Von Ralph Knöfler, Stadtpastor in Leer
Seit gut einem Jahr arbeite ich als Stadtpastor in Leer und wohne am Rande der Altstadt, unweit vom Hafen, in der Nähe des historischen Teils mit dem kleinen Schiffmuseum mit kleinen, alten Schleppern, Lastkähnen, Plattbooten… zur Seeschleuse ist es nicht weit, den ganzen Hafen umrunde ich mit dem Rad immer wieder, die Ems ist nah bei und ab und an führt der Weg nach Emden mit seinem Seehafen. Leer ist ein wichtiger und großer Reederei-Standort, ich lerne Menschen kennen, die mit Schifffahrt zu tun haben … da spricht mich das alte Adventslied neu an … bekommt so ein altes, eigentlich in der Mystik verwurzeltes Lied noch eine neue und etwas andere Bedeutung. Und wenn ich’s recht bedenke, schon zu Kinderzeiten hatte der Dortmund-Ems-Kanal mit den Hebewerken, der Lippe-Seiten-Kanal einen gewissen Reiz … wie oft haben wir dort den Schiffen zugesehen, schwer beladen, tief im Wasser liegend … Wellen brachen am Ufer … vieles von dem begegnet mir in Leer wieder … und das alte Lied erzählt mir etwas vom Advent und von Weihnachten:
„Es kommt ein Schiff, geladen/bis an sein‘ höchsten Bord,/
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,/des Vaters ewigs Wort.
Das Schiff geht still im Triebe,/es trägt ein teure Last;/
das Segel ist die Liebe,/ der Heilig Geist der Mast.
Der Anker haft‘ auf Erden,/da ist das Schiff am Land./
Das Wort will Fleisch uns werden,/der Sohn ist uns gesandt.
Zu Bethlehem geboren/im Stall ein Kindelein,/
gibt sich für uns verloren,/gelobet muss es sein.
Und wer dies Kind mit Freuden/umfangen, küssen will,/
muss vorher mit ihm leiden,/groß Pein und Marter viel,
danach mit ihm auch sterben/und geistlich auferstehn,/
das ewig Leben erben,/ wie an ihm ist geschehn.“
Jedes Schiff, das komm oder geht, trägt eine Verheißung in sich, eine Stimmung voller Sehnsucht und Erwartung. Vielleicht fasziniert es darum uns Menschen. Die Ladung dieses tiefliegenden Schiffes ist d i e Antwort Gottes auf unsere Sehnsucht nach gelingendem Leben, erfülltem Menschsein und Frieden.
Ruhig kommt das Schiff mit seiner Ladung, für mein Empfinden manchmal zu behäbig; doch das Warten lohnt sich. Es bringt das vielleicht Wertvollste, was Menschen geschenkt werden kann: die Kraft des Glaubens, eine Spiritualität, die größer und höher ist als all‘ unsere Vernunft und Unmögliches vermag! – die Kraft, die Energie, die Leidenschaft der Liebe – den lebensschaffenden und schöpferischen Geist … so berührt GOTT die Seele der Menschen. Wenn das Schiff vor Anker geht, berühren und verbinden sich zwei Welten, die sonst getrennt zu sein scheinen: Wasser und Land, Weite und Nähe, GOTT und Mensch, Leben und Tod … vor Anker kommt das Schiff zur Ruhe – für uns eine Ruhe, um zu dem zu kommen, was da zu uns kommt – uns dem zu öffnen … da wird aus dem adventlichen ein weihnachtlicher Ton: Der Anker wird nicht zufällig, doch alten Ahnungen und Worten gemäß in Bethlehem festgemacht. Im neugeborenen Kind in der Krippe begegnet uns alles Wunderbare, Verheißungs-volle und Verletzliche. Im Kind begegnet uns der Himmel und im Vertrauen darauf das Leben in Fülle, einer Fülle, die geltenden ökonomischen Grundsätzen in keinster Weise entspricht. Wer in der ganzen Tiefe versteht, was es mit der Schiffsladung auf sich hat, also wer mit dem Herzen das Kind sieht, sieht, was Jesus in seinem Menschwerden und Menschsein für uns getan hat, der wird anderen Menschen – und sich selbst – mit Respekt und Wertschätzung, mit zuwendender Liebe und Mitgefühl begegnen, seinen Schmerz teilen, seine Freude staunend wahrnehmen und das für ihn – das für sich Wesentliche erkennen.
Wer in dem Kind in der Krippe diese Spannung erspürt: die Nähe zu uns Menschen und zu unserem Leben und gleichzeitig die Distanz zu der Welt und deren (ökonomischen) Maßstäben – die können ein Leben in Fülle diesseits und jenseits des Todes erhoffen, das allerdings nicht (auch das deutet das Lied klar an) ohne Schatten, ohne Risse und Brüche und Unvollkommenheit sein wird. Aber immer eines voller Verheißung, Hoffnung und Halt: Wer am Ufer des Lebensflusses (oder eines Sees oder Hafens oder Meeres) innehält, in diesen Tagen der Ankunft still, wirklich in sich still wird, kann Altes loslassen, das Wesentliche sehen und Leben neu gewinnen und ausrichten – davon bin ich tief überzeugt! „Es kommt ein Schiff geladen …“ – vielleicht verbirgt sich in dem mehr Weihnachtliches als auf allen Weihnachts- Märkten, selbst dem hier am Hafen, dem „Wiehnachtsmarkt achter d’waag“.
„Es kommt ein Schiff geladen …“ – kein Wunder, dass Menschen darauf warten, gerade auf dieses Schiff. Auf dessen Ankunft. Und ist doch schon da – ein Wunder: GOTT auf Landgang … und kann D I R begegnen …
In diesem Sinne Dir und Euch und allen Menschen guten Willens um Dich und Euch herum ein gesegnetes, friedvolles Weihnachtsfest 2022 – Glaube, Hoffnung, Liebe landen an … und mit dieser geballten Ladung Leben wünsche ich Dir und Euch ein gutes Ankommen – „Ankern“ – im neuen Jahr 2023!
Es grüßt herzlich und zuversichtlich
Ihr Leeraner Stadtpastor
Ralph Knöfler