Der Konflikt als „Einbruchsserie“

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Von Holger Hartwig*

Sie kennen aus den Krimis im Fernsehen, was es bedeutet, wenn von einer Einbruchsserie gesprochen wird? Dann gehen die Ermittler davon aus, dass bei vielen Straftaten immer wieder das gleiche Vorgehen zu erkennen ist. Die Taten werden nach einem bestimmten Muster durchgeführt. Dabei fangen die Täter meist klein an, sammeln Erfahrungen und setzen dann in der Folge auf das, was ihre Tat am effektivsten und unauffälligsten macht.

Bei heftigen und nachhaltigen Konflikten zwischen Menschen – ganz gleich, ob im privaten oder im beruflichen Umfeld – verhält es sich nicht anders. Hier geht es nicht um Wertgegenstände, sondern der „Einbruch“ erfolgt in das Wohlfühlen und die Bedürfnisse eines anderen Menschen. Muster spielen dabei eine weitaus stärkere Rolle, als es die Beteiligten meist erkennen.

Was ist damit gemeint?

Zunächst einmal ein Blick darauf, wie das menschliche Miteinander idealerweise funktioniert? Die Erwartungen des anderen kennt man und gegenseitiger Respekt im Umgang miteinander ist gegeben. Absprachen werden gemeinsam getroffen und eingehalten, das Miteinander ist durch Rücksicht und Dialog geprägt. Es herrscht Harmonie, die Bedürfnisse des anderen werden gesehen und beachtet. Dann jedoch schleichen sich nach und nach erste Momente ein, in denen das Miteinander nicht mehr funktioniert. Es gibt Konfrontationen, weil der andere mit seinem Verhalten oder seinen Worten den Erwartungen nicht entspricht. Gerade in einer Partnerschaft geht es fast immer um sich wiederholende Konfliktthemen.

Beim ersten Mal ist der Konflikt noch zu lösen, beim zweiten Mal ist er schon etwas heftiger, bei dritten Mal wird der Frust größer und irgendwann wird es Routine, sich in die Haare zu bekommen. Beide Beteiligten entwickeln – wie bei einem Einbrecher – für sich einen Weg, wie sie sich am besten „aus der Affäre“ ziehen können. Mal sind es neue Versprechungen, mal ein „Es tut mir leid“, mal „Das wird jetzt alles besser“.

Was ist zu tun, wenn es nicht besser wird? So, wie die Ermittler im Krimi, genauer hinsehen oder einen mit dem „Fall“ Unbetroffenen hinsehen lassen. Der Betrachter von außen wird darauf schauen, ob er in den Ursachen für die Konflikte und in dem Umgang damit Muster bzw. Rollen erkennt. Er wird „blinde Flecken“ erkennen, die die Betroffenen im Umgang nicht sehen konnten.

Die tief, meist im Unterbewusstsein verankerten Muster lassen sich – gerade auch für einen ausgebildeten Coach oder Therapeuten – meist mit wenig Aufwand erkennen – auch wenn Sie typenbezogen sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Der eine versucht immer schnell zu einem anderen Thema zu kommen, nur damit nicht offen gesprochen werden muss. Der andere hört nicht wirklich zu und dreht das Wort im Munde um. Jede Aussage wird zerpflückt und für einen „Gegenangriff“ genutzt. Der nächste hat das Talent, die Verantwortlichkeit für die Konfliktsituation immer auf den anderen zu schieben und dabei noch ein schlechtes Gewissen zu vermitteln und Zweifel zu erzeugen, ob es wohl richtig war, die Unzufriedenheit überhaupt anzusprechen. Der dritte arbeitet mit Angst, die unterschwellig vermittelt wird („Du wirst schon sehen, was du davon hast“ – nur viel freundlicher formuliert).

Wenn dann bestimmte Verhaltensmuster – die nicht vorsätzlich böswillig sein müssen, aus eigenen Erfahrungen geprägt sein können oder von Vorbildern in der Sozialisation achtlos übernommen wurden – erkannt sind, beginnt die schwierigste Aufgabe: Wie kann es gelingen, die Muster zu durchbrechen? Erster Ansatzpunkt: Alle Beteiligten müssen bereit sein, sich der Situation aus einem neuen Blickwinkel zu stellen. Bei allen Beteiligten muss der Wunsch, dass es besser wird, an erster Stelle stehen. Ist das nicht der Fall, wird es schwierig.

So, wie es auch schwierig wird, wenn die emotionalen „Muster“ bereits sehr lange im Einsatz waren und unerkannt blieben. Dann kann es sein, dass sie bereits krankhafte Züge angenommen haben und meist ist nur das Ausbrechen aus der Konstellation der einzige Weg. Menschen, die beispielsweise mit einem Narzissten ihre langjährigen Erfahrungen sammeln mussten, wissen, was gemeint ist. Bei Narzissten ist die emotionale „Einbruchserie“ ein gern genutztes Mittel zum Zweck.

Es gilt ganz gleich ob im Privaten, im Beruf oder unter Geschäftspartnern: Den Serieneinbrecher enttarnen oder enttarnen lassen, die Einbrüche emotionslos analysieren und Konsequenzen aufzeigen, wenn sich nichts ändert. Und wenn sich die Muster bzw. emotionalen Einbrüche wiederholen, gilt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Auch wenn es noch so schwer fällt.

* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.

Holger HartwigDer Konflikt als „Einbruchsserie“