KOLUMNE: Das Geschachere um Kinderbetreuungskosten und die Folgen

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Der Kreis und die Stadt Leer werden in den kommenden Monaten harte Verhandlungen führen – und dabei wird sich der Blick aus allen Ecken Niedersachsens auf die Ledastadt richten. Warum? Es geht um die Kosten für die Kinderbetreuung.

Eigentlich ist das eine Aufgabe, für deren Finanzierung das Land finanziell verantwortlich ist. Das wiederum hat diese Aufgabe an den Kreis – gegen finanziellen Ausgleich – weitergegeben und der wiederum – auch durch finanziellen Ausgleich – an die Kommunen im Kreisgebiet. Seit vielen Jahren funktioniert dieser „Deal“. Allerdings werden die Anforderungen an die Kinderbetreuung politisch gewollt immer größer. Investitionen sind erforderlich, der Betrieb wird immer teurer. Das sorgt zunehmend für Ausgaben bei den Kommunen, die nicht durch Kreis bzw. Land „gedeckelt“ werden. Ergebnis: Die Stadt Leer schert als eine der ersten Kommunen bei diesem landesweit favorisierten Modell aus. Begründung: Sie will Mehrkosten für Betrieb und den Bau sowie die Instandhaltung von Kinderbetreuungseinrichtungen, nicht mehr tragen. Der zweistellige Millionenbetrag, der ergänzend zu dem Kreiszuschuss notwendig ist und über 15 Prozent aller Ausgaben der Stadt ausmacht, wird für andere Aufgaben dringend benötigt.

Die Stadt hat deshalb den Vertrag gekündigt. Sie gibt die Verantwortlichkeit ab Herbst 2022 an den Kreis zurück. Seit der Kündigung laufen die Gespräche, wie es weitergehen kann. Klar ist: Der Kreis will die Kindereinrichtungen nicht selbst betreiben bzw. einen größeren Anteil der Kosten tragen. Das wäre – mit Blick auf die Leeraner Nachbargemeinde – dann eine tickende Zeitbombe, weil natürlich auch von dort dann zu erwarten ist, dass die bisher funktionierende (finanzielle) Kooperation beendet wird. Wer zahlt schon gerne mehr, wenn der Nachbar…

Was nun? Weder Kreis noch Stadt wollen sich aktuell – nicht einmal ansatzweise – dazu äußern. Das unterstreicht die Brisanz des Themas. Der Kreis muss sich Gedanken machen, wie die Finanzierung nach der Kündigung für sich schadlos gewährleistet werden kann. Die Androhung: die Einführung eine gesplitteten Kreisumlage. Noch nie gehört? Stimmt, denn das gibt es landauf landab eher selten und war im Kreis Leer bisher kein Thema. Es war selbstverständlich, dass die Mitgliedskommunen eines Kreises denselben Abgabesatz zahlen. Gesplittet bedeutet: Leer würde künftig prozentual mehr Kreisumlage zahlen müssen als beispielsweise Moormerland oder Jemgum. Ob das eine reine Drohgebärde des Kreises in Richtung Stadt ist oder politisch durch einen Kreistagbeschluss umsetzbar ist? Aktuell noch reine Spekulation. Auf jeden Fall hat die Stadt mögliche höhere Kreisumlage-Ausgaben bereits im Haushalt für 2022 eingepreist. Man weiß ja nie…

Die zweite Möglichkeit ist, dass sich der Kreis beim Land schadlos hält, d.h., das von dort nicht mehr nur ein Teil, sondern die tatsächlichen Kosten für die Kinderbetreuung gegenfinanziert werden. Wie wahrscheinlich das ist? Man rechne nur mal aus, wieviel Millionen zusammenkommen, wenn die Kommunen wirklich 100 Prozent aller ihrer Kosten über den Kreis ausgeglichen bekommen würden.

Einen Konsens scheint es bei allen Beteiligten immerhin zu geben: das „Geschachere“ um die Kosten darf sich nicht auf die Qualität und dem Umfang der Kinderbetreuung auswirken. Und das ist auch gut so, auch wenn sich bereits heute feststellen lässt, dass die jeweiligen Haushaltslagen einer Kommune selbstverständlich schon über (modernen) Zustand der Kindergärten oder auch die Kosten, die die Eltern für die Betreuung übernehmen, auswirken. Der Blick in den Nachbarkreis Emsland macht das in gewisser Weise neidisch. Dort übernimmt der Kreis nach aktueller Aussage zusätzlich zu den Geldern vom Land einen Teil der Betriebskosten der Kommunen und überweist 33 Mio. Euro an die Kommunen. Gleichzeitig ist seit Jahrzehnten über alle Träger hinweg ein einheitlicher Elternbeitrag – ganz gleich, wo man im Emsland wohnt – selbstverständlich.

Fest steht: Die Entscheidung der Stadt Leer, aus den im Kreis Leer angewendeten Finanzierungsmodell auszuscheren, wird Folgen haben. Wie weitreichend sie sind, ist von den Ergebnissen der Gespräche untereinander, aber auch beim Land abhängig. Eine gesplittene Kreisumlage wäre ein Tabubruch für den Kreis, der juristisch spannend werden könnte, und der auf lange Sicht das Zeug dazu hat, das seit Jahrzehnten mit der Kreisumlage verbundene Ziel, kreisweit gleich Lebensverhältnisse zu ermöglichen, auszuhebeln. Niedersachsenweit werden alle Kommunen gespannt nach Leer schauen. Denn sie wissen, dass der politisch gewollte Ausbau der Kinderbetreuung und die damit verbundenen Kosten früher oder später auch bei ihnen ein Thema wird.

Holger HartwigKOLUMNE: Das Geschachere um Kinderbetreuungskosten und die Folgen