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Die vier wilden Jahre im Osten von 1990 bis 1994 haben nicht nur journalistisch, sondern auch hinsichtlich „Wie tickt die Medienwirtschaft?“ bis heute Spuren hinterlassen. Ein der vielen Erfahrungen ist die gescheiterte Fusion im Frühjahr 1994. Dabei sieht es damals zu 100 Prozent so aus, dass alle Wetten, die ich in abgeschlossen habe, verloren gehen. Die erste Zeitung des neuen Verlages ist erschienen, doch das war es dann doch noch nicht.
Es ist Mitte 1993. Meine Reise durch die Medienwelt hat mich nach Dresden geführt. Dort ist die Aufgabenstellung definiert: Innerhalb von drei Monaten die Redaktion des „Kuriers“ – mit einer Auflage von 650.000 Stück eine der großen Wochenzeitungen in Deutschland – auf Vordermann bringen. Neues Personal, neue Strukturen, neue Produktionsabläufe, größeres Format, neues Layout – im Prinzip bleibt nur der Name und die vielen Unterausgaben. Der Wettbewerb in Sache zwischen den (westdeutschen) Großverlagen tobt – jeder will sich seine Marktposition sichern. Dabei wird mit harten Bandagen gekämpft: Einstweilige Verfügungen, beispielsweise wegen unzulässiger Werbung im redaktionellen Teil, gehören dazu. Kurzum: Viel Dampf auf dem Kessel. Lange Tage, immer das Ziel vor Augen: Anfang Oktober wird der neue „Kurier“ auf die Zeitungwelt kommen. Manchmal zweifle ich, ob es klappen wird. Ein Team aus motivierten Redakteurinnen hält den „jungen Friesenjung“ bei Laune und gibt Kraft. Wir schaffen es…
Doch kaum ist die neue Zeitung auf dem Markt (Foto der Titelseite der ersten Ausgabe am 6. Oktober 1993), erlebe ich die nächste Stufe der „Schlacht“ am ostdeutschen Zeitungsbuffet. Erste Informationen aus der Branche landen bei mir, dass es zu einer großen Fusion kommen soll. Mein Verlag, der mit den zwei Buchstaben und dem kaufmännischen & aus Hamburg, und der zweite große Player in Sachsen, ein mittelständisches Verlagshaus mit Sitz in Rheinland-Pfalz, wollen sich in ein gemeinsames Bett legen, um gegen den dritten Player, dem großen Konzern mit der Zeitung mit den vielen Bildern, besser aufgestellt zu sein. Ich kann das kaum glauben. Kaum den „Kurier“ neu gemacht – und dann soll das alles nur ein Schachzug sein, um in den Verhandlungen mit einem anderen Verlag bessere Karten in der Hand zu haben? Nein. Das kann nicht sein. Also die Ohren spitzen, telefonieren und recherchieren. Die nächsten Wochen werden eine emotionale Achterbahn, denn es ist klar: Kommt es zu einer Fusion, werde ich Menschen, die ich wenige Wochen zuvor eingestellt habe, wieder nach Hause schicken müssen…
Die Lage wird Stück für Stück klarer. Ja, da wird verhandelt. Aber wie groß sind die Chancen, dass eine Fusion durch das Bundeskartellamt genehmigt wird? Entsteht da eine marktbeherrschende Stellung und deshalb wird die Behörde Nein sagen? Das könnte sein, denke ich. Also telefonieren und (verdeckt) recherchieren – mit dem Ziel herauszufinden, ob und wie das Kartellamt in vergleichbaren Fällen entschieden hat. Es dauert etwas, bis sich ein Bild ergibt und auch die inoffiziellen Signale aus dem Kartellamt klar machen: Von dort könnte eine „Rote Karte“ für die Fusion kommen. Nun gut, weiter nichts gegenüber den Mitarbeitenden anmerken lassen. Abwarten.
Am 28. November 1994 klinget in Dresden bei mir das Telefon. Der oberste Geschäftsführer für diesen Marktbereich lädt mich zu einem Gespräch in Berlin ein. Es gebe wichtige Entwicklungen zu besprechen. Also fahre ich hin und überlege mir eine Strategie. Angriff kann bekanntlich die beste Verteidigung sein. Der Geschäftsführer steigt sanft in das Gespräch ein, macht deutlich, dass ich mir um meinen Job keine Gedanken machen müsse – und irgendwann unterbreche ich ihn, weil ich platzen könnte. Ob ich ihm sagen dürfe, was ich vermute? Ja. Also berichtet ich ihm, dass eine Fusion vorgesehen ist und er mir mitteilen werde, wie viele Redakteure ich behalten darf und wie viele Redakteure aus der anderen Redaktion.
Er schaut mich mit großen Augen an – es ist einen Moment ganz still. Und dann fragt er: Wie kommen Sie darauf? Antwort: Ein guter Redakteur weiß alles, aber wenn es sein muss nicht, woher. Ok, dann bestätigt er mit dem Hinweis, dass das jetzt aber noch nicht den Raum verlassen dürfte, die geplante Fusion. Ich werde etwa die Hälfte meiner Leute bis zum Jahresende „freisetzen“ müssen. Ich denke mir: Nun ist es auch egal, was ich sage. Also haue ich einen raus: „Wissen Sie, das warte ich jetzt mal ab. Wenn meine Quellen stimmen, dann wird diese Fusion nicht durch das Bundeskartellamt genehmigt.“ Er schaut mich nun noch verdutzter an. Es dauert etwas. Dann sagte er: „Herr Hartwig, ich weiß zwar nicht, wie Sie darauf kommen, aber seien Sie sicher, dass wir wissen, was wir tun.“ Und dann sagt er mir, dass alles bereits zum Jahresanfang 1994 umgesetzt werden müsste, so dass zügig auch Kündigungen ausgesprochen werden müssten…
Ich fahre zurück und telefoniere viel. Sollten alle meine Informanten mir Fehleinschätzungen gegeben haben? Geht die Fusion doch durch? Die Telefonat ergeben ein eindeutiges Ergebnis: Die Fusion ist noch nicht genehmigt und die Experten gehen weiterhin davon aus, dass eine Zustimmung nicht erteilt wird.
Die nächsten Wochen werden ein Drahtseilakt im Verlag. Die Info, dass fusioniert wird, ist bald auf dem Markt – und ich werde immer wieder hausintern gefragt, was das bedeutet. Immer wieder sage ich: Meines Wissens ist das noch nicht genehmigt und das wird auch nicht genehmigt. Meist werde ich ungläubig angeschaut und es kommt immer wieder die Frage, warum ich davon so überzeugt sei. Antwort: Meine Recherchen…
Bevor es dann mit der Fusion richtig losgeht, dauert es etwas länger. Nicht Ende 1993 ist als Termin zu halten, sondern alle Vorbereitungen laufen auf den 1. März 1994 hinaus. Immer wieder werde ich angesprochen, ob ich immer noch der Überzeugung sei, dass die Fusion nicht genehmigt wird. Ja, sage ich. Meine Quellen sind eindeutig in der Aussage. Ich bin mir bewusst, was meine Aussagen bedeuten und wie „blöd“ ich da stehe, wenn dann am 1. März die neue Zeitung herauskommt.
Alles geht seinen von den beiden Verlagen geplanten Gang. Die erste Ausgabe des neuen „WochenKurier“ (der Titel vereint die beiden bisherigen Zeitungsnamen) erscheint am 1. März. Neue Preislisten, neue Briefbögen, neue Visitenkarten – und natürlich auch Umschreibungen der Arbeitsverträge auf die neue GmbH. Alles sieht eindeutig aus. Am Morgen, als die erste Ausgabe gedruckt auf dem Schreibtisch liegt und wir Redaktionsbesprechung haben, werde ich wieder gefragt: „Glaubst Du wenigstens jetzt , dass die Fusion durch ist?“ Ich schüttele den Kopf… und bitte darum, dass wir das Thema wechseln und uns auf die neue Ausgabe konzentrieren und ansonsten abwarten sollten…
Der Tag vergeht. Ehrlich: Ich denke, ich habe die Wetten allesamt verloren und stehe dumm da. Manchmal sind Informanten halt doch nicht die Besten.
Der nächste Arbeitstag beginnt. Es muss ja weitergehen. Dann gegen Mittag klingelt das Telefon. Für 14 Uhr ist kurzfristig eine Betriebsversammlung angesagt. Hoher Besuch aus den beiden Verlagszentralen sei angesagt. Was das bedeuten könnte? Nein, doch wohl nicht, dass am Ende doch noch die Fusion… Nein.
In der vierten Etage herrscht dann Hochbetrieb. Alle Mitarbeitenden sind da. Es herrscht angespannte Stimmung. Die Begrüßung ist freundlich, es wird gelobt, wie gut es gelungen ist, in den neuen Teams die erste gemeinsame Zeitung zu produzieren. Dann kommt der weitere Geschäftsführer zu Wort. Sinngemäß sagt er: „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was ich Ihnen jetzt sage, ist für Sie kein Grund zur Sorge. Ihre Arbeitsplätze sind sicher. Es wir hier im operativen Geschäft so weitergehen wie in den vergangenen Wochen. Allerdings: Das Bundeskartellamt hat der Fusion unserer Verlage zu diesem Verlag nicht zugestimmt.“ Rumms. Die, die mich in den Wochen zuvor immer angesprochen haben, schauen zu mir rüber. Ich lasse mir nichts anmerken. Schwer genug, aber als Abteilungsleiter muss man halt „mitspielen“. Die Verantwortlichen des gemeinsamen Nicht-existierenden Verlages erklären dann, wie es weitergeht. Der kleine mittelständische Verlag werde alle Verlagsrechte übernehmen, der große Partner sich offiziell aus der gemeinsamen GmbH zurückziehen. Man hoffe, dass sich in den nächsten Wochen noch eine andere Lösung finden werde. Und dann wird allen Mitarbeitenden unmissverständlich deutlich gemacht: Ab sofort dürfen die neuen Visitenkarten, Briefbögen und Preislisten nicht mehr verwendet werden. Sollte dieses geschehen, sei davon auszugehen, dass eine hohe Strafe fällig werde. Die Mitbewerber im Markt würden nur darauf warten, dass ein Fehler unterlaufe – so wie bei der einstweiligen Verfügung gegen redaktionell werbende Inhalte…
Die Versammlung ist zu ende. Es geht zurück in die Redaktion. Großes Schweigen. Die Kolleginninnen und Kollegen wollen wissen, wieso ich mir so sicher war und haben viel zu verarbeiten. Ich auch. Die Monate haben Spuren hinterlassen, die Enttäuschung ist größer als der Umstand, doch noch die Wetten gewonnen zu haben. Wenige Tage später entscheide ich mich, zu kündigen. Dank einer kurzen Kündigungsfrist (die wollte der Verlag so), muss ich nur noch wenige Tage weiterarbeiten und werde Dresden verlassen. Ich bin überzeugt: Es wird sich schon eine neue Aufgabe für mich finden. So kommt es. Aber das ist eine weitere spannende Journalistenerinnerung.