Von Moderationen, Schlangen und Staatschutz

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Als Redakteur scheint man prädestiniert dafür zu sein, Veranstaltungen und Diskussionsrunden zu moderieren.  Jedenfalls dauerte es nicht lange, bis ich erstmals das Mikrofon in der Hand hatte und an den unterschiedlichsten Orten mit den verschiedensten Themen in Aktion zu treten. Manches wirkt im Rückblick kurios, manches unvergesslich…

Ein nicht besonders attraktiver Ort ist 1993 der Hauptweg in einem Einkaufszentrum. Es geht um den Rostocker Zoo. Ein leicht und lockeres Thema. Allerdings, was ich nicht wusste: Der Zoo-Chef bringt einen tierischen Gast mit. Noch bevor ich mich wehren konnte, hatte ich eine große Schlange um den Hals. Die Stimme hat es mir trotzdem nicht verschlagen bzw. sie hat mir nicht die Luft genommen…

Zweite Erinnerung ist eine Politik-Podiumsdiskussion in der Festhalle der Ostfrieslandschau. Die Bundestagswahl steht an und die Kandidatinnen und Kandidaten sind auf dem Podium. Nur Fragen stellen und Antworten abwarten? Zu langweilig. Ich überlege mir also, mit den Gesprächsteilnehmern auch eine Aktionsrunde zu machen. Mit dabei ist unter anderem Reinhold Robbe. Er ist schon damals überzeugter Fahrradfahrer. Also liegt die Aufgabe auf der Hand. Wir haben einen aufgepumpten Fahrradschlauch mitgebracht und bitten einen Zuhörer, mit einem Nagel ein Loch in den Reifen zu stechen. Robbe soll dann auf der Bühne den Schlauch flicken. Das Flickzeug und der Eimer Wasser für den finalen Test stehen parat. Es läuft gut, Robbe spielt mit. Allerdings meint es der Zuhörer richtig gut. Er drückt den Nagel einmal quer durch den Reifen. Zwei Löcher also, aber nur einmal Flickzeug. Und beide Löcher zu schließen, würde auch zu viel Zeit kosten. Ich flüstere Robbe das Missgeschick zu. Aber was tun? Mein Vorschlag: Der Sozialdemokrat flickt das eine Loch und ich nehme den Schlauch fest in die Hand und während er aufpumpt, halte ich von unten das zweite Loch zu. Ob das funktioniert? Wir wissen es nicht. Wir überspielen die Situation und haben am Ende Glück, der Schlauch hält die Luft. Zumindest für den Moment. Wenig später ist dann Rudolf Seiters (CDU) dran. Er trägt gerne die unterschiedlichsten Brillen und darf an diesem Tag aus einem Brillenkoffer für den richtigen Durchblick bei seinen Mitstreitern sorgen. Er sucht ziemlich schräge Gestelle aus. Irgendwie kommt er dabei zu gut weg, denke ich. Spontan gehe ich ins Publikum und ein Zuschauer darf eine Brille für den Christdemokraten aussuchen. Die ist dann sowas von hässlich. Es wird viel gelacht – und ganz neben bei auch diskutiert und die weit über 100 Zuhörer halten bis zum Ende durch.

Nicht immer geht es so freundlich zu. Bei einem Talk im Jugendcafe in Leer einige Jahre später stürmen plötzlich Punker den Raum. Es ist klar: Sie wollen die Veranstaltung auf ganz besondere Art und Weise „befruchten“. Dieses Mal muss mir mein Gesprächspartner Hans-Michael Goldmann helfen. Ich flüstere ihm zu: „Herr Goldmann, tun sie mir mal bitte den Gefallen, und reden Sie mal ohne Pause einige Minuten am Stück, ich brauche Zeit zum Nachdenken“. Als er fertig ist, spreche ich die besonderen Gäste direkt an. Sie hätten ja nicht alles mitbekommen – deshalb sollten sie doch jetzt mal alle ihre Fragen stellen und danach würden wir mit unserer Veranstaltung weitermachen. Groß ist die Erleichterung, dass dieser Vorschlag angenommen wird. Nach 15 besonderen Minuten kann der Abend so weitergehen, wie er inhaltlich geplant war…

Heftig geht es einige Jahre später auch bei einer Diskussion in der Stadthalle in Papenburg zu. Schon im Vorfeld ist die Stimmung besonders, weil in der Region gerade die Auseinandersetzung über das geplante Kohlekraftwerk in Dörpen auf dem Höhepunkt ist. Dieses Mal sind vor fast 1000 Zuschauern die Bundestagskandidaten zu Gast. Schon im Vorfeld ist die Nervosität spürbar. Erst meldet sich eine teilnehmende Person und bitte darum, den Ablauf des Abends anders zu gestalten und kündigt zudem an, dass sie den Staatsschutz gebeten hat, vor Ort zu sein. Wenig später meldet sich auch der Staatsschutz persönlich. Ich mache dem Anrufer klar, dass ich absolut keine Befürchtung habe, dass es an diesem Abend zu Demonstrationen, Angriffen oder Ausschreitungen kommt. Ich könne mich auf meine Vorbereitung des Abends ganz gut verlassen, erwidere ich dem Anrufern sehr selbstbewusst. Warum ich mir so sicher bin? Ich habe einige Tage zu vor die Sprecher der Bürgerinitiative zu mir ins Büro gerufen zu einem lockeren Austausch, der auch sachlich gut verläuft. Während des Gespräches mache ich auch meine Erwartung deutlich: Es handele sich bei der Podiumsdiskussion um eine sachorientierte Veranstaltung des Medienhauses, bei dem auch über das Kraftwerk gesprochen werde. Sollten Gegner diese Bühne jedoch nutzen, um „Ärger“ zu machen oder Transparente auszurollen, würde ich den Abend sofort abbrechen. Und einer Sache könnten sie sich sicher sein: Das hätte dann auch eine entsprechende Berichterstattung zur Folge und würde auch in den kommenden Monaten nicht dafür sorgen, dass unter meiner Führung die Redaktion allen Themen immer offen gegenüber stehe. Die Botschaft kommt an. Der Abend bleibt ruhig. Allerdings bin ich schon mächtig angespannt gewesen. Vor allem, weil ein Mitglied auf dem Podium auf meine allererste Frage als Moderator gleich antwortet: „Ja, Herr Hartwig, das war ja zu erwarten, dass Sie nicht einmal die Frage eindeutig formulieren können. Was meinen Sie denn genau damit?“ Die Stimmung „in der Bude“ ist also trotzdem vom ersten Moment da. Und wie habe ich reagiert: „Liebe Politikerin, ich wundere mich nicht, dass Sie mir gleich so freundlich erwidern. Aber dann machen wir es doch so: Sie machen einen Vorschlag, wie die Frage korrekt lauten muss und antworten dann gleich darauf. Und dann sehen wir mal, wie das hier heute Abend weitergeht.“  Ich bin somit auch gleich auf „Betriebstemperatur“ – und ganz wichtig, das Lächeln nicht vergessen und die Faust nur unter dem Tisch ballen.

Es ist gut weitergegangen. Meine Glocke, die ich nutze, wenn ein Teilnehmer nicht über sich und seine Ziele, sondern nur über die Fehler und Unfähigkeit der anderen spricht, kommt nicht zum Einsatz. Es gibt auch keine Proteste der Kraftwerksgegner (sondern sachliche Fragen), kein Eingreifen des Staatsschutzes und stattdessen jede Menge schlagkräftige verbale Auseinandersetzungen. Nach drei Stunden ist auch dieser Abend geschafft. Und trotz dieser besonderen Herausforderungen an diesem Tag freue ich mich auf die nächste Talkrunde. Aber dazu – vielleicht – ein anders Mal mehr.

 

 

Holger HartwigVon Moderationen, Schlangen und Staatschutz