Zurück zur Kindersprache

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Von Holger Hartwig*

Das Leben könnte so einfach ein, wenn Erwachsene sich doch wieder mehr daran erinnern würden, wie sie als Kind gesprochen haben. Wenn Kinder das Ziel haben, ein Eis zu bekommen, dann sagen: „Ich will ein Eis“. Oder wenn sie gut erzogen sind, dann „Ich möchte ein Eis“. Aber auf jeden Fall sagen sie klipp und klar was sie wollen. Wenn zwei Erwachsene an einer Eisdiele vorbei laufen , dann sagt der eine zu dem anderen eher: „Ich könnte mir vorstellen, dass wir da jetzt ein Eis essen“. Oder vielleicht die Du-Botschaft: „Möchtest Du ein Eis?“. Mit zunehmendem Alter wird die Bereitschaft, klar zu sagen, was der Wunsch ist, immer weniger.

Oder nehmen wir ein anderes Beispiel, was die funktionierende Kindersprache auszeichnet: klare Botschaften. Wenn Kinder und Eltern unter einem Dach leben, dann gibt es immer mal wieder Themen, die es zu regeln gilt. Sei es das Verhalten am Esstisch oder die Ordnung im Kinderzimmer. Erwachsene wissen dabei: Wenn ich von dem Kind etwas will, dann muss ich klare Ansagen machen und deutlich formulieren, was ich will. Wer sagt „Du sollst doch nicht immer so unordentlich sein“ und dann erwartet, dass das Kind versteht, dass es Zeit zum Aufräumen ist, der wird lange warten müssen. Auch hier gilt: Je klarer die Botschaft, desto schneller die Umsetzung. Was funktioniert wohl am besten? „Du sollst nicht immer so unordentlich“ oder „Dein Chaos nervt mich. Räum bitte auf!“.  Ganz eindeutig: Variante 2. Denn: Je klarer die Botschaft und je eindeutiger die Aufforderung, desto größer die Erfolgsaussichten. Und vor allem: Nicht-Botschaften aktivieren kein Handeln. Ein Kind macht nicht von sich aus einem „unordentlich sein“ ein „endlich aufräumen“. Negative Botschaften verfehlen ihre Wirkung.

Je erwachsener Menschen werden, um so weniger kommunizieren sie direkt. Warum? Aus Angst vor der Reaktion. Aus Angst, dass ein Wunsch nicht erwidert wird. Aus Angst, sich angreifbar zu machen? Es gibt dafür viele Gründe. Fest steht: Je größer der Wortschatz und facettenreicher das Ausdrucksvermögen, um so komplizierter wird in vielen Fällen das Miteinander.

Besonders auffällig ist die fehlende klare Kommunikation übrigens bei Paaren, bei denen es ein oder beide Partner verlernt haben, in klarer Sprache ihre Bedürfnisse gegenüber dem anderen auszudrücken. Das bietet ganz viel Stress- und Konfliktpotenzial. Herrlich ist es zum Beispiel, wie der Wunsch nach körperlicher Nähe formuliert wird. „Ich habe Lust auf Dich“ – das wäre einfach. Stattdessen gibt es die unterschiedlichsten Formen, die als romantisch verkauft werden, aber oft nicht zum Ziel, der Erfüllung des Bedürfnisses führen. Denn je komplizierter ein Wunsch bzw. Bedürfnis geäußert wird, um so mehr Interpretationsspielraum gibt es bei den Anderen. Die Zahl der Streitigkeiten steigt immer weniger direkter und klarer Kommunikation.

Dabei ist das Leben so einfach, wenn jeder wieder klarer das sagt, was er sich von den anderen wünscht oder was ihn ärgert. Das schafft Klarheit und Verbindlichkeit. Und selbst, wenn nicht jeder Wunsch erfüllt wird, ist das kein Drama. Auch das kennt jeder aus der Kindheit, dass Mama oder Papa „Nein“ sagen. Das Leben geht dann weiter – und meistens wird der klare Wunsch dann doch später oder ein anderes Mal erfüllt. Denn wir mögen es nicht, dass unsere Bedürfnisse, wenn wir sie dann erkannt und verstanden haben, auf Dauer „unbedient“ bleiben.

Zu einer klaren Sprache zurückzukommen, ist übrigens viel leichter, als es sich mancher Erwachsene vorstellt. Paaren rate ich oft daraus ein Spiel zu machen, indem sie den anderen bitten, das Gesagte doch noch einmal so zu formulieren, als wenn ein kleines Kind die Botschaft empfangen soll. Das sorgt nicht nur für Klarheit im Umgang miteinander, sondern auch für Schmunzeln, wie die Sprache der Erwachsenen das Leben „verkomplizieren“ kann.

* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.

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