Die schön-bequeme Opferrolle

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Von Holger Hartwig*

Welche Rolle spielen Sie am liebsten auf der „Bühne Ihres Lebens“? Den Optimisten? Den Nörgler? Den Analytiker? Den Stimmungsmacher? Den „Kümmerer“? Das „hilfsbedürftige kleine Kind“?

Jeder von uns spielt viele Rollen. Wie bei jedem Theaterstück oder TV-Film gibt es auch im Leben viele Rollen, die in der Familie, im Job, in der Partnerschaft, im Verein oder in der Freizeit besetzt werden wollen.

In fast allen Coachings mit den unterschiedlichsten Herausforderungen, die das Leben für Menschen mitbringt (z.B. Burn-Out, Eheprobleme, Suchtherausforderungen), wird immer wieder eines deutlich: Die meisten dieser Rollen übernehmen wir ungefragt und unbewusst. Das beginnt schon in der Kindheit im Elternhaus. Da ist der/die Älteste meist in der Verantwortung für die jüngeren Geschwister. Es geht weiter in der Schule, wo immer eine(r) den Clown macht und eine(r) den verantwortungsvollen Klassensprecher. Rollen und damit Aufgaben durchziehen das Leben vom ersten bis zum letzten Tag.

Grundsätzlich sind Rollen für Menschen nicht das Problem. Für jede Rolle gibt es schnell ein Vorbild, jede Rolle kann durch Training und Erfahrungen Tag für Tag besser übernommen werden. Schwierig wird es immer dann, wenn diese Rollen unbewusst – und damit nicht aus eigener Überzeugung und Entscheidung – „gespielt“ werden. Das geht am Ende fast immer schief…

Um so wichtiger ist es, dass sich jeder seiner Rollen und den damit verbundenen Folgen bewusst ist. Eine Rolle erfolgreich im Leben zu übernehmen, geht nur, wenn sich der Akteur rundum wohlfühlt, sich nicht verstellen muss und damit auch selbstbewusst und vor allem zufrieden durch das eigene Leben gehen kann.

Nun weiß jeder, dass das mit dem „Zufrieden durch das Leben“ nicht so einfach ist. Irgendwas ist schließlich immer. Und wenn dann mal wieder zu vieles „schief“ läuft, dann neigen wir dazu, eine weitere Rolle auszuwählen: die Rolle des Opfers. Sie ist äußerst beliebt, weil sie am bequemsten eingenommen werden kann. Die Opferrolle ist die, mit der die Verantwortung für das eigene Handeln ganz schnell auf das Umfeld übertragen wird. „Ich konnte ja gar nicht anders…“ – „Das wird ja so von mir erwartet“ – „Was soll ich denn dagegen machen?“ –  das sind nur einige der Gedanken und Sätze, die in der Opferrolle gerne gewählt werden. Schuld sind halt die anderen…

Für viele Menschen ist diese Rolle ein „Anfang vom Ende“. Denn wer sich immer wieder dieser Rolle hingibt (was bequem ist und wofür sich auch immer schnell Gründe finden lassen, sei es die Umstände der Kindheit, der fiese Chef etc.), er wird in seinem Leben den Pfad der persönlichen Zufriedenheit nicht finden. Denn, selbst wenn es so sein sollte, dass wirklich die Umstände einen großen Teil dieser Rolle ausmachen, geht es am Ende um die Frage, was ich aus dieser Rolle mache. Aus dem „Opfer“ muss schnell wieder der „Gestalter“ werden. Wie das geht? Der Erfolgsgedanke lautet: Annehmen und wenden!

Annehmen bedeutet, sich nichts vorzumachen. Annehmen heißt, sich – ggf. auch mit Unterstützung – die Umstände, die zu dem „Opfergefühl“ geführt haben, genau und mit Klarheit anzusehen. Annehmen macht es notwendig, seinen „Anteil“ an der Rolle zu erkennen, denn den gibt es immer. Und annehmen bedeutet, sich der Möglichkeiten bewusst zu werden, wie der Weg raus aus der Rolle sein kann. Und wenn dieses Annehmen und damit Verantwortung für sich und sein Leben übernehmen erfolgt ist, geht es an das Wenden. Dabei hilft es, sich bewusst zu sein, dass JEDE Erfahrung im Leben auch eine Chance ist. JEDE Erfahrung hilft, für neue Situationen des Lebens besser gerüstet zu sein und gar nicht erst die Opferrolle einnehmen zu müssen bzw. unbewusst zu wollen.

Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.


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