Von Holger Hartwig*
Jeder Mensch ist anders. Jeder Mensch tickt anders. Stimmt. Dennoch gibt es Grundmuster, die als Orientierung dienen können, um zu verstehen, warum ein Mann oder eine Frau sich in bestimmten Situationen immer wieder sehr ähnlich verhalten. Dahinter steckt meist eine Grundstruktur, die für das Verhalten prägend ist. Was denken Sie, was es für vier Charaktere gibt?
Fangen wir an mit dem Menschen, der irgendwie in seiner Kindheit stecken geblieben ist. Dieser Charakter – nennen wir ihn „Kind“ – ist darauf angewiesen, dass er im Leben dann am besten zurechtkommt, wenn er immer wieder einen anderen Menschen trifft, der ihm, bildlich gesprochen, durch die Haare streicht und ihm Mut zuspricht, aufbaut und im Prinzip mehr oder weniger immer als „großer Bruder“ bzw. „große Schwester“ unterstützend durch die Herausforderungen des Lebens führt. Sätze „Ich weiß nicht, was ich machen soll“ oder „Ich kann das nicht, hilfst Du mir“ werden von diesem Charakter gerne ausgesprochen. Funktioniert diese Unterstützung, ist das Kind in der Lage, für viele Aufgaben gute Lösungen bzw. Antworten zu finden. Hat das „Kind“ keinen solchen fürsorglichen Menschen, der zur Seite steht, scheitert das Kind schnell an den kleinsten Aufgaben des Lebens, driftet im schlimmsten Fall ab und ist nicht lebensfähig.
Zweiter Charakter ist der „Rückversicherer“. Im Gegensatz zum „Kind“ ist dieser Charakter in der Lage, alle Aufgaben des Lebens mit Wissen, Erfahrung und Leidenschaft zu meistern. Im Prinzip kann dieser Charakter komplett eigenständig agieren, aber er verhält sich wie ein Soldat, der auf das Schlachtfeld gehen muss. Bevor er loszieht, muss er der General – also eine Bezugsperson, die für kompetent gehalten wird oder die als Chef eingeschätzt wird – holt er sich die Rückversicherung. Beliebtester Satz des „Rückversicherers“: „Was meinst Du, soll ich das wohl so machen?“ Dabei weiß er genau, was zu tun ist und kenn die Antwort. Das ist zwar im Endeffekt eine rhetorische Frage, aber der „Soldat“ braucht halt jemanden, der das Kommando gibt und klare Ansagen macht.
Viel Faszination und Anziehungskraft kann der dritte Charakter ausüben: der „Spieler“ oder „Trickser“. Er ist wendig wie ein Aal, kennt keine Probleme, lächelt Sorgen gerne weg und vermittelt den Eindruck, alles im Griff zu haben. Der beliebteste Satz dieses Charakters: „Kein Problem. Das bekommen wir hin. Ich regele das“. Nicht selten kommt es anders, aber darauf hat der Spieler auch eine passenden Antwort. Manchmal neigt der Spieler auch dazu, gerne einmal etwas wegzulassen an Informationen, die nicht „passen“ oder es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Für diesen Typen steht im Fokus nicht die Wirklichkeit, sondern das Bild, das er von sich erzeugen will. Manchmal steckt hinter der spielerischen Fassade und dem lockeren Auftreten jedoch nicht das, was vermittelt wird.
Vierter Typ ist der Chef, auch „Herrscher“ oder „König“ genannt. Er ist der Charakter, der – wie angeboren – unaufgefordert Verantwortung übernimmt, der klare Ansagen macht und der sein Umfeld gerne nach seinen Vorstellungen führt. Er weiß die drei anderen Charaktere zu erkennen, sie -wenn es erforderlich ist – bewusst zu bespielen und so in der Sache oder auch im menschlichen Miteinander zusammen zu halten. Beliebte Sätze sind „Das musst Du genau so machen“ oder „Wir machen das jetzt so und nicht anders.“
Kind, Rückversicherer, Trickser und Herrscher – Sie meinen, dass das eine zu simple Kategorisierung ist? Dann wagen Sie einmal den Blick auf Ihr Umfeld. Sie werden bei jedem Mitmenschen eine Tendenz zu einem der Charaktere erkennen. Manches Mal sind es auch gemischte Formen, doch wenn es darauf ankommt, setzt sich einer der vier Typen durch.
Ach ja, die Herrscher können meist ganz bewusst alle vier Rollen annehmen – je nachdem, was in der Situation am besten für das Miteinander mit dem Umfeld funktioniert.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Alle Typen sind mit ihren Eigenschaften für das gesellschaftliche Miteinander wichtig und sind nicht hinsichtlich ihrer Bedeutung zu hierarchisieren.
Entscheidend ist vielmehr, mit welcher Einstellung zum Leben und zu ihren Mitmenschen die „Inhaber“ dieser Rollen durch das Leben gehen. In Acht nehmen sollte sich, wer feststellt, dass einer der Charakter im persönlichen Umfeld bewusst egozentrisch nur zu seinem eigenen Vorteil und dabei rücksichtslos verletzend agiert.
Fest steht: Ein solches Verhalten ist jedoch viel einfacher zu erkennen, wer die vier Grundtypen beim Blick auf andere einmal für sich „durchscannt“. Wer eine Rolle erkennt, der kann gute Ansatzpunkte finden, wie er ihn oder sie dann einzuschätzen hat. Mit jeder gemachten Erfahrung und Beobachtung wird das Miteinander angenehmer, weil „man sich besser zu nehmen weiß“ – und eben sich nicht immer wieder über das typische und wiederkehrende Verhalten aufzuregen braucht.
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.