DIE KOLUMNE: Der einsame kommunale Sparkurs hinein in die Sackgasse

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Harte Zeiten sind es aktuell für die Kommunalpolitiker landauf landab. In den zurückliegenden Jahren waren die Kassen dank hoher Steuereinahmen und Zuweisungen voller als sonst. Fördergelder flossen und es konnte investiert werden. Damit ist jetzt Schluss. Inflation mit steigenden Baupreisen und dazu noch die Energiekrise – die Kosten laufen davon. Wer seine Haushalte nicht überschulden will bzw. nicht von der Kommunalaufsicht die Rote Karte für seine Finanzplanungen gezeigt bekommen will, muss auf die Ausgabenbremse drücken.

Stadt Leer verzichtet auf Projekt – trotz Fördergeld

In der Stadt Leer hat die Rathausspitze als eine der ersten Verwaltungen die schmerzhafte Debatte des Streichens und Verschiebens von Investitionen mit der Politik losgetreten. Denn eines ist klar: Die gestiegenen Ausgaben können nicht im Ansatz durch Steuererhöhungen „aufgefangen“ werden. So nimmt die Stadt Leer durch um eine rechnerisch 5 Prozent erhöhte Grundsteuer B, die die Bürger noch mehr belastet, gerade einmal 300.000 Euro mehr ein. Im Klartext heißt das: Nur die Sanierung der Schulen und das schon weit vorangeschrittene Fahrrad-Innenstadtkonzept werden wie geplant umgesetzt, der Rest wird auf die lange Bank geschoben. Selbst ein mit viel Fördergeld finanziertes Projekt, der Umbau der Ledastraße zur multifunktionalen Bewegungszone, wird gestrichen. Warum? Weil die Baukosten davongelaufen sind und statt einer 90-prozentigen Förderquote bei knapp einer Million Ausgaben die Stadt aufgrund der aktuellen Baupreise jetzt mit mehr als 1,7 Mio. Euro Kosten rechnet. Das ist zu viel für eine freiwillige, nicht zwingend notwendige Ausgabe. Die Stadt Leer muss um so mehr so handeln, da neben den der Sanierung und Modernisierung der Schulen auch große Investitionen in die sonstige Infrastruktur – allen voran die Südringbrücke, die viele Millionen verschlingen wird – unabdingbar sind, wenn die „Mindestausstattung“ Leers gewährleistet bleiben soll.

Der Blick in die Glaskugel als Hoffnungsfaktor

Das dramatische an der Entwicklung ist: Die öffentliche Hand –das sind Kommunen, Behörden und auch das Land – werden in den nächsten Monaten bzw. Jahren als Auftraggeber in dem vorgesehenen Maße ausfallen. Das ist vor allem schmerzhaft, weil ganz offensichtlich ist, dass die freie Wirtschaft aktuell nur noch das umsetzt, was bereits beauftragt wurde bzw. im Bau ist. Bei allen neuen Investitionsentscheidungen wird so wie bei der Stadt, die durch die Einführung der kaufmännischen Buchführung vor zehn Jahren wie eine Firma bilanziert, gehandelt: Was nicht muss, wird nicht gemacht. Alle hoffen mit einem Blick in die Glaskugel zu erkennen, dass sich die Preise und Rahmenbedingungen ab 2024 oder danach wieder „normalisieren“ würden. Bis es soweit ist, könnte der Sparkurs fatale Folgen haben, und zur Sackgasse für viele Betriebe werden, denn früher hat die öffentliche Hand in schwierigen Zeiten investiert – volkswirtschaftlich heißt das „antizyklisches Handeln“. So wurden die Firmen in der Region mit Arbeit versorgt und konnten sich durch die Krise retten.

Klare Regeln für künftige Stadtentwicklung

Was ist die Lösung? Erstens sollte die Stadtverwaltung – was sie auch macht – alle Planungen für Investitionen zielstrebig vorantreiben. Zweitens sollte die Zeit genutzt werden, um für alle kommunalen Bereiche Sanierungs- und Entwicklungspläne mit klaren Regeln aufzustellen, die dann für Politik und Bürger einen verbindlichen Handlungs- und Erwartungsrahmen schaffen. Und zudem noch beten, dass bessere Zeiten wieder kommen.

Bund und Land müssen handeln

Vor allem gefordert sind Land und Bund. Sie werden sonst erleben, dass Fördergelder einfach nicht mehr abgefordert werden. Sie werden auch – und das ist heftiger – erleben, dass das Erlahmen der Wirtschaft die Ausgaben für Soziales – neben Wohngeld, Energiegeld und Zahlungen an Flüchtlinge – in die Höhe schießen lässt, weil Jobs verloren gehen. Bund und Land haben die Aufgabe, sehr schnell den Rathäusern und Kommunalpolitikern zur Seite zu stehen und sie nicht allein im Regen stehen zu lassen. Das beginnt bei den Fristen, bis wann Fördermittel abgerufen sein müssen, damit sie nicht verfallen. Das geht weiter über die prozentuale Erhöhung der Zuschüsse um den Kostensteigerungs- und Inflationsfaktor. Schließlich profitieren Bund und Länder durch gestiegene Preise und Löhne durch höheres Steueraufkommen. Nur wenn von höherer Stelle gehandelt wird, können viele Projekte – und diese Maßnahmen spüren die Bürger in ihrem direkten Lebensumfeld – „gerettet“ werden.

Lockerungen bei der Finanzplanung

Zu guter Letzt geht es aber auch um klare Vorgaben, wie die Kommunen insgesamt wirtschaftlich durch die Zeit kommen sollen. Vor Ort keine Schulden machen zu wollen, ist löbliches Handeln der Politiker und Verwaltung, aber mit den beschriebenen Folgen verbunden. Wie es anders geht, macht zuletzt vor allem der Bund zuletzt über alle Parteigrenzen hinweg vor. Dort wird auf besondere Situationen mit besonderen Finanzierungsinstrumenten reagiert. Muss halt sein – für Corona und Krieg kann ja niemand etwas. Dort nennt man das dann „Sondervermögen“, um die Vorgabe, keine Nettoneuverschuldung zu machen, einzuhalten. Auf kommunaler Ebene sind diese Möglichkeiten jedoch nicht gegeben. Schließlich muss dort kaufmännisch – und damit vernünftig wie in einem Unternehmen – bilanziert werden, während Bund und Länder bis auf wenige Ausnahmen weiterhin nur die veraltete, einfache und oberflächliche Aus- und Einnahmenrechnung („Kameralistik“) kennen. Kurzum: Es muss auch auf lokaler Ebene „Lockerungen“ für die Finanzplanung geben. Auch wenn das mehr Verschuldung vor Ort bedeutet. Denn „Oben“ das Geld für Waffen und vieles mehr auszugeben und „unten“ vor Ort zu sparen, wird gesellschaftspolitisch nicht funktionieren.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Der einsame kommunale Sparkurs hinein in die Sackgasse