Abwassergebühren: Es wird teurer, aber keine Preissprünge

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Im Interview: Timo Kramer, neuer Vorstand der Stadtwerke Leer AöR

Seit wenigen Wochen führt er die Stadtwerke Leer AÖR:Timo Kramer. Im Interview spricht der Vorstand der städtischen Unternehmens unter anderem über Investitionsstaus, drohende Haftstrafe, den Dreckwasser-Konflikt mit der Gemeinde Jemgum und auf die Entwicklung der Abwassergebühren.

 Als die AÖR gegründet wurde, sprach der heutige Bürgermeister und ihr Vorgänger Claus-Peter Horst davon, dass die Stadtwerke ein Baby sind, das über die Nabelschnur von der Stadt ernährt wird und noch nicht laufen kann. Wie groß ist das Baby heute und was hat es gelernt, um eigenständig zu sein?

Timo Kramer: Diese Einordnung ist viele Jahre her und die Stadtwerke haben gut „Laufen gelernt“. 2008 wurden drei damals zum Teil noch selbständige Bereiche, nämlich die Stadtwerke Leer GmbH bestehend aus Hafen mit Seeschleuse und Wasserwerk, die Stadtentwässerung als städtische Abteilung und der Baubetriebshof, zu einem Unternehmen zusammengeformt. In den Jahren danach haben wir Strukturen aufgebaut und aus den unterschiedlichen Bereichen ein selbständig arbeitendes Stadtwerk als eine Einheit gebildet. Die einzelnen Betriebsteile werden von einer gemeinsamen Verwaltung angesteuert, in der zentrale Bereiche wie Buchhaltung, Vergabestelle und Ähnliches konzentriert sind. Unsere übertragenen Aufgaben erfüllen wir vollkommen selbständig.

Basis für eine gute Abwasserentsorgung ist ein gutes Kanalnetz. Vor einigen Jahren war die Friesenstraße eine Dauerbaustelle, in westlichen und östlichen Stadteilen lief bei Starkregen das Wasser oben aus den Dachrinnen von mehrstöckigen Häusern. Was ist in den vergangenen Jahren unternommen worden, um diese Herausforderungen zu meistern?

Kramer: Die Aufgabenstellung an uns war offenkundig, anfallendes Regenwasser musste in der entsprechenden Geschwindigkeit zwischengespeichert und auch abtransportiert werden. Hierauf haben wir beispielsweise in Teilen mit einer Umstellung auf das Trennsystem reagiert und anfallendes Schmutz- vom Regenwasser getrennt abgeleitet. Auch wurden Regenrückhaltemöglichkeiten zur schnellen Abfederung von Belastungsspitzen aufgebaut. Künftig wird ggf. ein weiterer Schwerpunkt auf der ortsnahen Speicherung und auch Versickerung liegen, so dass Regenwasser weniger durch die Kanäle an entfernte Orte transportiert werden muss.

Ist der Investitionsstau, von dem viele Jahre die Rede war, abgearbeitet?

Kramer: Dieses ist auch vor dem Hintergrund einer gewissen Gebührenstabilität ein Prozess, der jedoch zu einem sehr hohen Grad von uns abgearbeitet ist. Wir bewegen uns in einem regelmäßigen Sanierungsturnus und müssen keinen Baustellen hinterherrennen. Der Vorteil im Kanalnetz ist, dass die einzelnen Kanäle zu unterschiedlichen Zeiten errichtet worden sind und somit nach und nach saniert werden müssen. Dieses ist die tägliche Arbeit der zuständigen Kolleginnen und Kollegen.

„Unser Kanalkataster ist inzwischen sehr aktuell“ 

Kramer zum Zustand der Abwassersysteme in Leer

Zu den Planungen für die kommenden Jahre: Wie aktuell ist das derzeitige Kanalkataster? Wo wird in welcher Höhe in das bestehende Kanalnetz mit welchen Maßnahmen investiert?

Kramer: Das Kanalkataster ist zwar historisch und teilweise noch in Papierform gewachsen, inzwischen aber sehr aktuell. Auch ist die Umstellung von analogen Plänen in ein digitales System durch sukzessive Arbeit an dem Kataster erledigt. Dieses hilft uns, unser Netz und dessen Instandhaltung noch besser zu planen. Bei den von Ihnen angesprochenen Baumaßnahmen im Kanalnetz unterscheiden wir Unterhaltungs- und Investitionsmaßnahmen. Diese projektieren wir nach Bedarf. Beispielsweise kennen wir unser Kanalnetz aufgrund regelmäßiger Kamerabefahrungen sehr genau und investieren immer dann, wenn es wirtschaftlich und technisch an der Zeit ist. Hierbei stimmen wir uns natürlich auch mit dem Straßenbaulastträger, der Stadt Leer, ab. Grundsatz ist dann die Überlegung, ob bei einer anstehenden Straßensanierung auch der Kanal unter der Erde „dran ist“. Dieses können wir je nach Fallgestaltung sowohl in offener als auch in geschlossener Bauweise und versuchen damit, die Belastung für den Bürger und den Verkehr gering zu halten.

Sie müssen also nicht mehr mit dem Risiko leben, dass – wenn Sanierungen nicht zeitnah vorgenommen werden – sogar eine Haftstrafe drohen könnte?

Kramer: Dieses Risiko halte ich aufgrund der hervorragenden Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen für sehr überschaubar, da wir – wie bereits –  gesagt unser Netz kennen und in einem guten Zustand erhalten.

„Tür für Zusammenarbeit mit Jemgum ist nicht zu“

Kramer Vertragskündigung der Abwasserentsorgung

Die Stadtwerke haben den Vertrag für die Abwasserentsorgung mit der Gemeinde Jemgum gekündigt. Was gibt dafür den Ausschlag?

Kramer: Richtig ist, dass wir gekündigt haben und hierfür eine ordentliche Kündigungsfrist einhalten müssen. Diese beträgt drei Jahre und gibt beiden Vertragspartnern die Zeit, sich neu aufzustellen. Bei der Qualität des uns von Jemgum übergebenen Abwassers sind unsere Meinungen auseinandergegangen. Unserer Ansicht nach ist der Vertrag und auch die Übergabe des Jemgumer Abwassers in der derzeitigen Form für den Leeraner Bürger nicht mehr vermittelbar. Wichtig ist mir jedoch auch zu betonen, dass die „Tür nicht zu ist“, sondern wir weiterhin zu Gesprächen bereit sind. Eine eventuelle weitere Entscheidung werden wir am Ende gemeinsam mit der Politik fällen.

Nun ist noch viel Zeit, bis der Vertrag ausläuft. Dennoch die Frage: Bei den Stadtwerken gibt es eine Planung für die Abwassermengen und aus diesen Mengen ergeben sich Kosten. Wenn die Menge aus der Gemeinde Jemgum wegfällt, führt das dann zu erhöhten Gebühren für die Leeranerinnen und Leeraner?

Kramer: Die Abrechnung erfolgt sozusagen aufwandsbezogen gemessen an der uns übergebenen Schmutzwassermenge. Dieses verteilt die allgemeinen Kosten unserer Kläranlage auf breitere Schultern. Sobald jedoch beispielsweise der Reinigungsaufwand für uns an anderer Stelle steigt, weil die Qualität des Abwassers nicht stimmt, verkehrt sich dieser geringe Vorteil für uns schnell in das Gegenteil. Eine Gebührenerhöhung könnte allenfalls in minimalen Umfang daraus resultieren.

Wie sieht aktuell die Prognose für die kommenden Jahre aus: Kann es gelingen, die aktuellen Abwassergebühren je Kubikmeter stabil zu halten? Was erwarten Sie für die kommenden Jahre?

Kramer: Für das Jahr 2021 gilt noch ein Preis von 3,03 Euro je Kubikmeter. Diesen werden wir aber nicht halten können. Für das Jahr 2022 sind Gebührenerhöhungen bereits angekündigt. Allgemeine Preissteigerungen der Gesamtwirtschaft bedingen auch für uns, dass wir unsere Gebühren erhöhen müssen. Dieses folgt aber nicht daraus, dass wir einen Investitionsstau haben und der Sanierung jetzt hinterherrennen. Gründe sind neben der allgemeinen Preissteigerung für Materialen, Energie und Baumaßnahmen vielmehr insbesondere auch stark steigende Klärschlammentsorgungskosten. Diesen Einflüssen versuchen wir beispielsweise durch Optimierung der Schlammentwässerung und andere Maßnahmen entgegenzuwirken, um große Preissprünge so gut es geht zu vermeiden. Dieses wird jedoch nicht in jedem Fall gelingen, zumal wir auch mit umweltrechtlichen Verschärfungen rechnen müssen.

„Es geht mir nicht nicht um Einsparen um jeden Preis“

Kramer zur Frage des Verbrauchsverhaltens

 Eine Säule mit Blick auf die Umwelt ist das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger im Umgang mit Wasser. Welche Akzente wollen die Stadtwerke in den kommenden Jahren setzen, um das individuelle Verbrauchsverhalten positiv zu beeinflussen?

Kramer: Mir geht es hier nicht um das Einsparen um jeden Preis, sondern um einen sinnvollen und überlegten Einsatz der Ressourcen, insbesondere des Trinkwassers. Klar ist, dass der Bürger das Wasser zweimal bezahlt, nämlich zunächst für die Förderung und danach auch für dessen Reinigung. Dieses möchten wir stärker in das Bewusstsein bringen und informieren auf verschiedenen Kanälen über den bewussten Umgang mit dem Grundnahrungsmittel Trinkwasser, beispielsweise digital auf unserer Homepage und in sozialen Netzwerken, mit Flyern und so weiter. Hierbei stellen wir regelmäßig heraus, welcher Aufwand hinter der Lieferung des Nahrungsmittels Trinkwasser und dessen „Recycling“ nach dem Verbrauch eigentlich steckt. Auch gibt uns beispielsweise der August 2022 mit dem 25jährigen Bestehen des „neuen“ Wasserwerkes die Gelegenheit für eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit, sofern Corona dieses zulässt.

Wird es auch Aktivitäten in den Schulen geben, um Kinder und Jugendliche zu sensibilisieren?

Kramer: Wir haben in normalen Zeiten ohne Corona häufig Veranstaltungen sowohl in der Wasserver- als auch in der Abwasserentsorgung mit Azubis und Schulklassen. Hier stellen wir natürlich unser Wasserwerk, die Kläranlage mit den zugehörigen Netzen und künftig auch den Faulturm vor und treten in interessante Diskussionen. Diese Veranstaltungen begleiten wir mit einigen Informationsmaterialien.

„Bauhof als organisatorische und wirtschaftliche Einheit an Stadt übergeben“

Kramer zur Frage der Rückübertragung des Baubetriebeshofs

Bekanntermaßen wird ab 2023 für Leistungen, die der Bauhof für die Stadt erbringt, die Umsatzsteuer auszuweisen sein. Das wird nach aktuellem Stand dazu führen, dass die Stadt für die Arbeiten der Stadtwerke, die nicht hoheitliche Aufgaben sind, einen Kostenanstieg von 19 Prozent hätte. Wie kann die Lösung aussehen? Hat es dazu bereits Gespräch gegeben? Bis wann ist das Ziel, eine Antwort auf diese steuerliche Herausforderung zu finden?

Kramer: Die von uns seit einiger Zeit favorisierte Lösung kann hierfür nur die Rückübertragung des Baubetriebshofes aus der Organisation der Stadtwerke heraus in die Stadt Leer sein, in welcher Organisationsform auch immer. Entsprechende Gespräche führen wir natürlich gemeinsam mit der Stadt Leer und dem Bürgermeister. Ziel von uns allen ist einerseits, dass die Qualität für die Bürgerinnen und Bürger unbedingt erhalten bleiben muss und dass  andererseits unsere Kolleginnen und Kollegen im Baubetriebshof durch den Wechsel keine Nachteile erleiden. Für mich gehört deshalb zur Übergabe auch, dass wir den Baubetriebshof als eine wirtschaftliche und organisatorische Einheit übergeben möchten und uns erhoffen, dass diese Einheit erhalten bleiben wird. Hier bin ich sehr optimistisch. Ziel muss aber auch sein, dass die Arbeit bei gleicher Qualität nicht beispielsweise durch die vermeidbare Steuer teurer für den Bürger wird. Hieran arbeiten wir.

Noch eine persönliche Frage zum Abschluss: Sie sind zeitlich befristet als Vorstand bestellt worden. Wie fühlt es sich an, nicht zu wissen, wie es nach dem 31. Dezember 2022 weitergeht?

Kramer: Ich möchte die Frage gerne umstellen. Die Frage sollte aus meiner Sicht eher lauten, wie es mit den Stadtwerken nach 2022 weitergeht. Diese Beantwortung ist wichtiger für den Bürger und auch für den Mitarbeiter hier im Hause und hat weniger mit meiner Person zu tun. Ich bin sehr gerne „Stadtwerker“ und möchte dieses in jedem Fall auch bleiben. Wir haben aber auch klare Aufgaben zu erfüllen und Ziele einzuhalten, die sich schon für das kommende Jahr auftun. Diese haben Sie bereits angesprochen: Zu nennen ist hier aus meiner Sicht die Übertragung des Baubetriebshofes und die strategische Ausrichtung der Stadtwerke-Infrastrukturbereiche Hafen und Schleuse sowie der Wasserver- und der Abwasserentsorgung. Hierfür ist sicherlich eine gewisse Kontinuität wichtig, um die Aufgaben gut und nachhaltig erledigen zu können. Ich bin der Meinung, dass uns dieses bisher sehr gut gelingt.

Foto: Stadtwerke Leer AÖR

Holger HartwigAbwassergebühren: Es wird teurer, aber keine Preissprünge