetzt erst da sind“, sagt mir die Oma. Das Büro des Bürgermeisters habe per Boten Bescheid sagen lassen, dass der Bezirksrathauschef erst gegen 17.30 Uhr eintreffen werde. Er habe im Stau gestanden auf dem Rückweg von einem Termin im Roten Rathaus… Ich erinnere mich, wieviele Steine purzelten. Denn es hätte sich nicht gut gemacht, bei dem ersten Termin, den mir meine neue Redaktion übertragen hatte, gleich nicht „liefern“ zu können. Der Kaffee und der Kuchen schmecken, die Drillinge sind gut drauf und als der Bürgermeister dann eintrifft, werden es auch wunderschöne Fotos voller Lebendigkeit und Freude.
Auch wenn dieses Erlebnis ein gutes Ende gehabt hat, habe ich seit diesem Tag die Termine (bloß nicht zu spät kommen) noch genauer geplant und seit es dann Handys gibt angewöhnt, mir die Kontaktdaten des Termins mitzunehmen, um bei einer Verspätung von mehr als fünf Minuten anzurufen. Dann weiß ich, ob es terminlich noch passt und die Wartenden wissen, dass ich auf jeden Fall komme.
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