DAS GROSSFEUER

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Dezember 1990. Bisher ein Tag, an dem wenig los ist. Keine Termine, viele Themenideen und immer die Frage: Wie macht man eigentlich Zeitung ohne Telefon? Plötzlich gehen am frühen Abend in Wolgast die Sirenen. Flugs die Kameratasche geschnappt und los geht’s. Ich laufe Richtung Hafen – und das Unheil ist bereits aus der Ferne zu sehen. Einer der alten Speicher am Hafen steht lichterloh in Flammen. Mein erster Einsatz vor Ort. Ich bin gespannt, wie das wird. Während ich zur Brandstelle laufe, kommen immer mehr Feuerwehrfahrzeuge – darunter auch mehrere typische BARKAS – und die Polizei mit ihren Warthburgs und „Tatütata“ an die Brandstelle.

Wie bei jedem Feuer geht es hektisch zu. Ich bin früh am Unglücksort, die Flammen lodern nicht nur, sie feuern aus dem Gebäude. Ich denke: Nur gut, dass das Wasser aus dem Hafen so nah ist. Ich gebe zu: Ich bin sehr gespannt, wie hier gelöscht wird, denn die Fahrzeuge und die Löschgeräte wirken auf mich wie aus einer anderen Welt und sind wenig vertrauenserweckend. Schnell erkenne ich, dass die Männer der freiwilligen Feuerwehr ihr Handwerk verstehen. Ich konzentriere mich auf mein Handwerk – und das heißt erst einmal, die Szenerie in Fotos zu erfassen. Bisher habe ich in den alten, ehemaligen Bezirkszeitungen (Ostsee-Zeitung, Nordkurier) eine gute und umfassende Berichterstattung mit Fotos nicht gelesen. Ich denke: Wir machen die Zeitung damit auf und im Innenteil eine komplette Fotoseite. Es läuft gut, die Fotos sind gut (sorry, das denkt ein Journalist in einem solchen Moment und immerhin war klar, dass kein Mensch verletzt wurde bzw. in den Flammen eingeschlossen ist).

Ich komme gut voran. Noch einmal ein Foto von links, mal sehen, ob es von der anderen Seite noch interessante Blickwinkel gibt. Und dann stehen plötzlich zwei Männer vor mir. Ein Polizist und ein Feuerwehrmann. Erste klare Ansage: „Hier werden keine Fotos mehr gemacht!“ Ich frage „Wieso?“. Antwort: „Verstehen Sie nicht: Keine Fotos“. Ich widerspreche, das sei mein Job. Antwort: „Keine Fotos“. Und dann bauen sich die beiden erst richig vor mir auf und die Ansage ist klar: „Sofort den Film her!“ . Puuhhhh… Was wird das denn jetzt? Ich antworte erst einmal nur mit einem kurzen Nein. Die Ansage wird deutlicher: „SOFORT den Film her!“. Weitere Drohungen folgen. Es scheint ernst zu werden. Ich entscheide mich, nicht zu diskutieren. Ich rufe „Diese Zeiten sind vorbei“, drehe mich um und denke: Ich habe nur eine Möglichkeit – Beine unter die Arme nehmen und schnell weg… Nun bin ich nicht der Sportlichste trotz meiner 20 Jahre und die Verfolgung wird aufgenommen. Ich habe Glück, ich komme davon. Film und Kamera bleiben unversehrt. Später zeigt sich im Fotolabor, dass ich einen guten Job gemacht habe. Die Fotos dokumentieren, was an diesem Abend passiert ist. Also wird es was mit der geplanten ganzen Seite…
Bevor ich am nächsten Tag beim Chef der Feuerwehr vorbeigehe und bei der Polizei vorbeilaufe, um die Fakten für den Bericht zusammen zu tragen, habe ich abends im Hotelzimmer noch Zeit, viel über das Erlebte nachzudenken. Was wird noch an anderen Denk- und Handlungsweisen auf mich zukommen? Wie wird es weitergehen mit dem „freien Journalismus“? Mir wird klar: Ich bin in einer Welt, die (noch) so ganz anders ist, als das, was ich aus meiner Heimat kenne. Damals habe ich nicht wirklich einen Schimmer davon, was noch alles kommen wird in dieser „irren“ Nachwendezeit. Gut so.
Und nächsten Sonntag: 😉
DER RÜCKTRITT – und warum mich mein Vater 1995 beim Sonntagsfrühstück ins Schwitzen bringt und die Leeraner SPD einen neuen Fraktionschef bekommt
Hinweis zum Foto:
Leider sind die Original-Fotos vom Brand 1990 nicht mehr vorhanden. Als Symbolfoto ein Feuerwehrfahrzeug, so wie es damals in der Ex-DDR im Einsatz waren. Quelle: Wikipedia

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    Holger HartwigDAS GROSSFEUER