Die Wortwahl und ihre Codierung

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Von Holger Hartwig*

Wer im Alltag genau hinhört, der stellt fest: Es sind sehr häufig dieselben Formulierungen und Worte, die unser Miteinander kennzeichnen. Nachfolgend eine Auswahl an typischen Sätzen und was hinter den gewählten Worten steckt:

„Dafür fehlt mir die Zeit“: Wer das sagt, der meint im Klartext, dass ihm anderes wichtiger ist, sonst würde er sich die Zeit nehmen. Wer häufig „keine Zeit“ sagt, der wird feststellen, dass er einen extremen Hang hat, keine Schwerpunkte zu setzen und gerne das eine oder andere vor sich her zu schieben.

„Das wird so von mir erwartet“ bzw. „Das muss ich machen“: Beide Formulierungen lassen erahnen, dass ein Verhalten eines Menschen nicht aus der eigenen Überzeugung gemacht wird. Was das bedeutet? Menschen, die häufig so formulieren, sind „gefangen“ in den Erwartungshaltungen, die andere an sie stellen. Wenn Sie aus Überzeugung handeln, entscheiden Sie selbst und erfüllen keine Erwartungen anderer – und sie wissen, dass sie dieses oder jenes machen dürfen, nicht müssen.

„Ich sollte …“: Solange jemand formuliert, dass er dieses oder jenes tun sollte, wird er niemals das, was er macht, lieben und aus Überzeugung machen. Es kommt zu einem Handeln aus innerer Distanz, das selten Freude oder Erfolge mit sich bringt. Statt sich selbst einen Befehl zu erteilen, hilft es, sich zu fragen, ob bei dem „soll“ auch Aspekte dabei sind, die das eigene Handeln sinnvoll bzw. angenehm machen.

„Warum hast Du das so gemacht?“ bzw. „Was sollte das denn?“: Wer so fragt, der muss sich nicht wundern, dass der Gefragte nicht gelassen und mit Leichtigkeit antwortet. Denn das Handeln geschah aus der Überzeugung, dass es das Beste für die Situation ist. Wer wirklich an den Gedanken und den Vorgehensweisen des anderen interessiert ist, dem hilft eine kleine sprachliche Änderung: „Ich möchte Dein Handeln verstehen. Magst Du mir/ Kannst Du mir etwas mehr davon erzählen?“

„Nein“: Wenn jemand auf eine Bitte mit Nein antwortet, dann ist das nicht immer gleich als eine Ablehnung zu werten. Vielmehr steht bei dem Nein-Sager gerade ein anderes Bedürfnis im Vordergrund, als die Bitte zu „bedienen“.

„Das habe ich schon immer so gemacht“: Dieser Satz muss nicht Ausdruck einer Überzeugung sein, sondern kann auch die Angst vor Neuem bzw. die Ablehnung jeglicher Veränderung sein. Die Sache spielt dabei oft keinerlei Rolle, sondern es steht das Festhalten an gewohnten Strukturen und Verhaltensweisen, in denen sich der betroffene Mensch „sicher“ fühlt, in Zentrum jeden Handelns. Statt die Zurückweisung der Veränderung in den Fokus zu nehmen und für das Neue oder das Alte zu argumentieren, hilft es eher, die fehlende Bereitschaft, etwas Neues zu probieren, zu hinterfragen und mit der nötigen Vorsicht zu „bearbeiten“.

„Das kenne ich schon“: Hier drückt jemand aus, dass er eine Neigung zum Schubladen-Denken hat. Was einmal so war, muss auch immer wieder so sein. Dabei ist jede Situation im Leben anders – mal mehr, mal weniger. Jeder Moment ist lebendig und kann gestaltet werden. Gewohnte Interpretationen sind wie eine verschmutzte Brille: Sie verhindern, dass etwas Neues in einer Situation erkannt wird.

 

Holger HartwigDie Wortwahl und ihre Codierung