„HARTWIG am SONNTAG“ im Gespräch mit Jens Lüning, seit Jahresbeginn Stadtbaurat in Leer
LEER Erst war die Stelle vakant, dann folgte ein personeller Fehlgriff und nun hat ein „alter Bekannter“ die Aufgabe des Stadtbaurats in Leer übernommen: Jens Lüning. Der 51-Jährige ist nach sechs Jahren beim Landkreis in neuer Aufgabe in das Rathaus zurückgekehrt. Im Interview spricht er über seine Motivation und Prämissen, die ein städtischen Bauamt erfolgreich machen, und über Top 3 der wichtigsten Aufgaben der kommenden Jahre. Zudem spricht er sich für die Wärmeplanung und lehnt zu viel Regelwut oder Anschlusszwang an Fernwärmenetze ab. Weitere Themen: die Innenstadtentwicklung, der Wohnungsmarkt, der Fachkräftemangel und der Ausbau der Infrastruktur für Fahrradfahrer.
Herr Lüning, Sie sind zurück in der Stadtverwaltung Leer: Beschreiben Sie mit wenigen Worten, was sich seit ihrem damaligen Abschied Richtung Kreisverwaltung verändert hat?
Die Beantwortung dieser Frage ist zweischneidig, da ich ja jetzt als Führungskraft für den gesamten Bereich verantwortlich bin. Damit habe ich eine andere Perspektive als seinerzeit. Was ich feststelle, ist, dass wir im Rathaus insgesamt ein gutes, konstruktives Miteinander erleben und die Mitarbeitenden eine hohe Bereitschaft haben, eigene Vorschläge zu machen. Es gibt über die Fachbereiche hinaus eine funktionierende Zusammenarbeit, um Fundamente für Beschlüsse zu legen, die dann der Stadtrat treffen kann. Der Austausch mit der Politik ist sehr eng und zielführend. Das war aus meiner Erinnerung hinaus nicht immer so. Zu meinem Bereich: Ich habe ein kompetentes Team, das mich freundlich aufgenommen hat.
Die Stelle des Baurats war erst vakant, dann folgte eine „Fehlbesetzung“. Was hat Sie gereizt, sich der besonderen Situation zu stellen?
Für mich steht fest: Stadtbaurat zu sein, ist eine herausfordernde Aufgabe. Aus dieser Funktion heraus die Entwicklung meiner Geburtsstadt Leer aktiv gestalten zu können, ist für mich eine Ehre und zugleich auch eine Freude. Zu der Vergangenheit kann und will ich nur wenig sagen. Manchmal passt es halt nicht. Warum ich überzeugt bin, dass ich die Aufgabe meistern werde? Ich kenne Land und Leute, ich kenne das Rathaus aus meiner Zeit vor einigen Jahren, und ich habe sowohl als Angestellter in der freien Wirtschaft als auch als Selbständiger alle Perspektiven erlebt. Die Zeit beim Landkreis Leer im Gebäudemanagement hat zusätzlich auch noch den Blick „von außen“ auf die Stadt Leer mit sich gebracht. Natürlich ist es auch ein Karrieresprung, aber das ist nicht mein Antrieb gewesen, mich durch den Stadtrat wählen zu lassen. Leer ist ein Lebens-, Arbeits-, Lern- und Tourismusort mit vielen Facetten. Diese Facetten weiterzuentwickeln und dabei Altes zu bewahren und Neues zu schaffen, ist für mich das Ziel einer guten Entwicklung unserer Ledastadt.
Wie beschreiben Sie Ihre Vorstellung von Stadtentwicklung in den nächsten Jahren?
Auf diese Fragen die besten Antworten zu finden, ist eine gemeinsame Aufgabe der Bürger, der Politik und natürlich von uns als Stadtverwaltung. Es ist der beschriebene Spagat aus Zukunft und Tradition bzw. aus Tempo und Behutsamkeit. Für mich stehen in den nächsten Jahren folgende Themen im Fokus: die Umsetzung des Klimafolgen-Anpassungsgesetzes mit dem vorliegenden Konzept, und die Frage, wie die städtischen, aber auch die privaten Gebäude fit für die Zukunft zu machen sind. Die Balance aus Ökologie, Ökonomie und Lebensqualität zu finden, wird die Herausforderung sein. Natürlich wird unsere Stadt auch weiter wachsen müssen, hierfür sind mit neuen Gewerbeflächen und der Entwicklung von Industrieflächen gute Weichen gestellt. Zu den Chancen, die sich dadurch ergeben, gehört auch die Aufgabe, Wohnraum zu schaffen. Unser Wohnungsmarkt wurde als „angespannt“ definiert. Daher sollten wir im Planungs- und Baurecht Instrumente anwenden, die unkomplizierte Bauweisen ermöglichen. Bei alledem sage ich aber auch: Mein Verständnis ist, dass wir nicht nur das Ziel haben sollten, dass Leer in die Höhe wächst, sondern auch die „weißen Flecken“ im Stadtgebiet aktiviert werden. Stichwort: Behutsame Nachverdichtung.
Welche Aufgaben stehen für Sie auf den Plätzen 1 bis 3?
Darf ich auch vier Aspekte nennen? Priorität 1 hat – und das gehört für mich auch zur Stadtentwicklung – die beschlossene, millionenschwere Schulbauoffensive. Das ist kurz- und mittelfristig die wichtigste Aufgabe, denn gute Bildungsmöglichkeiten sind das Fundament für die Zukunft unserer Gesellschaft. Es ist aus meiner Sicht absolut zielführend gewesen, dass hier Politik und Verwaltung strategisch mit einer Bestandsaufnahme vorgegangen sind. Die Ergebnisse setzen wir nun um. Auf den weiteren Plätzen folgen gleichrangig die Themen moderne, nachhaltige Infrastruktur, Energiewende im Bereich Wohnen und Wirtschaft sowie attraktive Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten. Etwas nachrangig sehe ich das Thema Tourismus, auch wenn ich immer wieder von der Anziehungskraft unserer Stadt begeistert bin und erlebe, wie angetan – zurecht – die Gäste von Leer sind.
Ein erstes Konzept für eine städtische Wärmeplanung liegt nun vor. Was befähigt eine Bauverwaltung Ihrer Meinung nach über Energieplanungen in bisher marktwirtschaftliche Prozesse einwirken zu wollen?
Ich verstehe die Intention der Fragestellung durchaus. Wir als Kommune sind gesetzlich aufgefordert worden, eine Wärmeplanung mit Schwerpunktfestlegungen zu entwickeln. Das machen wir. Ich habe dazu eine klare Haltung: Unsere Aufgabe als Stadt kann es nur sein, Angebote zu schaffen und Vorranggebiete zu definieren. Was daraus wird, unterliegt marktwirtschaftlichen Prozessen, denn wir können und werden nicht den Hauseigentümern vorscheiben, ob sie auf eine eigene Wärmepumpe oder den Anschluss an ein Wärmenetzt setzen. Ich bin überzeugt, dass sich am Ende die besten Angebote mit dem Mix aus Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit durchsetzen werden. Deshalb ist für mich ein Anschlusszwang, der für Vorranggebiete ggf. auch ein Weg sein könnte, nicht die erste Wahl. Letztendlich entscheidet aber auch hier die Politik.
Sie sind also kein Fan von Zwängen und zu viel Regel-Wut …
So könnte man es formulieren. Mir bereitet es heute bereits Kopfschmerzen, dass wir in Deutschland in fast allen Lebensbereichen sehr umfassende Vorgaben haben. Weniger könnte – vor allem auch im Baubereich – an vielen Stellen einiges erleichtern. Ein zu enges Korsett könnte eine gute Entwicklung manchmal auch verhindern.
Der Bau von bezahlbaren Wohnungen ist immer wieder ein Thema. Kann sich der Stadtbaurat vorstellen, neue Wege zu gehen?
Wir sind hier mit den politischen Vorgaben und unserem städtischen Wohnungsunternehmen KWL, das in seine Bestände und aktuell auch wieder in Neubauten investiert, sehr gut aufgestellt. Die Regelung, dass Investoren bei Planungserfordernis bzw. städtebaulichen Verträgen 25 Prozent des Wohnraums bezahlbar realisieren müssen, ist ein gutes Instrument. Wir stellen aktuell fest, dass Leer für Investoren interessant ist, führen viele Gespräche und hoffen, dass weitere Investitionen in die Schaffung von Wohnungen folgen. Hilfreich wäre es, wenn die Fördermöglichkeiten durch das Land und den Bund noch einmal nachjustiert werden würden, denn es muss noch attraktiver werden, in sozialen Wohnungsbau zu investieren.
Die Bauverwaltung ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Genehmigungsverfahren dauern teilweise Jahre. Was werden Sie unternehmen, damit in Leer Genehmigungen wieder zügiger erteilt werden?
Was ich zuallererst tun kann: Ich möchte bei meinen Mitarbeitenden die Angst vor Entscheidungen reduzieren. Wir haben qualifiziertes Personal, dass ein – das klingt jetzt sehr theoretisch – pflichtgemäßes Ermessen ausüben kann. Ich umschreibe es immer so: Jeder Mitarbeitende hat für sein Handeln eine Bande links und eine Bande rechts, dazwischen ist der Spielraum. Wer mit Angst agiert, ist immer an einer bestimmten Stelle zwischen diesen Banden unterwegs. Das funktioniert auf Dauer nicht. Wir als Verwaltung müssen uns bewusst sein, dass der Rückzug und der Verweis auf Verordnung in der Sache nicht weiterhelfen. Wir dürfen nicht pauschal mit der Verordnungskeule agieren, sondern sind in der Frage der guten Stadtgestaltung die Vermittler zwischen den Interessen der Investoren und Bürger und den Gesetzen und Regelungen. Mein Verständnis ist, dass es uns gelingen muss, uns stets auf die Lösung und nicht auf das Problem zu fokussieren.
Geht es etwas konkreter? Wie wollen Sie Investoren das Gefühl vermitteln: „Ihr seid in Leer herzlich willkommen, wir finden für alles Lösungen!“?
Wir brauchen eine Kultur der offenen Arme. Wir verstehen uns als Dienstleister. Je früher jemand mit seiner Idee zu uns kommt – umso besser, wir werden versuchen, gemeinsam die Bestmögliche Lösung zu finden. Dazu gehört dann auch, dass wir als Verwaltung der Politik konkrete Beschlussvorlagen vorlegen und sagen, was aus unserer Sicht warum der beste Weg ist. Das war in Leer nicht immer so.
Stichwort Fachpersonal: Immer mehr Stellen können in den Bauverwaltungen nicht mehr besetzt werden. Wie kreativ werden Sie sein, wenn es um die Frage geht, künftig ausreichend Fachpersonal nach Leer zu bekommen?
Ich denke, dass wir zwischenzeitlich viele Register in dieser Hinsicht ziehen und die unterschiedlichsten Kanäle nutzen. Die Frage ist: Was macht heute eine attraktive Arbeitsstelle aus? Ich denke, dass es vor allem darauf ankommt, eigenverantwortlich agieren und entscheiden zu dürfen, flexible Arbeitszeiten und auch eine dauerhaft gesicherte Perspektive zu haben. Alles das bieten wir. Wo wir Nachholbedarf haben, ist bei der Ausstattung des Arbeitsplatzes. Im historischen Rathaus mangelt es an vielem. Wir haben hier bereits zusammengestellt, was investiert werden muss.
Wie ist denn das aktuelle Arbeitsaufkommen?
Aktuell kann ich davon sprechen, dass nicht sehr viele Bauanträge im privaten Bereich gestellt werden. Ich gehe davon aus, dass das sich in den kommenden Jahren wieder ändern wird. Das, was bei uns an Voranfragen für Neubauten auf dem Tisch liegt, ist sehr gehaltvoll. Wir führen bemerkenswerte Investorengespräche. Leer hat weiter eine Anziehungskraft. Zu den Bauleitplanungen möchte ich noch sagen: Für mich steht fest, dass wir in diesem Bereich auch immer mehr auf externe Fachleute zurückgreifen werden müssen. Bei größeren Investitionen aus der Wirtschaft dürfen wir nicht Gefahr laufen, dass ein Projekt an zu langen Bearbeitungsphasen scheitert, weil wir hausintern nicht zu jeder Zeit und konjunkturellen Lage ausreichende Kapazitäten haben. In kleineren Kommunen, die kein eigenes Fachpersonal haben, ist das bereits sehr lange üblich. Für Leer wird diese sinnvolle Vorgehensweise in dem zu erwartenden Umfang -zumindest übergangsweise- ein Novum sein.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Leeraner Innenstadt attraktiv zu halten?
Die Frage, wie die Innenstadt attraktiv bleibt, ist aus meiner Sicht zuallererst sicherlich ein Aspekt der Markt- und nicht der Baulage. Der Wandel im Konsumverhalten ist nicht wegzudiskutieren, und wir sind froh, dass wir in Leer im Vergleich zu anderen Orten aktuell wenig Leerstand in der Innenstadt haben. Wir werden – und das ist ja auch das Ziel des Innenstadtforums, das wir im April mit den Eigentümern veranstalten – die Frage beantworten müssen, wie das Drumherum um das Einkaufen attraktiv gestaltet werden kann. Die Mischung macht es. Wenn ich da an Leer mit der langen Fußgängerzone, der Altstadt und dem Hafen denke, dann haben wir viele gute Faktoren, die wir nutzen können. Als Stadt können wir am Ende nur baurechtlich den Rahmen für Handel, Wohnen und Arbeiten schaffen. Wir werden weiterhin Menschen brauchen, die mit ihren Ideen die Akzente setzen.
Stichwort Verkehr: Die Verkehrsplanung in Leer mit roten Fahrradstreifen und Ampeln am Bummert ist durchaus umstritten. Wie geht es mit der fahrradfreundlichen Stadt weiter?
Mein Wunsch als jemand, der gerne mit dem Fahrrad unterwegs ist, ist, dass Fahrradfahrer gleichberechtigt mit Autofahrern in die Stadt rein- und rausfahren können. Wir sind da in Leer auf einem sehr guten Weg. Allerdings: Ostfriesland ist keine Metropole, d.h. es wird den Individualverkehr mit dem Auto immer geben. Was wir brauchen, sind attraktive Angebote, die den Öffentlichen Personennahverkehr mit dem Fahrrad kombinieren. In dieser Hinsicht ist noch viel an Ideen gefragt. Ich bin überzeugt, dass wir in Leer weiterhin – vor allem auch für alle Generationen – die Fahrradfreundlichkeit weiter ausbauen sollten.
Letzte Frage: Welchem politischen Parteiprogramm stehen Sie am nächsten?
Ich bin ein sehr vernunftorientierter Mensch und fühle mich dort zuhause, wo Sachlichkeit und Vernunft agieren. Diesen Ansatz finde ich auch für die Kommunalpolitik wichtig. Sicherlich hat und muss auch jede politische Farbe ihre Schwerpunkte im Denken und Handeln haben, aber es kommt in einer kleinen Stadt wie die unsere darauf an, dass wir gemeinsam die vielen Aspekte – Soziales, Nachhaltiges, Wirtschaftliches und einiges mehr – unter einen Hut bekommen und so die Stadt langfristig lebens- und liebenswert halten. Als Stadtverwaltung ist es unsere Aufgabe, die Sachorientierung in den Vordergrund zu stellen.
Jens Lüning (51 Jahre) ist studierter Bauingenieur. Der gebürtige Leeraner hat viele Jahre unter anderem als Prüfingenieur in einem Planungsbüro gearbeitet und war deutschlandweit im Bereich Systembau und energetische Sanierung selbständig tätig. 2008 wechselte der Familienvater in die öffentliche Verwaltung bei der Stadt Leer. Nach Jahren als Fachdienstleiter folgte 2018 der Wechsel zum Landkreis Leer in den Bereich Gebäudemanagement. Seit 1. Januar 2025 ist Lüning, der in seiner Freizeit gern mit dem Fahrrad unterwegs ist oder sich um seine Oldtimer kümmert, Stadtbaurat in Leer.
Foto: Stadt Leer/ Edgar Behrendt