Von Holger Hartwig*
Die Älteren erinnern sich: Bis in die 1980er Jahre gab es in Deutschland drei TV-Sender, die erst um 16 Uhr mit dem Programm begannen, eine Handvoll Radiosender und dazu Zeitungen und eine größere Auswahl an Magazinen – aber bei weitem nicht so viele, wie sie heute digital und im Handel zu kaufen sind. Wer jungen Menschen und Kindern heute davon berichtet, der bekommt erstaunte Blicke, wie so etwas sein konnte. So, wie sich die Medien verändert haben, haben diese sich kontinuierlich auch immer stärker im Alltag der Menschen „breit“ gemacht. Die Digitalisierung mit SmartPhones, Smart-Home-Assistenten hat den allumfänglichen Informationskonsum nahezu perfektioniert.
Mit diesen neuen Möglichkeiten – lassen wir die sozialen Netzwerke einmal außen vor, denn das ist noch ein viel komplexeres Thema – ist die Vielfalt der Informationen deutlich mehr geworden. Aber:
Ist damit die Informationsqualität auch besser geworden?
Fühlen sich die Menschen in ihrem Lebensalltag besser und sicherer?
Gerade in den vergangen drei Jahren mit Pandemie und dem Krieg in der Ukraine lässt sich feststellen: Nein. Es wird so viel informiert, diskutiert und debattiert wie noch nie. Zur Information: Wer will, der kann rund um die Uhr das Weltgeschehen verfolgen und bekommt mit, wenn in irgendeinem Ort, dessen Namen er noch nie gehört hat und bei dem er auch nicht weiß, wo er ist, ein Unglück passiert ist. Jede noch so kleine Facette wird über irgendein Medium „präsentiert“ – und dabei gilt: „Bad News are good news“.
Sobald dann ein – von wem auch immer als wichtig definiertes Ereignis passiert – gibt es Sondersendungen. Brennpunkt – Was nun? – Im Fokus, oder wie sie alle heißen und es wird ergänzend zu den faktenorientierten Nachrichten alles Mögliche dargestellt. Bei Unglücken berichten Reporter von Ort stundenlag, obwohl es keine Neuigkeiten gibt. „Man“ muss als Medium mitmachen – weil viele Menschen lesen, zuhören oder zuschauen. Nicht selten wird dann beschrieben, welche negativen Folgen sich in der nächsten Zeit ergeben könnten. Man will sich ja nicht später sagen lassen, man habe nicht auf die Möglichkeit hingewiesen. Zwischendurch kommt dann bei manchem Medium noch der Werbeblock, wo – sehr gerne – auf alle möglichen Krankheiten und Mittelchen hingewiesen wird, die es für die Gesundheit gibt. Neuerdings wird sogar auf eine drohende Gürtelrose, die kommen könnte, wenn man irgendwann einmal die Pocken gehabt hat…
Gesteigert wird diese Informationsflut dann noch durch die Talkshows. Jede Stunde auf irgendeinem Fernsehsender wird über irgendetwas – auch da kann man sich manches Thema gar nicht ausdenken, so komisch sind die – durch „Experten“ diskutiert. Diese Sendungen sind oft getarnt als politische Gesprächsrunde zu aktuellen Themen – in Wirklichkeit sind sie ausgerichtet auf Unterhaltung und Quote. Und gemeinsam haben diese Runden eines: Mindestens einer der „Experten“ beschreibt, was im allerschlimmsten Fall passieren wird…
Spätestens nach dem Konsum aller dieser „Unterhaltungs-Information“ dürften dann negative Zukunftsgedanken im Kopf des Konsumenten fest verankert sein. Dabei wäre die Kerninformation doch so kurz und knapp gewesen – wenn nicht anschließend diskutiert, spekuliert und dramatisiert werden würde.
Wer sich heute dem Medienkonsum aussetzt, der stelle sich die Frage: Wozu benötige ich diese Information? Was bringt Sie mir? Welchen Vorteil habe ich wenn ich Diskussionen, Prognosen und Zukunftsszenarien betrachte?
Die Antwort nach dem Wozu? Weshalb? Warum? bei immer ausschweifenderen Konsum von Medien und Informationen wird in sehr vielen Fällen sein: „Ich weiß es nicht. Irgendwie hat sich das über die Jahre so ergeben“.
Was das bedeutet? Weniger ist mehr. Es ist Zeit, sich Gedanken zu machen, wie hoch der Informationsbedarf an Fakten tatsächlich ist und dann auch gleich mal zu überlegen, was in der Zeit, in der bisher zugeschaut und zugehört wird, alles sonst möglich ist.
PS: Die Menschen, die vor der Digitalisierung gelebt haben, haben das auch überlebt und waren gut informiert. Aber eben halt nicht über jedes Unglück im hinterletzten Winkel dieser Welt und über jede denkbare Verschlimmerung einer Situation, die irgendwann einmal eintreten könnte. Damit ließ es sich bestimmt oft leichter leben 😉
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er unterstützt Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.