Vom Umgang mit Streit

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Sich zu streiten gehört im Alltag dazu. Streiten meint in diesem Fall nicht den positiven Austausch der Gedanken zu einem Thema, sondern eher Situationen, in denen ein Beteiligter voller Aggressivität mit Lautstärke und manchmal auch Beleidigungen agiert. Dann ist es für den Betroffenen oft zum Kopfschüttel. „Aus der Haut“ fahren möchte man dann, manchmal am liebsten einfach nur wütend zurückbrüllen. Besser wird´s dadurch nicht…

Wenn Ihnen jemand „blöd“ kommt (oder Sie empfinden das zumindest so), dann hilft es, sich ganz kurz die Frage zu stellen: Was steckt hinter dem Verhalten des anderen?

Ein aktuelles Beispiel aus der vergangenen Woche: Um bei einem Freund etwas abzugeben, parke ich vor dem Haus unter einem Carport. Auf der Straße stehen viele Autos, der Parkplatz war frei und es stand auch kein Schild im Sinne von „Parken verboten! Dies ist ein Privatgrundstück“. Kaum hatte ich bei dem Freund geklingelt, öffnete sich die Tür des Nachbareingangs. Eine junge Frau kommt heraus. Kein Moin, kein „Guten Tag“. Sofort geht es los: „Ist das Ihr Auto dort auf dem Parkplatz? Sie dürfen da nicht stehen. Das ist nicht erlaubt.“ Ich versuche nur kurz zu erwidern, dass ich etwas abhole und gleich wieder weg bin. „Das interessiert mich nicht. Fahren Sie sofort ihr Auto weg. Sonst hole ich die Polizei!“

Innerlich habe ich in diesem Moment nicht nur den Kopf geschüttelt, sondern hätte der Frau am liebsten verbal „was um die Ohren gehauen“ im Sinne von „Sie haben aber echt Sorgen!“ oder „Sie ticken ja wohl nicht mehr ganz richtig, wo ist das Problem?“. Ich bleibe stattdessen äußerlich ruhig, höre mir zwei weitere Minuten letwas über meine Unverschämtheit an – und wünsche, nachdem die Dame dann still ist, zum Schluss einen angenehmen Tag.

Früher hätte ich den Streit schon beim ersten Mal „angenommen“ und gegengehalten (oder es zumindest versucht).

Warum ich das nicht mehr mache? Wenn ich den Eindruck habe, dass ein Streit und kein Dialog wartet, dann schaue ich mir an, was das Bedürfnis bzw. die Motivation für das Verhalten des anderen sein könnte. Und sehr sehr oft stelle ich dann für mich fest: Die Sache ist es nicht. Denn wer in sich einigermaßen „klar“ ist, der kommt gar nicht auf die Idee, z.B. wegen einer kurzzeitigen Nutzung eines Parkplatzes „Theater“ zu machen. Wenn schon, dann kommt ein freundlicher Hinweis…

Als ich wieder zuhause bin, frage ich den Freund, was das Verhalten der Nachbarin wohl sollte. Er sagt: Ihn überrasche es nicht. Alle in der Straße würden regelmäßig ihr Fett von dieser Frau wegbekommen…

Am Tag darauf muss ich wieder etwas zu dem Freund bringen. Ich überlege mir, wie ich mit der Situation umgehe. Mir ist klar geworden: Diese Frau SUCHT jede Möglichkeit für einen Streit. Denn der Streit mit anderen lenkt sie von ihrer eigenen Unzufriedenheit und ihren wirklichen Stressthemen ab – sei es in der Ehe, in der Familie oder am Arbeitsplatz. Solange sie sich über andere aufregen und dann auch streiten kann, muss sie sich nicht mit sich selbst beschäftigen. Das ist sozusagen ihr „Fluchtmechanismus“ aus ihrem Alltag.

So, wie bei dieser Frau, hilft es, sich in jeder Auseinandersetzung kurz die Frage zu stellen, was das Bedürfnis des anderen sein könnte. Meist ist schnell erkennbar, wenn es nicht um die Sache geht – und dann ist es leichter, die Ruhe zu bewahren, weil man selbst mit seinem Verhalten oder Worten nicht die wirkliche Ursache ist.

Ach ja, als ob ich es geahnt hätte. Am nächsten Tag war die Situation ähnlich. Ich entscheide mich, wieder kurz unter dem Carport zu stehen. Die Frau erfüllte meine Erwartungen. Kaum bin ich bei meinem Freund und schon klingelte es. Wer steht vor der Tür? Die Nachbarin. Wieder kein freundliches Wort. Sofort prasselt es erneut los…

Ich habe mit der Frau kein Gespräch begonnen, sondern ihr einen Umschlag mit einem freundlichen Lächeln in die Hand gedrückt (den hatte ich vorbereitet, weil ich das Verhalten erwartet hatte). Darin zwei Euro „Parkgeld“ und einige nette Zeilen. Ich habe mich bei ihr sogar bedankt. Bedankt, dass sie mir durch ihr Verhalten aufgezeigt hat, wie glücklich ich sein darf, dass ich tolerante, liebenswerte und zufriedene Nachbarn/ Mithausbewohner habe…

PS: Die Dame hat natürlich keine Ruhe gegeben. Mein Freund wurde erneut angesprochen. Klare Ansage der freundlichen Nachbarin: Sie würde sich eine Anzeige bei der Polizei vorbehalten. Das Auto sei fotografiert worden. Ich frage mich nur: Auf welcher Grundlage eine Anzeige? Wer ist denn geschädigt worden?

Sei´s drum. Ich wünsche der Dame, dass sie eines morgens aufsteht, sich über die lachende Sonne freut und anfängt, sich und ihr Leben zu betrachten. Dann wird vielleicht der Tag kommen, wo auch sie wieder lachen kann (denn das Gesicht der Frau, die mir zweimal gegenübertrat, sagte im Prinzip schon alles). Und dann wird sie vielleicht sogar über sich und ihr Verhalten lachen.


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