Von Holger Hartwig*
Das Leben ist ein einziger Vergleich. Jedenfalls für viele Menschen. Sie stellen sich nicht die Frage, ob sie mit sich und ihrem Leben zufrieden sind und schauen dann, was sie verändern können, damit es ihnen besser geht. Nein, wenn es um die Zufriedenheit und das persönliche Wohlfühlen geht, dann kommt all‘ zu gerne der seit Kindertagen anerzogene „Vergleichsfanatismus“ zum Einsatz. Was ist damit gemeint?
Es beginnt schon am Tag der Geburt. Da werden Gewicht und Größe des neuen Erdenbürgers erfasst und dann gleich mal abgeglichen, ob die Daten über, unter oder im Durchschnitt liegen. Diese Betrachtung folgt meist unmittelbar nach der Frage „Alles gesund?“ Es geht weiter um die Frage, wann das Kind das erste Mal gesprochen hat, wann es laufen gelernt hat und wie es sich in jeglicher Hinsicht entwickelt. Wieder wird verglichen: Da ist er/sie aber früh bzw. spät dran – so wird eingeordnet und damit bewertet. Es folgt der Kindergarten und spätestens mit Beginn der Schule und den Noten erlangt der „Vergleichsfanatismus“ dann seinen ersten Höhepunkt. Alles, was an Leistungen gebracht wird, muss in Relation gesetzt werden. Das setzt sich dann bis ins hohe Erwachsenalter fort und wird – grandios umgesetzt – dann in der Sparkassen-Werbung „Mein Haus. Mein Auto. Meine Yacht“ zur Perfektion getrieben. Hinter diesem Vergleichsmechanismus steckt übrigens oft nichts anderes als eine Marketing-Manipulationsstrategie. Über den Vergleich sollen Wünsche und Bedürfnisse erzeugt werden, die in der Konsumgesellschaft dann auch – bedauerlicherweise – nicht selten durch das Aufnehmen von Krediten erfüllt werden können.
Was ist die größte Gefahr bei diesem „Vergleichsfanatismus“? Die Vergleiche kennen fast immer nur eine Blickrichtung: Es wird der Fokus darauf gerichtet, was im Vergleich zu einem selbst besser ist. Das sorgt erst einmal für Unzufriedenheit, die – abhängig vom Charakter und Erziehung – im günstigsten Fall in Motivation umgewandelt wird. Eine Motivation, die allerdings nicht aus sich selbst herauskommt, sondern aus dem Gefühl, „nicht gut genug zu sein.“ Bekanntlich ist das nicht die allerbeste Grundlage, um mit Elan und echter Lebensfreude neue Aufgaben anzugehen und zu meistern. Wer hingegen aus dem Vergleich keine Motivation, sondern Frustration zieht, bei dem ist die fatale Wirkung des Vergleichens unmittelbar spürbar: schlechte Laune, wenig Antriebskraft und bei manchem nicht selten auch der Gedanke „Das schaffe ich eh nicht“ oder „So wie der oder die werde ich sowieso nicht sein.“
Dabei ist es völlig sinnlos, sich mit anderen Menschen und deren Lebenssituationen immer und immer wieder zu vergleichen. Welchen Nutzen hat es, zu erkennen, dass es andere „besser“ oder „noch schlechter“ haben? Wird dadurch die eigene Schulnote besser oder das auf der Waage angezeigte Körpergewicht geringer? Wachsen die Rücklagen auf dem Konto an? Nein.
Statt immer wieder unbedacht in die Falle des gesellschaftlich geförderten Vergleichsfanatismus zu tappen, hilft es, sich auf die Frage zu konzentrieren: Was kann ich für mich tun, damit ich mich besser fühle?
Sehr schnell wird dann die Konzentration ausschließlich darauf gerichtet sein, was jeder einzelne für sich und mit seinen individuellen Möglichkeiten verändern bzw. erreichen kann. Sehr schnell wird die Erkenntnis kommen, welche Bedürfnisse es sind, die jeden auf ganz unterschiedliche Art antreiben. Sehr schnell wird klar werden, was zu tun ist, um sich in Richtung persönlicher Zufriedenheit zu entwickeln. Dafür braucht es keine „Vergleichsobjekte“ in der Familie, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft oder manches Mal aus der Glitzerwelt der Medien.
Es ist das sich Wohlfühlen, dass das Ziel eines jeden Tages sein sollte – und dieses Wohlfühlen gestaltet jeder einzelne für sich ganz allein. Deshalb ist es unvergleichbar.
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er unterstützt Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.