„Den Reichtum einer Orgel kann man auch aus einem Koffer heraus verwirklichen“

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„Auf einen Tee mit …“ – Winfried Dahlke, Direktor des Organeums in Weener

WEENER Ostfriesland gilt als „Paradies“ für Menschen mit Freude an der Orgelmusik. In keiner Region Europas ist die Dichte an historischen Instrumenten so groß. Seit 27 Jahren gibt es in Weener mit dem Organeum einen zentralen Anlaufpunkt für viele Themen zur Geschichte und Ausbildung für das Instrument. Leiter des Organeums ist seit 2006 Winfried Dahlke. In der Rubrik „Auf einen Tee mit …“ spricht der 54-Jährige, der auch Landeskirchenmusikdirektor der Evangelisch-reformierten Kirche ist, über die Faszination des Instruments, die Angebotes des Organeums, seine Arbeit als Sachverständiger für rund 300 Orgeln in der Region und den 30. Orgelsommer in Leer.

Musik ist für mich…

… Ausdruck des Lebens. Wenn ich über einen längeren Zeitraum wenig zum Musizieren komme, werde ich unglücklich. Kirchenmusik ist für mich zudem eine Vorahnung der himmlischen Welt.

Das Organeum ist für mich…

… eine einzigartige Heimstätte für historische Tasteninstrumente und ein Ort, an dem Orgeln und artverwandte Instrumente erlebt und kennengelernt werden können.

Die größte Herausforderung als Direktor des Organeums ist …

… es, die verschiedenen Wünsche miteinander in Balance zu halten. Die Fortbildung von Organisten, die Förderung des Orgelunterrichtes, das Projekt „Orgel im Klassenzimmer“, die Fachberatung im Bereich Orgel, die Pflege und Erhaltung der Sammlung, die vielfältigen Veranstaltungen und Konzerte mit der erforderlichen redaktionellen Arbeit zerren an der knappen personellen Ausstattung. Der Titel „Direktor“ ist gemessen an der personellen und finanziellen Ausstattung mehr symbolischer Art.

Mein Lieblingsinstrument unter den knapp 30 Instrumenten im Organeum ist …

… die Kabinettorgel von Ibe Peters-Iben aus dem Jahre 1790. Ihr kunstvolles Rokoko-Gehäuse repräsentiert eine kurze Epoche, in der man den Bogen getischlert hat, obwohl „beim Bogen der Verdienst aufhört“, wie mich Jürgen Ahrend einmal anhand eines alten Tischlerspruchs belehrt hat. Diese holländische Bauernorgel eines Emder Orgelbauers ist das Wahrzeichen des Hauses und ein wunderbares Symbol für die Orgelkultur der Ems-Dollart-Region.

Die Kofferorgel ist…

… unsere kleinste Orgel, die Gregor Bergmann für uns entwickelt hat. Sie ist eine spielfähige Kleinstorgel mit acht Tönen, zwei Bälgen und Vogelgesang. Man ihr kann man Lieder wie „Alle meine Entchen“ spielen und damit beweisen, dass eine Orgel nicht immer groß sein muss. Es ist immer wieder faszinierend zu erleben, dass man den Reichtum einer Orgel, wenn man auf die tiefen Töne verzichtet, auch in erstaunlich kleinen Instrumenten verwirklichen kann. Dafür steht in der Sammlung die „Baldachinorgel“ nach einem Vorbild aus dem Jahre 1559.

Organist bin ich geworden, weil …

… ich einen sehr guten Lehrer als Vorbild hatte. Ich stamme wie viele Organisten aus einem evangelischen Pfarrhaus. Meine Eltern schickten mich zu Tillmann Benfer, der damals seine erste Stelle bei uns in Uslar angetreten hatte. Für mich eine unglaubliche Inspiration. Außerdem hatte ich zuvor wunderbaren Klavierunterricht bei einer älteren Pianistin erhalten. Uslar war für mich wirklich der beste Ort in dieser Zeit, nachdem ich in Lüneburg bei meiner ältesten Schwester schon die Grundlagen des Tastenspiels erlernt hatte.

Die Restaurierung der Orgel in der Großen Kirche in Leer ist …

… die Erfüllung eines Traums und fast ein Wunder, dass dies von 2014 bis 2018 möglich gewesen ist. Dabei haben viele Menschen – allen voran Roelfine Stolz – mitgewirkt. Wir sind dankbar, dass der Leeraner Orgelbauer Hendrik Ahrend mit seinem Wissen und seiner überragenden Werkstatt dieses Instrument mit seiner über 400-jährigen Geschichte zu einem Gesamtkunstwerk geformt hat.

Als Orgelsachverständiger für rund 300 Orgel sowohl in reformierten als auch lutherischen Kirchen zuständig zu sein, ist …

… für mich eine Herzensangelegenheit und eine große Verantwortung. In den meisten Kirchen findet sich noch die handwerklich gebaute Orgel früherer Zeiten. In den letzten Jahren konnten bemerkenswerte Restaurierungen auf den Weg gebracht werden. Auch bei den jüngeren Neubauten verschiedener Stilistik kommt es darauf an, nicht mit vorgefassten Urteilen an das Instrument heranzugehen. Insofern hoffe ich, dass zukünftige Generationen nicht schlecht über das urteilen werden, was ich mit veranlasst habe. In den alten Kirchen genieße ich das Innehalten und das Staunen über die Glaubenszeugnisse vergangener Jahrhunderte, die sich darin erhalten haben.

Wenn ich jemandem kurz erklären soll, was Orgelforschung ist, dann…

… sage ich: Das ist kein Fachgebiet im klassischen Sinne. Den größten Beitrag für die Erforschung der ostfriesischen Orgellandschaft hat Dr. Walter Kaufmann bereits 1965 mit der Orgeltopographie Ostfriesland gelegt. Aus eigenem Antrieb heraus hat er die Archive und alle historischen Kirchen und Orgeln besucht und aus unzähligen Informationen eine wohl geordnete Quellensammlung im Verlag der ostfriesischen Landschaft herausgegeben, die bis heute hohen Wert hat. Nach vielen Jahrzehnten lohnt es sich, in größerer Tiefenschärfe den Bestand neu zu erfassen.

Der Besuch des Organeums ist…

besonders lohnenswert, wenn die Tasteninstrumente auch klingen. Dafür gibt es von April bis Oktober immer mittwochs um 15 Uhr eine öffentliche Führung. Außerdem bietet das Organeum individuelle Führungen für Gruppen an, die im Hause auch mit einer ostfriesischen Teetafel verbunden werden können. Außerdem kann das Programm um weitere Orgelvorführungen in der Orgellandschaft erweitert werden.

Der 30. Internationale Leeraner Orgelsommer ist…

… in diesem Jahr wieder ein schöner Erfolg. Die Solisten des diesjährigen Orgelsommers kommen aus acht verschiedenen Nationen und verleihen der Konzertreihe internationalen Glanz. Ich bin glücklich, dass seit dem Jahr 2016 in der katholischen St. Marienkirche die Ahrend & Brunzema-Orgel von 1959 aus Scheveningen (NL) ihre Heimstatt gefunden hat. Die neue Spielstätte wird seither vom Publikum sehr gut angenommen.

Ein Musikstück zu komponieren ist für mich…

…  zu viel zu selten geübte Praxis. Das soll sich ändern!

Wenn ich einen Komponisten treffen könnte, dann wäre das …

… Georg Böhm (1661-1733). Er war Organist an St. Johannis in meiner Heimatstadt Lüneburg. Wenn sich in seiner Musik sein Wesen widerspiegelt, dann würde ich ihn wirklich gerne kennenlernen.

Mein Lebensmotto ist…

… mit Aufrichtigkeit und Aufgeschlossenheit durch das Leben zu gehen.

Ich habe das letzte Mal gelogen, als…

ich eventuell einmal nur die Halbwahrheit gesagt habe. Das war aber bestimmt nicht schlimm.

Mein Lieblingsplatz in der Region ist…

… derzeit der Park der Gärten in Bad Zwischenahn, ideal für einen Familienausflug.

Ich kann mich so richtig aufregen über…

… Inkompetenz und Korruption.

Ich kann mich so richtig freuen über, …

 … meine Familie.

Kraft kann ich tanken, wenn…

… ich an einer Orgel sitze und musiziere.

Ich sollte mal wieder…

 … liegengebliebene Dinge abarbeiten

Mein größter Fehler ist, …

… nicht Nein sagen zu können (hat mir neulich jemand anderes gesagt).

Wenn ich einen Tag lang ein anderer Mensch sein könnte, dann wäre ich gerne…

… Emanuel Swedenborg, dem es gegeben war, die himmlische Welt zu schauen

Wenn ich drei Wünsche frei habe, dann…

… würde ich mir wünschen, dass das Böse, aus dem alles Übel quillt, endgültig überwunden wird, dass der Wert klassischer Musik, Literatur und Kunst für die Geistesbildung erkannt wird und dass Handel und Wohlstand durch aufrichtige Freundschaft zwischen den Völkern wieder aufblühen mögen.

Winfried Dahlke, Landeskirchenmusikdirektor

Winfried Dahlke ist Landeskirchenmusikdirektor der Ev.-ref. Kirche und seit 17 Jahren Direktor des Organeums in Weener.

Foto: Jens Schulze

Holger Hartwig„Den Reichtum einer Orgel kann man auch aus einem Koffer heraus verwirklichen“