Von Holger Hartwig*
Neulich wieder eine Situation, die immer häufiger zu beobachten ist: Ein Kind – nennen wir es der Einfachheit halber Otto – hat von seiner Mutter eine Aufforderung bekommen, sich zu benehmen und eine Handlung zu unterlassen. Und was macht Otto? Erstens weiter, und zweitens fängt er an zu diskutieren. Die Mutter (oder der Vater) geht auf den etwa achtjährigen Otto ein („Ich habe Dir schon so oft gesagt, dass Du das nicht sollst“). Es entwickelt sich ein Dialog, bei dem auch Wörter fallen, für die es vor Jahrzehnten von Papa einen Hieb auf die Ohren oder den Hintern gegeben hätte.
Otto hingegen bekommt keine Grenzen aufgezeigt und macht weiter, so, wie er sich das vorstellt. Respekt gegenüber seinen Eltern hat er nicht kennengelernt, weil die Eltern ihm nie Grenzen aufzeigten und selten Regeln vorgeben. Dieser Otto ist es übrigens auch, der seinen Eltern immer wieder Termine bei seinem Lehrer „beschert“, weil er in der Klasse und gegenüber der Lehrerin – vorsichtig ausgedrückt – auffällig wird. Auch dort beziehen die Eltern gerne die beschützende Haltung für ihren Otto.
Otto steht beispielhaft für viele Kinder dieser Zeit. Schon weit vor der Pubertät wird angefangen zu diskutieren, die „Zwerge“ lassen sich nichts gefallen. Respekt gegenüber Älteren ist auch eher ein Fremdwort. Antiautoritäre Erziehung nannte man das vor vielen Jahrzehnten – wobei bis heute niemand die Frage wirklich beantworten kann, welcher Teil in dem Umgang die Erziehung war.
Was hat das nun mit dem Ansatz eines leichteren Lebens zu tun, das die Texte in dieser Rubrik unterstützen soll? Bedeutet die Beschreibung etwa, dass autoritär und „mit der Hand zu erziehen“ die Lösung ist? Nein. Es geht in diesem Fall darum, selbst zu erkennen und dann auch zu vermitteln, dass das Leben eines jeden Menschen besser funktioniert, wenn er sich bewusst wird, dass Regeln, Respekt und auch Disziplin im Miteinander für Klarheit im eigenen Verhalten und vor allem auch gegenseitige Verlässlichkeit gegenüber anderen sorgen.
Ein Vorbild ist in dieser Hinsicht der Sport. Disziplin und Verlässlichkeit sind unabdingbar, wenn Erfolge erzielt werden sollen. Regeln sind selbstverständlich, klar und eindeutig. Nehmen wir den Fußball. Was meinen Sie: Würde auch nur ein Fußballspiel friedlich enden können, wenn es nicht für alle Beteiligten verlässliche Regeln geben würde, wenn nicht klar wäre, dass mit dem Schiedsrichter nicht diskutiert wird? Fest steht da: Wer die Regeln der Sportart und in der Gruppe nicht akzeptiert, der weiß, mit welchen Konsequenzen er leben muss. Bemerkenswert ist bis heute: Im Sport akzeptieren selbst die diskussionsfreudigsten und respektlosesten Kinder, „was Sache ist“. Gegenüber dem Schiedsrichter und – meistens auch – gegenüber dem Trainer. Sonst spielen sie halt nicht mehr mit…
Da es im Lebensalltag aber keine „Rote Karte“ wie beim Fußball gibt, ist es um so wichtiger, dass Regeln und Respekt im Umgang miteinander klar definiert werden. Wer als Kind nicht Regeln des Miteinanders gelernt bzw. vorgelebt bekommen hat, der kommt im rauhen Erwachsenenleben meist schlechter zu Recht. Denn: Wer keine Regeln akzeptieren und sich dann auch in der Situation arrangieren oder „durchbeißen“ musste, hat es meist auch nicht so mit der persönlichen Disziplin. Grundsätze für das eigene Tun und Handeln sind seltener – im Alltag und im Job.
Ist es also für einen Menschen gut und wichtig, Regeln gesetzt bekommen zu haben? Ist es die Voraussetzung, um im Erwachsenenleben dann auch selbst nach Regeln und Prinzipien konsequent zu handeln? Sind es die Regeln oder Prinzipien, die für gegenseitige Verlässlichkeit sorgen? Ohne Frage – ja.
Überlegen Sie einmal, welche Regeln Sie vermittelt bekommen haben und wie diese bis heute ihr Leben 1:1 kennzeichnen. Oder welche Prinzipien Sie nach gemachten Erfahrungen selbst als Erwachsene für sich angepasst haben? Überlegen Sie einmal: Hat es Ihnen geschadet, Respekt und Disziplin vermittelt bekommen zu haben? Und: Denken Sie einmal darüber nach, was es mit Ihnen und Ihrem Alltag macht, wenn Sie keine Regeln hätten und sich keine Vorgaben mehr machen?
Bei aller Liebe zur persönlichen Freiheit: Was bedeutet es für unser Miteinander, wenn jeder alles so auslebt, wie er es gerne hätte? Was bedeutet es, für jeden einzelnen, wenn er sich selbst keine Regeln setzt, sondern nach Lust und Laune handelt? Leichter wird das Leben dadurch nicht.
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er unterstützt Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.