Die Kommunalwahl liegt ein Jahr zurück. In Papenburg hat sich dabei Geschichte wiederholt. 1996 wird Ursula Mersmann von der CDU nominiert, parteiinterne Kräfte mobilisieren mit Ulrich Nehe einen parteilosen Bewerber, der dann eindeutig die Wahl gewinnt und vom Posten des Wirtschaftsförderers auf dem Chefsessel im Rathaus der Kanalstadt Platz nimmt. 2006 das gleiche Spiel. Dieses Mal nominieren die Christdemokraten in einer Kampfabstimmung Helmut Stavermann als Bürgermeisterbewerber. Es dauert nicht lange, bis dann ein bis dahin weitgehend Unbekannter seinen Hut in den Ring wird. Es ist der Justitiar der Stadt, Jan-Peter Bechtluft. Damit Bechtluft antreten darf, muss er allerdings ein CDU-Parteibuch abgeben. Gesagt, getan. Und was passiert? Wieder wird – da sind sich alle Kenner der Politikszene der Stadt einig – durch CDU-nahe Akteure und mit finanzieller Förderung ein umfassender Wahlkampf auf die Beine gestellt. Auch dieses Mal klappt es. Statt Stavermann bekommt Bechtluft die Bürgermeisterkette um den Hals gehängt…
Es beginnt eine turbulente Zeit im politischen Papenburg. Die CDU erlebt eine Abspaltung – Dr. Volker Eissing führt nach den Ereignissen um Stavermann und bei den Fraktionswahlen ein Trio an, dass nicht mehr für die CDU agieren will – und so müssen die Christdemokraten erstmals in der Geschichte – offiziell – mit einer anderen Partei, der FDP, zusammen arbeiten, um Mehrheiten zu sichern. Bürgermeister Bechtluft soll dabei Bürgermeister aller Papenburger sein. Parteiungebunden, so wie er es im Wahlkampf „verkauft“ hat.
2007 dann der „Hammer“. Bechtluft und die CDU laden zu einem Pressegespräch ein. Das Thema: Der Bürgermeister hat sich entschieden, wieder in die CDU einzutreten. Ok, seine persönliche Entscheidung, aber der Beigeschmack bleibt. Dieser Schritt gehört eingeordnet – sprich kommentiert. Die Schlussfolgerung des Kommentars lautet: Bechtluft hat mit den Bürgern der Stadt als parteiloser Bürgermeister einen „Arbeitsvertrag“ geschlossen. Die Parteilosigkeit war dabei ein wesentlicher Faktor dieses Vertrages, sonst hätten die Bürgerinnen und Bürger das CDU-Original gewählt. Im Arbeitsleben würde diese einseitige Veränderung eines wesentlichen „Vertragsbestandteils“ zu einer Beendigung der Zusammenarbeit führen. Für die Politik und das Bürgermeisteramt gilt das nicht…
Was ist also zu tun, um als Zeitung vor Ort dieses Thema aufzuarbeiten? Die Lösung: Die Leserinnen und Leser nach ihrer Meinung fragen. Das hat es zwar so bisher nie gegeben, aber Versuch macht klug. Es ist eine große Unsicherheit, ob und wieviele Bürger sich melden werden. Sei´s drum. Probieren geht über Studieren. Dabei wird es darauf ankommen, dass die Teilnehmer mit ihrem Namen zu ihren Aussagen stehen. Die Idee: Wir lassen tags darauf eine Stunde anrufen, notieren die Namen und Telefonnummern und rufen dann zurück.
Es ist ein Samstag, drei Redakteure sind ins Büro gekommen. 10 Uhr geht´s los. Und was passiert? Das Telefon klingelt in einer Tour. Die Leserinnen und Leser sprechen alles aus, was ihnen durch den Kopf geht. Tendenziell mehr Kritik an der Entscheidung Bechtlufts, aber auch Zustimmung, weil von der Parteimitgliedschaft kürzere Wege nach Hannover und Berlin erwartet werden und es ja nur ehrlich sei, wieder in die Partei einzutreten. Manches Telefonat ist auch erschreckend. So sagt eine ehemalige Leiterin einer kirchlichen Bibliothek, dass das zu dem „CDU-Klüngel“ in Papenburg passe. Sie habe so viele Jahre gekämpft, um für ihre Einrichtung Geld zu bekommen (sie sei engagiert in der Kirche, allerdings nicht in der „marktbeherrschenden“ katholischen Kirche). Sie lässt ihrem Frust freien Lauf. Auf die Frage, ob die Aussagen veröffentlicht werden dürften, kommt ein entschiedenes Nein. Das wolle sie nicht. Aber sie sei doch gar nicht mehr in der Verantwortung, entgegne ich. Ja, meint die Seniorin, das stimme, aber wenn sie sich nun so äußere, dann falle das der Nachfolgerin auf die Füße. Mich macht die Fülle derartiger Aussagen nachdenklich.
Fest steht, dass wir sehr viele Aussagen veröffentlichen. Montag – eine ganze Zeitungsseite. Dienstag – noch eine ganze Zeitungsseite. Und Mittwoch noch eine. Kurzum: Eine Leseraktion, die eingeschlagen hat, wie es nur selten der Fall ist. Papenburg spricht über das Thema – oder besser gesagt: Papenburg spricht erstmals offen über alles, was sich in dem vergangenen Jahr in der Stadt und in der Politik „aufgestaut“ hat.
Während die Seiten mit den vielen Meinungen veröffentlicht werden, ist hinter den Zeitungskulissen der Bär los. Zustimmung für den Mut (Warum eigentlich?), aber auch Drohanrufe und Beleidigungen. Aus den Reihen der CDU Papenburg wird vorgeworfen, dass „die Ems-Zeitung ja nun endgültig das Niveau der Bild-Zeitung hat“. Zudem beschwert sich ein Christdemokrat ernsthaft , dass er ja nun nicht einmal mehr in Ruhe zum Bäcker gehen könne. Er würde ständig angesprochen und müsse sich erklären. Das könne nicht sein, schließlich sei Politik ein Ehrenamt, dass Spaß machen soll – und nicht dazu da, sich „anpampen“ zu lassen. Und er fragt, wie lange dieses „Spiel“ denn noch weiter betrieben werden solle…
Zumindest bei der letzten Frage, wie es weitergehe, kann ich dem Herrn, der sich später aus der Politik zurückzieht, dann viele Jahre später wieder einen Anlauf als Parteiloser nimmt und dann wieder „aussteigt“, weiterhelfen. Es sei von vorne herein klar gewesen, dass das Thema nach drei Tagen „dicht“ gemacht wird. Dann habe jeder die Möglichkeit gehabt, sich zu äußern und es sei endlich mal vieles zur Sprache gekommen, was in Papenburg in kleinen Kreisen diskutiert wird. Dann müsse der Blick wieder nach vorne. Denn schließlich sitze Bürgermeister Bechtluft – jetzt CDU – noch für sieben weitere Jahre auf dem Chefsessel im Rathaus.
Ach ja, geschadet hat es dem Partei-Raus-Partei-Wieder-Rein Bürgermeister nicht. Er muss mit seiner Arbeit am Ende überzeugt habe. Denn 2014 wird er wiedergewählt, bevor er auf eigenen Wunsch 2021 ausgeschieden ist. Seine Nachfolgerin ist übrigens erstmals eine Frau: Vanessa Gattung. Die ist für die SPD angetreten und hat gegen den CDU-Bewerber klar gewonnen. Ein Ergebnis, das wohl für die meisten CDU-Mitglieder in Papenburg unmöglich war. Zudem ist im Rat eine Zeitenwende eingetreten. Die Christdemokraten sind in der Opposition angekommen. Gattung hat ein breites Bündnis mehrerer Parteien hinter sich, das mit ihr die Stadt voranbringen will. Die Kultur, wie in der Kanalstadt ohne „Rücksicht auf Verluste“ diskutiert wird, soll auch eine etwas andere geworden sein.