Der „Knopfdruck“ als Beziehungswerkzeug

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Von Holger Hartwig*

Sie kennen das: Sie drücken auf einen Knopf und dann macht ein Gerät, eine Maschine oder der Computer genau das, was Sie möchten. Sie wissen meistens exakt, was passiert, wenn Sie den Knopf drücken. Genauso ist das auch mit „Knöpfen“, die Sie im menschlichen Miteinander drücken. Das glauben Sie nicht? Sie glauben nicht, dass es bei Menschen auch „Knöpfe“ gibt, weil Menschen ja individuell sind und jede Situation anders ist? Sie sind überzeugt, dass Menschen mit einer gezielt gebauten oder programmierten Maschine nichts gemeinsam haben? Dann liegen Sie falsch. Denn: Auch Menschen werden in gewisser Weise „programmiert“.

Bei Menschen ist es allerdings nicht wie bei Maschinen. Dort wird der „Knopfdruck“ mit den gewünschten mechanischen oder digitalen Folgen gezielt gebaut bzw. programmiert. Bei Maschinen wird nichts dem Zufall überlassen und alles geschieht bewusst. Beim Menschen findet die Programmierung durch festgelegte Abläufe hingegen nicht gezielt statt, sondern erfolgt durch die jahrelange Prägung durch das soziale Umfeld und die während des Lebens gesammelten Erfahrungen.

Um es zu verdeutlichen ein Beispiel aus der Familie. Vater und Sohn versuchen – wie es durchaus üblich ist – von frühester Kindheit an, gemeinsam Sachen oder Aufgaben zu erledigen. Bei vielen Vätern und Söhnen funktioniert das ganz wunderbar, bei anderen nur in absoluten Ausnahmefällen. Schauen wir genauer bei einem Stress-Duo hin: Sobald beide gemeinsam etwas beginnen, setzten unbewusste „Programmierungen“ ein, die sich über das jahrelange Miteinander ergeben haben. Wenn einer der beiden bestimmte Wörter verwendet, eine einfache Frage stellt oder typische Verhaltensweisen an den Tag legt, führt es bei dem anderen zu einer sich immer wiederholenden, gerne auch aggressiven Reaktion. Aus einem – ein Beobachter der Situation würde sagen harmlosen – Moment wird dann schnell eine tiefgreifende und im schlimmsten Fall tagelang andauernde Konfrontation und Sprachlosigkeit. Ganz abgesehen davon, dass die Aufgabe, die gemeinsam gelöst werden sollte, entweder liegen bleibt oder durch einen von beiden allein zu Ende gebracht wird. Die Konstellation wiederholt sich über viele Jahre – beide drücken unbewusst „Knöpfe“.

Auch unter langjährigen Freunden gibt es solche Konstellationen. Unterschiedliche Auffassungen im Verhalten – beispielsweise was das Einhalten von Zusagen betrifft – treffen aufeinander – und einer der beiden, der gerade wieder einmal seine Zusagen nicht eingehalten hat, weiß genau, was er machen muss, um nicht in die Enge zu kommen. Er drückt bewusst den „Knopf“ Emotion, indem er auf die ihm bekannten Schwächen des anderen mit Unterstellungen, die er mit dem Thema geschickt verknüpft, einsteigt. Er weiß und agiert mit Vorsatz: Wenn ich genau diesen „Knopf“ drücke, wird der Freund sofort aggressiv, weil er es hasst, dass Themen verdreht werden. Der Freund verliert die Sachlichkeit– und dann ist das Gespräch von einem auf den anderen Moment ein anderes. Statt der Verlässlichkeit steht nun die Beziehung zwischen beiden im Mittelpunkt …

Warum ist das in diesen und anderen Situationen so? Wann passiert das? Immer , wenn sich die Beteiligten sich (zu) gut kennen. Sie wissen von den Risiken und Nebenwirkungen des anderen, agieren dann bewusst mit den „Knöpfen“. Oder sie kennen sich, aber sie kennen oder sehen die „Knöpfe“ beim anderen nicht. Sie wissen dann nicht, was sie so zu sagen „per Knopfdruck“ mit ihren gewählten Worten oder ihrem Verhalten bei dem Gegenüber für verbale und emotionale Reaktionen auslösen. Sie bringen unbewusst immer wieder den gleichen Prozess in Gang mit immer wieder demselben Resultat.

Die Herausforderung im Umgang mit „Knöpfen“ hat jeder Mensch bei sich und im Miteinander mit anderen. Zum einen ist schwierig, diese „Knöpfe“ bei sich zu bemerken. Zu erkennen, dass andere durch das bewusste oder unbewusste Drücken auf einen „Knopf“ wiederkehrende und damit berechenbare Prozesse im eigenen Verhalten, bei der Wahl der Worte oder mit Blick auf die Emotionen auslöst, ist die Chance. Es ist die Chance, nicht mehr per „Knopfdruck“ manipuliert zu werden. Es ist die Chance, dass der „Knopfdruck“ als Werkzeug in der menschlichen Beziehung nicht mehr funktioniert, weil nicht mehr das passiert, was für den anderen kalkulierbar und damit auch dienlich sein kann.

Zum anderen geht es auch darum, die „Knöpfe“ bei anderen Menschen zu erkennen. Es geht darum, beispielsweise vermeiden zu können, dass der Ehepartner nicht bei der kleinsten Kleinigkeit „an die Decke“ geht, nur weil bestimmte Wörter, Gestik, Mimik oder Verhalten einen „Prozess“ in Gang bringen.

Es lohnt sich, genau hinzusehen, welche „Knöpfe“ es bei einem selbst und bei anderen gibt. Es lohnt sich, sich bewusst zu werden, wann diese „Knöpfe“ warum durch wen gedrückt werden oder man sie bei anderen gezielt drückt. Es lohnt sich, seine „Knöpfe“ in den Griff zu bekommen und damit die unbewussten Programmierungen und Prozesse abzulegen. Denn eines steht fest: Der „Knopfdruck“ als Beziehungswerkzeug kommt öfter zum Einsatz, als wir meinen. Menschen kennen sich viel besser, als es ihnen oft bewusst ist.

Leider erfolgt dann auch so mancher „Knopfdruck“ keineswegs mit wohlwollenden Gedanken und Zielen. Oft – so zeigt die Realität und die Lebenserfahrung – wird der „Knopfdruck“ bewusst zur Manipulation genutzt, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen.

Was meinen Sie: Wieviel „Knöpfe“ gibt es bei Ihnen und wer kennt Sie und drückt sie? Und wie viele Knöpfe kennen Sie bei anderen und drücken diese auch einmal gerne? Ich wette: Es sind viel mehr als Sie sich bewusst sind.

* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er unterstützt Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.

Holger HartwigDer „Knopfdruck“ als Beziehungswerkzeug