Kennen Sie das bei sich und bei Menschen aus Ihrem Umfeld? Die einen neigen dazu, die Verantwortung für eine Situation, eine Entwicklung, einen Fehler oder den Verlauf eines Gespräches grundsätzlich bei sich zu suchen. Bei den anderen ist es genau umgekehrt. Sie fühlen sich wohl, mit dem Finger oder mit Worten auf andere zu zeigen und tragen ja selbst an der Sache oder der Situation keine Verantwortung.
Beide Verhaltensweisen und Gedankenansätze sind zu kurz gesprungen. Die Verantwortung an einer Situation tragen immer alle, die beteiligt sind oder waren. Ganz häufig ist es in der Kommunikation so, dass mit Worten auf den anderen gezeigt wird. „Dir fehlt es an Freude“, „Du hast Dich nicht im Griff“ – von diesen klassischen „Du“-Botschaften gibt es sehr viele, und viele, die auch sehr verletzend sind. Oder ein anderer neigt dazu, immer und zuallerst alles auf sich zu beziehen.
Wie lässt es sich mit Menschen am besten umgehen, die zu der einen oder zu der anderen Denk- und Kommunikationsweise tendieren? Der erste und wohl wichtigste Ansatz ist, die Situation „mit den Augen des Anderen“ zu betrachten. Einen Moment die Perspektive wechseln, nach dem „Warum“ zu fragen und zu erkennen, welche Bedürfnisse hinter dem Verhalten stehen. Der eine will sich wichtig und „mächtig“ machen, der andere drückt sein wenig ausgeprägtes Selbstbewusstsein aus. Und ganz oft ist das mit den Du-Botschaften auch sehr einfach: Manch` einer nutzt so die Gelegenheit, von sich selbst abzulenken, weil er bei dem anderen etwas bemängelt, was auch er selbst nicht hat. Getreu dem Motto: Wenn der Vorwurf auf den anderen abzielt, bin ich erst einmal aus der Schusslinie.
Sich die Welt mit den Augen des anderen anzusehen, ist auch die beste Chance, wieder zurück in den Dialog zu kommen. Aktuell ist es die Corona-Pandemie, die zwischen Gegner der Impfung und Befürwortern zu Anfeindungen, Beleidigungen und Drohungen führt. Auch da fehlt oft der Perspektivwechsel, um sich die Worte und Argumente aus der Sicht des anderen anzusehen.
Zum Abschluss heute eine Frage: Kennen Sie den Unterschied zwischen einer Diskussion und einem Dialog? Der Dialog hat das Ziel, auf Augenhöhe miteinander Argumente und Sichtweisen auszutauschen, sich gegenseitig zu befruchten und – jeder für sich – neue Erkenntnisse zu gewinnen. Bei der Diskussion steht der „Sieg“ im Vordergrund, es geht darum, den anderen von den eigenen Standpunkten zu überzeugen. Dabei weiß im Prinzip jeder, dass er andere nicht überzeugen kann. Sie müssen bereit sein, sich überzeugen zu lassen. Und das geht am besten im Dialog. Mit guten Argumenten, die passgenau für den anderen dargestellt werden. Wie das am besten geht? Einmal auf die Situation schauen mit den Augen des anderen…
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.