Digitalisierung an Schulen: Modernisierung im „Schneckentempo“?

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Von Holger Hartwig

Die Pandemie hat aufgezeigt, was seit langem klar war: Die Schulen in Deutschland hinken bei der Digitalisierung hinterher. Zuletzt erweckten der bundesweite Digitalpakt den Eindruck, dass in den Schulen massiv aufgerüstet wird. Wie sieht es in Stadt und im Kreis Leer aus. Volle Kraft voraus oder doch eher „Schneckentempo“?

Die aktuelle Bestandsaufnahme zeigt: Es wird investiert, es geht in großen Schritten vorwärts, weitere Aufgaben bleiben. Für die Grundschulen in Leer hat die Stadtverwaltung beispielsweise einen Modernisierungsbedarf von noch einer Millionen Euro ermittelt. Unter Beibehaltung der Höhe der getätigten Investitionen aus dem Stadtsäckel wie in den vergangenen drei Jahre würde das mathematisch 36 Jahre (!) in Anspruch nehmen. Eine kritische Bestandsaufnahme.

Stadt Leer:

In den Jahren 2018 bis 2020 sind in die Modernisierung der Plytenbergschule, Hoheellernschule, Ludgerischule, Daalerschule und die Grundschulen Logabirum und Bingum insgesamt für alle Schulen in drei Jahren 63.600 Euro aus dem Haushalt der Stadt investiert worden. Hinzu kamen weitere 189.000 Euro aus dem Digitalpakt. Insgesamt wurde an allen Schulen investiert (siehe dazu auch die vollständigen Antworten der Stadt auf den Fragenkomplex).

 

Ziel: Angeschaffte Geräte sollen genutzt werden

Anschlüsse:

Die kleineren Grundschulen verfügen jeweils über einen 50 M/Bit-Anschluss, den größeren Grundschulen stehen 100 M/Bit-Anschlüsse zur Verfügung. Zukunftsfähige Glasfaseranschlüsse mit Bandbreiten von bis zu 1000 Mbit/s stehen den Schulen zur Verfügung und können – so die Verwaltung – in Betrieb genommen werden, sobald der Bedarf zur Nutzung dieser Anschlüsse besteht. Die bisherigen Breitbandanschlüsse genügen im Moment jedoch den tatsächlichen Anforderungen, heißt es.

Ausstattung:

Die Ausstattung der Schulen ist sehr unterschiedlich. Es gibt keine Vorgabe der Stadt zur Ausstattung der Schulen mit entsprechenden Geräten. „Jede Schule hat ein eigenes Medienkonzept und setzt die Schwerpunkte pädagogisch unterschiedlich. Ein Kollegium fängt früher mit dem Einsatz von IT-Medien an, als eine andere Schule, die später diesen Weg einschlägt oder pädagogisch andere Schwerpunkte setzt. Entsprechend wird von den Schulen bei den Haushaltsanmeldungen mehr oder weniger EDV-Ausstattung beantragt, wobei die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel letztendlich über die tatsächliche Umsetzbarkeit entscheiden“, schreibt dazu die Verwaltung. Und weiter schreibt dazu die Verwaltung: „Die Ausstattung richtet sich nach der Anforderung der Schulleitung im Rahmen der Haushaltsanmeldungen und den verfügbaren Mitteln. Ziel ist es, dass die angeschafften Geräte auch genutzt werden. Es ist nicht zielführend und auch nicht finanzierbar, z. B. sämtliche Klassenräume mit elektronischen Wandtafeln auszustatten, wenn diese nicht genutzt werden.“ (die genauen Ausstattungen je Schule sind dem verlinkten PDF zu entnehmen). Eine für alle Schulen geltende einheitliche Zielsetzung, wie die Schulen digital aufgestellt werden sollen, gibt es nicht. Tempo und Grad der Ausstattung würden durch die jeweiligen Schulleitungen und das Kollegium bestimmt.

Unterstützt wurde die Stadt bei den Ausstattungen der SchülerInnen und der Klassenräume auch durch Fördervereine.  In der Vergangenheit hätte Fördervereinen z.B. digitale Whiteboards, Lautsprecher für Whiteboards und auch Beamer beschafft. „Fast an jeder Grundschule gibt es einen Förderverein. Wobei die Spenden und Aktivitäten sich je nach pädagogischem Schwerpunkt der Schule deutlich unterscheiden. In Bezug auf die elektronische Ausstattung waren in der Vergangenheit z. B. die Fördervereine der Eichenwallschule und der Schule Bingum sehr aktiv“, so die Verwaltung.

Maßnahmen „so bald wie möglich umsetzen“

Nun der Blick auf die Höhe der Investitionen und die Anforderungen in den kommenden Jahren. Die Stadt hat ermittelt, dass – um alle Schulen zeitgemäß auszustatten – etwa 1 Mio. Euro erforderlich sind. Stand jetzt sind dafür Fördermittel in Höhe „von nur bis zu 237.000 Euro“ zu erwarten. Was das bedeutet? Wenn die Stadt weiterhin in der bisherigen Größenordnung in die Digitalisierung der Schulen investiert, werden dafür mathematisch – Stand jetzt – 36 Jahre benötigt. Zur Einordnung: Der Haushalt der Stadt für das Jahr 2021 umfasst insgesamt Investitionen von 15 Millionen Euro – darunter auch Anbauten (Mensa), Modernisierungen und Sanierungen der Schulgebäude. Aber auch Projekte wie die fahrradfreundliche Innenstadt (FaCit) mit einem Volumen von 1,4 Mio. Euro., die Sanierung der Uferpromenade oder der Umbau der Kreuzung am Bummert sind darunter.

Mit Blick auf die Finanzierung und Umsetzung der weiteren Digitalisierung heißt es aus der Verwaltung: „Der Rat hat entsprechende Mittel im Rahmen der Haushaltsberatung bereitgestellt. Die Maßnahmen sollen so bald wie möglich umgesetzt werden. Limitierender Faktor sind dabei die personellen Kapazitäten, Verfügbarkeit von Handwerkerfirmen und die Zeitfenster für Baumaßnahmen im Schulalltag.“

Landkreis Leer:

Umfangreich hat sich auch die Kreisverwaltung auf die Fragen zum Stand der Dinge der Digitalisierung an den kreiseigenen Schulen – u.a. Gymnasien, Berufsbildende Schulen – geäußert (siehe dazu auch die vollständigen Antworten des Landkreises auf den Fragenkomplex). Die Modernisierung der Schulen werde durch die Umsetzung der Förderrichtlinie „DigitalPakt Schule“ möglich und ergänzt den digitalen Wandel in den kreiseigenen Schulen des Landkreis Leer. Von dem im Förderzeitraum vom Bund bereitgestellten Mitteln erhält der Kreis Leer rund 10 Mio. Euro, davon 6,6 Mio. Euro auf die kreiseigenen Schulen entfallen. „Die Beträge setzen sich zusammen aus einem Sockelbetrag von 30.000 € je Schule sowie einem Pro-Kopf-Betrag pro Schüler*in“, heißt es.

Kreis will bis 2024 Klassenräume zukunftsfähig machen

Was ist bisher passiert? In den vergangen drei Jahren sind nach Angaben des Kreises über 2 Millionen Euro für IT-Maßnahmen in die kreiseigenen Schulen geflossen, davon 1,24 Millionen Euro aus dem Digitalpakt. Seitens des Landkreises sei eine nahezu identische Summe für die Anschaffung / Ersatzbeschaffung von Hardware (u.a. Monitore, Rechner, Notebooks, Beamer, Tablets, interaktive Tafeln oder Displays) sowie entsprechende Lizenzen und Software ausgegeben worden.

Anschlüsse:

Alle kreiseigenen Schulen sind ans Glasfasernetz angeschlossen und können diesen Anschluss im „Schulalltag/Distanzunterricht“ nutzen. Alle Anschlüsse sind im Down- und Uploadbereich synchron nutzbar. Die Bandbreite richtet sich individuell je nach Schulstandort / Schülerzahl, sodass die kreiseigenen Schulen mit Bandbreiten von 50 Mbit/s bis 600 Mbit/s versorgt werden. Eine Netzinfrastruktur ist in allen allgemein- und berufsbildenden Schulen vorhanden und nutzbar. Das Netzwerk wird aber im Rahmen des Digitalpakt Schule zukunftsfähig ausgebaut.

 Ausstattung:

Die aktuelle Ausstattung in nach Darstellung der Leeraner Behörde in Relation zu den Schülerzahlen mit PC-Arbeitsplätzen etc. zu setzen, ist bei 24 kreiseigenen Schulen und fast 15000 Schüler recht aufwendig. Alle kreiseigenen Schulen verfügen aktuell über mindestens einen EDV-Raum, Rechner und Notebooks in unterschiedlicher Zahl mindestens einen Klassensatz Tablets sowie über ein schulinternes Intranet. An Präsentationstechnik sind zwischenzeitlich vorhanden: Dokumentenkameras, Interaktive Tafeln, Display und Beamer (in unterschiedlicher Anzahl). Weiter heißt es pauschal: „Die Ausstattung richtet sich stark nach den Erfordernissen der jeweiligen Schule, aber auch an dem zur Verfügung stehenden Budget. Diese Ausstattung wird laufend fortgesetzt und ergänzt. Das Ziel des Landkreises ist es, alle Klassenräume mit Unterstützung des Digitalpaktes bis Ende 2024 zukunftsfähig – sprich mit einer stabilen Netzinfrastruktur und moderner Präsentations-/ Medientechnik – zu versorgen. Seit 2018 wurden für die Betreuung der IT in den Schulen zwei unbefristete Stellen und eine befristete Stelle geschaffen und auch besetzt.

Profitiert hat der Kreis auch durch eine Maßnahme des Landes im Zuge der Corona-Pandemie. Es gab eine Förderung von insgesamt 736.768,19 Euro, mit der 2000 iPads mit entsprechendem Zubehör beschafft wurden, die Anfang 2021 verteilt wurden.  „Die Anschaffungen dienen als Ausleihgeräte für das Homeschooling sowie zur digitalen Unterstützung der kreiseigenen Schulen“, schreibt der Kreis dazu.

 

Land in der Pflicht, Lehrer zu qualifizieren

In der Stellungnahme des Kreises heißt es weiter, dass „nicht zu vergessen ist, dass die Schulen Medienkonzepte erstellen müssen.“ Mit dem DigitalPakt Schule geht daher auch ein großer personeller und zeitlicher Ressourcenaufwand einher. Große Herausforderungen stellen zum Beispiel

  • die Aufnahme des Ist-Bestandes,
  • die Wartung und Betreuung der Systeme,
  • die Absprachen über den First-Level-Support,
  • die Beschaffung, Bereitstellung und Aufspielen von Apps,
  • die Überlegungen zu Ersatzbeschaffungen und deren Finanzierung,
  • die weitergehenden Überlegungen zu BYOD,
  • die Medienbildungskonzepte der Schulen und der Medienentwicklungsplan des Schulträgers,

für den Schulträger und die kreiseigenen Schulen dar. Auch eine Forderung an das Land wird deutlich formuliert: „Das Land muss im Rahmen der Aus- und Fortbildung für Lehrkräfte aktiv werden, denn Ziel des DigitalPaktes ist nicht die Digitalisierung der Schule, sondern die Schaffung der technischen Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte Bildung der Kinder und Jugendlichen im Landkreis Leer.“

Mit Blick auf die Möglichkeiten, wie Fördervereine oder Unternehmen der Region die digitale Ausstattung der Schulen unterstützen können, antwortet der Kreis:

„Es besteht immer die Möglichkeit, die digitale Ausstattung der Schulen zu unterstützen, sofern diese mit dem Medienkonzept der Schule und den Richtlinien des Schulträgers vereinbar ist.“ Eine solche Spende/Unterstützung sei im Vorfeld mit der Schule und dem Schulträger abzustimmen.

DER KOMMENTAR

 

Dran bleiben

Kinder sind die Zukunft. Kinder kosten Geld. Digitale Kompetenz wird die Schlüsselqualifikation der nächsten Jahrzehnte. Alles Binsenweisheiten.

Zugegeben, die Pandemie hat endlich Schwung in das Thema gebracht. Es wird soviel wie nie zuvor in die – überalteten – Bildungseinrichtungen investiert. Der Kreis ist dabei auf den ersten Blick weiter als die Stadt Leer – allerdings sind die Zahlen in Relation zu der Anzahl der Schüler und den Schultypen (Grundschulen vs. weiterführendenden Schulen) zu setzen.

Was nachdenklich macht, sind zwei Aspekte. An den Grundschulen entscheiden die Leitungen und das Lehrerkollegium, wie schnell es mit der Digitalisierung vorwärts geht. Schön beschrieben mit dem Lernkonzept. Unglaublich, dass individuelle Neigungen und Qualifikationen einzelner Lehrer entscheiden, was passiert. Und das in einem Land, in dem ansonsten (fast) alles durch DIN-Regeln bis ins Detail festgelegt ist. Hier ist es an der Zeit, dass der Träger festlegt, was in allen Schulen Standard werden soll. Aussitzen bis zur nächsten Lehrergeneration geht nicht.

Der zweite Aspekt sind die Euro Finanzen. Bezogen auf die Investitionen, die sich beispielsweise in Leer 2021 auf 15 Millionen belaufen, sind etwas über 20.000 Euro bei einem ermittelten Bedarf von einer Million Euro ein schlechter Witz. Stattdessen werden weiter Fahrradwege modernisiert…

Fest steht: Geld für alle Investitionen, die getätigt werden sollen, ist nie ausreichend da. Deshalb darf sich ja auch ein Journalist von Politik und Verwaltung mal etwas wünschen: Wie wäre es, wenn es nach der Kommunalwahl eine über alle Parteigrenzen hinweg Rundum-Bestandsaufnahme gibt und dann gemeinsam festgelegt wird, was von den vielen Aufgaben bis 2026 in welcher Reihenfolge Priorität haben soll, z.B. Fahrradwege oder Digitalisierung, Gewerbegebiete oder Uferpromenade? Das wäre ein klarer Plan und vielleicht würden Investitionen dann nicht mehr – so wie heute zu häufig – in Abhängigkeit von möglichen Fördergeldern gesehen. Diese Prioritätenliste wird dann beschlossen und dann kann anschließend gerne eifrig über die Ausgestaltung politisch diskutiert werden. Aber eines wäre klar: Die Stadt und die Bürger wissen, wo die Reise hingeht. Wünsche kann man ja haben…

Was die Digitalisierung betrifft, ist der Wunsch an Politik und Verwaltung: Dran bleiben und weiter Gas geben!

Holger Hartwig

Plytenbergschule

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