Schottergärten-Besitzer: Die Buhmänner in der Nachbarschaft

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 Respekt für den Landkreis und die Stadt Leer: Erst hat das Rathaus im vergangenen Jahr Grundstückseigentümer zum Rückbau der Schottergärten aufgefordert, nun hat vor wenigen Tagen der Landkreis Leer nachgezogen: Wer seinen Garten nicht von den pflegeleichten Steinansammlungen befreit, der muss mit einem Zwangsgeld rechnen. Es gilt das Motto „Nature first“- und doch ist es eine scheinheilige „Schaufenster-Politik“, die hier betrieben wird.

Zu dem rechtlichen Hintergrund: Das Schottergarten-Verbot ist durch die Niedersächsische Bauordnung (NBauO) gedeckt. Darin heißt es bereits seit 1974, dass „nicht überbaute Flächen Grünflächen sein müssen“. Einen Bestandsschutz gibt es daher nicht, wie auch das Oberverwaltungsgerichts Lüneburg im Januar 2023 bestätigt hat: Kommunen dürfen die Beseitigung von Schottergärten anordnen. Soweit eindeutig.

Zu den Zahlen: 422 „Todeszonen für Insekten“, wie sie von teilweise selbst ernannten Naturexperten gern bezeichnet werden, hat der Kreisgebiet bisher in der Samtgemeinde Hesel, in Weener und in Ostrhauderfehn. Die übrigen Kommunen sollen nach und nach nach „Sündern“ durchsucht werden. 214 Verfahren sind eingeleitet worden. Bei der Stadt Leer waren es 137 Verfahren, davon sind 47 noch nicht beendet. In Summe 559 Gärten in vier Kommunen. Auf den Kreis hochgerechnet, dürften es am Ende weit über 2.000 werden. Denn das „Schottergarten-Suchkommando“ (die Formulierung Polizei wäre wohl etwas zu hart), bestehend aus einem extra eingestellten Mitarbeitenden beim Kreis und einer 50%-Kraft bei der Stadt, ist weiter unterwegs. Wieviel Quadratmeter am Ende renaturiert werden, das wird von den Behörden nicht erfasst. Es werden wohl – wenn man von 400 Quadratmeter im Schnitt pro Fall aus – etwa 800.000 Quadratmeter bzw. 80 Hektar sein. Das liest sich gut.

Zu den Zwangsgeldern: In welcher Höhe – noch unbekannt. Hier „drückt“ sich beispielsweise der Kreis um eine Antwort. Es sei im Einzelfall festzusetzen und richte sich u. a. nach dem Umfang der erforderlichen Rückbaumaßnahmen. Bisher ausgesprochen wurde noch keines und das sei auch nicht das Ziel, so der Kreis. Es gehe um den Rückbau. Wer nicht „spurt“, den werden wohl nicht nur „ein paar Euro fuffzig“ erwarten, denn ein Rückbau kostet schnell mal mehrere tausend Euro. So weit, so gut.

Warum ist der Kampf gegen die Schottergärten trotzdem scheinheilig? Ganz einfach. Die Politik landauf landab schnappt sich die „Kleinen“, macht aber selbst im großen Stil weiter wie bisher. Deutschlandweit werden pro Tag (!) 50 Hektar Fläche versiegelt. Bis 2050 will die Politik auf „0“ kommen. Aber wie? Niedersachsenweit waren es 2022 5,6 Hektar pro Tag und im Kreis Leer werden täglich 0,1 Hektar verbraucht, macht 36,5 Hektar jährlich. Und es wird weiter geplant und verbraucht: In Leer etwa 11 Hektar für das erweiterte Gewerbegebiet Benzstraße, 63 Hektar für einen „modernen und nachhaltigen“ Wohn- und Gewerbestandort. 8 weitere Hektar könnten in einer WaIlhecken-Landschaft dazu kommen und weitere 92 für die Expansion des Industriegebiets Leer-Nord.  In allen anderen Kommunen des Kreises sieht es nicht anders aus. Auch dort ist Wachstum das Ziel – über neue Angebote, nicht über Nutzung bereits vorhandener Ressourcen durch Wirtschafts- und Demografiewandel. Wie gut, dass dann wenigstens die Hauseigentümer mit dem angeordneten Rückbau für Freude bei den Insekten sorgen. Hauptsache, sie pflegen ihre neuen grünen „Insekten-Oasen“ und lassen sie nicht verloddern, denn das würde die Nachbarn alles andere als freuen.

Ja und dann ist da noch die Sache mit dem Bestandsschutz. Fast 50 Jahre haben diese Schottergärten – Entschuldigung – keine Sau interessiert, bis es politisch „woke“ und mehrheitsfähig wurde, sich für die Natur an dieser Stelle stark zu machen. Dabei wäre statt einer Rückbau-Anordnung auch andere Wege möglich gewesen. Man müsste halt nicht in Niedersachsen sein Eigentum haben, sondern in Bayern. Dort hat die Landesbauordnung festgelegt, dass bestehende Schottergärten nicht zurückgebaut werden müssen. Bundesweit gibt es zudem Kommunen, die mit Prämien den Rückbau fördern, statt mit der Keule Zwangsgeld zu drohen. So geht es auch – ist aber halt weniger „woke“. Viel wichtiger wäre es stattdessen, dass die kommunale Politik ihren Flächenverbrauch konsequent reduziert, bei Bebauungsplänen beispielsweise eine Quote der Materialien aus der Kreislaufwirtschaft vorschreibt und das Schwammstadt-Konzept (Ziel. möglichst viel des anfallendes Regen- bzw. Oberflächenwassers vor Ort aufnehmen und speichern) aktiv angeht. Das wäre viel nachhaltiger, als „Ermittler-Jobs“ zu schaffen, die sich mit in Relation zum künftigen Gesamtverbrauch mit „Peanuts-Flächen“ befassen.

Symbolfoto: Pexels.com

Holger HartwigSchottergärten-Besitzer: Die Buhmänner in der Nachbarschaft

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