Das kommunale Klima-Sammelfieber: Überflüssige Eintagsfliege oder Startschuss?

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Wissen Sie, was in Deutschland aus Tradition richtig gut funktioniert? Das Sammeln. Meist mit einem freudigen Hintergrund, manchmal aber auch – das wissen die Älteren zu berichten – angesichts des Mangels, wie beispielsweise das Sammel von Lebensmittelmarken nach dem Krieg. Bereits im Kindesalter wird das Sammelfieber „getriggert“ – sei es mit Bildern zum Fußballturnier, Pokemon-Karten oder Plastikfiguren. Doch damit nicht genug: Nun mischen auch die Kommunen beim Sammeltick mit. Die neueste Erfindung: der Klima-Taler.

Seit wenigen Tagen ist die Stadt Leer eine der deutschlandweit ersten, die diesen Taler einsetzt. Mit Superlativen wird dabei nicht gespart. Dieser Taler ist – so argumentiert die Leeraner Klimamanagerin Cindy Grätz – eine (bitte mitzählen!) Win-Win-Win-Win-Situation. Grätz sieht das Klima, die Taler-Sammler, den Einzelhandel und die Stadt als Profiteure. Das Klima profitiert wegen der CO2-Einsparung. Die Taler-Sammler (Nutzer) profitieren wegen der Bewusstseinsbildung und wegen der durch das Sammeln der Taler möglichen kleinen Prämien in Geschäften und Institutionen in Leer. Der Einzelhandel soll laut Konzept Zusatz- und Neukunden generieren, weil der Klima-Taler ein tolles Marketinginstrument ist. Das vierte Win geht natürlich an die Stadt, die ihre Bürger – die Nutzer der kostenlosen App – besser kennenlernt, da sie von der Betreiberfirma dezidierte Strecken- und Mobilitätsanalysen der Nutzer erhält. Das fünfte WIN müsste allerdings ergänzt werden: Es steht für die Blacksquared GmbH: Ihr gelingt es nun, ihre seit einigen Jahren existierende Changers-Fit-App unter dem neuen Klima-Taler-Gewand zu verkaufen. Neudeutsch heißt der Ansatz für all` das: „Gamification für mehr Bürgerbeteiligung“. Hört sich super an, um in der aktuell politisch geprägten „Mitmach-Klimaschutz-Diversitäts-Gegen-Rechts“-Stimmung Pluspunkte zu sammeln.

Alles gut also? Nein. Ganz ehrlich: Glauben die Macher des Klima-Talers und die Verantwortlichen in der Stadt wirklich, dass jemand wegen des Talers und der – sehr geringen – Prämien sein Fortbewegungsmittel wechselt? Sind es nicht sowieso eher die Umweltbewussten, die sich auch an dieser Aktion wie selbstverständlich beteiligen werden? Die, die ihr Umweltbewusstsein mit dem Klima-Taler vielleicht beruhigen wollen, sollten wissen, dass sie zwar keine personalisierten Daten in die App eingeben, trotzdem aber dem App-Betreiber – und der Stadtverwaltung – ihr vollständiges Bewegungsprofil „abliefern“. Die Teilnahme ist nur möglich, wenn die Sammler sich „tracken“ lassen, am besten noch in Kombination mit einer Fitness-App. Datenschutz wird durch die Betreiber selbstverständlich zugesichert. Trotzdem haben diese Daten am Ende einen Wert: Sie sagen etwas aus, weil natürlich nachvollziehbar ist, von welchem Wohnort die jeweiligen Aktivitäten regelmäßig gestartet werden. Nun gut, man könnte zu Gute halten: Bei allem, was zwischenzeitlich von einem erfasst wird, kommt es darauf auch nicht mehr an. Nur bemerkenswert, dass ausgerechnet eine Kommune dabei mitmacht.

Was dem Klima-Taler wesentlicher entgegensteht, sind monetäre Fakten. Die Stadt muss pro Jahr über 9.000 Euro auf den Tisch legen. Das klingt nicht nach viel, aber summiert sich. Für diese Kosten könnte nach einigen Jahren eine Photovoltaik-Anlange gebaut werden, die definitiv dem Klima viel mehr gut tun würde. Auch so manches Vereinsprojekt würde sich über zusätzliches Geld freuen. Dazu kommt noch der Einsatz der Klimamanagerin: Sie macht die Akquise der Handelspartner. Über 100 Firmen wurden bereits angeschrieben – Arbeitszeit, die Geld kostet. Es verwundert, dass angesichts der riesengroßen Aufgaben, die die Stadt mit Blick auf ein Klimaschutzkonzept vor sich hat, sie sich mit diesem – Entschuldigung – Kleinkram beschäftigt. Klar, es liest sich gut, wenn der größte Verbrauchermarkt der Stadt und schon 14 andere bei der Klima-Taler-Aktion mitmachen. Nein zu sagen, fällt aber auch bei der „Wir sind doch alle für den Klimaschutz“-Stimmung schwer. Aber bringt diese Art langfristig tatsächlich etwas für das Klima in der Stadt? Wenn alles so prima ist: Sollten die App-Macher nicht einfach selbst dafür sorgen, dass ihr cooles Konzept in Leer angenommen wird? Hätte es nicht gereicht, wenn die Stadt kostenfrei als Partner zur Seite steht?

Es bleibt abzuwarten, wie nachhaltig das kommunale Sammelfieber wird. Die meisten Apps und Kundenkarten, die seit Anfang der 2000er Jahren für was auch immer entwickelt wurden, sind wieder verschwunden. Nur im Handel, wo es oft deutliche Preisersparnisse gibt, hält sich das System langfristig. Hoffentlich wird der Klima-Taler, dessen Vertrag die Stadt jährlich (!) kündigen kann, keine Eintagsfliege. Am besten machen Tausende – aktuell sind es über 300 – mit. Dann haben die erfassten Daten – unabhängig, ob es wirklich den mathematisch berechneten zusätzlichen C02-Einspareffekt gibt – wenigstens einen Sinn für die Stadtentwicklung: Wenn als Ergebnis beispielsweise stünde, dass die Ausgaben für das Innenstadt-Fahrradkonzept FaCit berechtigt waren, dann hat es sich neben der Klimabildung – sie wird mit dem Konzept auch „verkauft“ – gelohnt. Als Optimisten wissen wir: Dieser Klima-Taler ist der Startschuss für eine proaktive, ideenstarke Klimamanagerin, die weitere Aktivitäten in der Pipeline hat. Diese sind dann eine gute Ergänzung zu der kommunalen Wärmeplanung, die bei Umsetzung den größten Klimaeffekt bringen dürfte. Man darf gespannt sein.

Holger HartwigDas kommunale Klima-Sammelfieber: Überflüssige Eintagsfliege oder Startschuss?