Von Holger Hartwig*
Das Leben ist wie ein langer Weg, der vom ersten Tag an viele Möglichkeiten kennt. Als Kind sind wir quirlig. Die Neugier treibt uns an und wenn uns nicht die Eltern, Oma und Opa oder Kindergärter/in oder Lehrer die Grenzen aufzeigen, dann toben wir los in alle Himmelsrichtungen. Wir laufen drauf los. Kein Weg ist uns zu lang, wenn das Ziel interessant ist. Und wir überlegen nicht lange, meist laufen wir so schnell wir können. Wir sammeln Momente, Bilder, Erfahrungen ein, die uns dann auf dem weiteren Weg des Lebens hilfreich sind.
Je älter wir werden, um so bewusster gehen wir unseren Weg. Wir entscheiden jetzt frei von „Erziehungsberechtigten“, welchen Weg wir gehen. Jeder für sich. Jeder auf seine Art. Der eine ist mit hohem Tempo und rastlos auf der Autobahn des Lebens unterwegs, der andere mit Muße über einen kleinen Trampelpfad über unwegsames Gelände. Was alle Wege gemeinsam haben? Irgendwann kreuzen sie sich mit anderen Wegen – und an jeder dieser Kreuzungen steht eine Entscheidung an. Mache ich hier Rast? Welchen Weg gehe ich weiter? Bleibe ich für immer hier, weil es hier so schön ist?
Wenn jeder für sich seinen Weg bewusst suchen, finden und gehen könnte, dann wäre das Leben einfach. Dann stellten sich nur für ihn Herausforderungen, die er meistern müsste. Doch wir sind nicht allein unterwegs. Meist sind es Begegnungen mit anderen. Wie sagt man doch so schön: „Da haben sich unsere Wege gekreuzt“. Ja und dann geht es fast immer um die Frage, ob und wie vielleicht gemeinsam – in der Freundschaft, Partnerschaft oder im Beruf – ein Weg gemeinsam weitergegangen werden kann. Man läuft los, hat vielleicht besprochen, welches Ziel erreicht werden soll. Aber die Details – welcher Weg mit welchem Tempo – gemeinsam gegangen werden soll, bleiben oft in der Euphorie der Begegnung – Begeisterung über die Frau/Mann des Lebens, die Faszination eines neuen Arbeitgebers, bei dem alles besser ist – auf der Strecke. Dabei liegt es in der Natur des Menschen und der Sache, dass zwei oder mehr Menschen nicht das gleiche Tempo aufnehmen auf dem Weg und auch nicht dieselben Abbiegemöglichkeiten rechts und links des Weges wahrnehmen. Und schnell biegt einer ab, bleibt einer irgendwo stehen, während der andere kontinuierlich vorwärtsgeht. Wer dann nicht aufmerksam hinsieht, der verliert den anderen – auch das sagen wir oft – „Menschen aus den Augen verlieren“.
Nun ist es keineswegs dramatisch, sich aus den Augen zu verlieren. Das gehört dazu, nicht alle Freundschaften oder berufliche Zweckgemeinschaften halten ewig. Schwierig wird es, wenn es der/die wichtigste/r Partner im Leben ist, den ich möglicherweise an einer Kreuzung des Lebens geheiratet habe. Hier kommt es nicht darauf an, jeden Schritt und Tritt gemeinsam immer auf demselben Weg des Lebens zu gehen. Das ist schön, wenn das so ist, aber durch die Vielfalt der Wege, die heute, anders als vor hundert Jahren durch Mobilität und Informationen, eröffnet werden, eher selten. Es kommt vor, dass der/die Liebste/r auf anderen Wegen mit anderem Tempo unterwegs ist. Und das kann gut funktionieren, wenn sich beide bewusst sind, dass auch eigene Wege möglich sind, dass es erforderlich ist, den anderen im Blick zu haben, an einer Kreuzung geduldig zu warten, bis der andere angekommen ist. Oder auch dem anderen entgegenzugehen, wenn er sich vielleicht zu verlaufen droht. Und manchmal muss die gemeinsame Rast dann auch länger dauern, um das Erlebte auf den unterschiedlichen Wegen miteinander zu verarbeiten und dann gemeinsam zu entscheiden, wie der Weg des Lebens weiter beschritten werden soll.
Schwierig wird es in dem Miteinander, wenn sich einer der Beteiligten entscheidet, den Lebensweg mit Neugier weitergehen zu wollen und der andere entscheidet, dass er sich gerne an diesem Rastpunkt „für immer und ewig“ einrichten möchte. Dann hilft meist zunächst ein „fauler Kompromiss“, bei dem der Neugierige meist zurücksteckt. Ein Kompromiss, der meist keine lange Haltbarkeit hat. Auch hier heißt es ja gerne: „Reisende soll man nicht aufhalten…“
Ebenso schwierig wird es, wenn der eine erkennt, dass er den anderen auf dem gemeinsamen Lebensweg zurückgelassen bzw. verloren hat. Sich umzudrehen und Schritte auf dem Lebensweg zurückzugehen zu einem anderen ist möglich, aber eine meist größere Herausforderung, als den Zurückgelassenen dazu zu bewegen, nachzukommen und geduldig auf ihn zu warten. Denn Wege, die beschritten wurden, lassen sich nicht ungeschehen bzw. „ungegangen“ machen.
Was hilft, die Wege des Lebens zufrieden und glücklich zu meistern? Sich bewusst zu sein, welche Wege ich mit welchem Tempo gehe. Und vor allem, sich auch bewusst zu sein, wann ich an einer Kreuzung stehe, die Entscheidungen erfordert. Entscheidungen für mich, aber meist auch für die Menschen, die mir etwas bedeuten oder mit denen ich im Job Erfolge feiern möchte. Und dann vor allem die Menschen, die mit einem auf dem Lebensweg unterwegs sind, niemals aus den Augen zu verlieren.
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.
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