Der große Briefumschlag

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Für guten, hintergründigen und aufdeckenden Journalismus benötigt es vor allem eines: Vertrauen. Immer dann, wenn es um „heiße“ Informationen geht, muss das Vertrauen als wichtigste Grundlage vorhanden sein. Das Vertrauen des Informanten, dass seine Angaben und Unterlagen beim Journalisten bestens aufgehoben sind.

Die Herausforderung besteht immer darin, dass der Redakteur nur dann eine Chance hat, vertrauliche Informationen gesteckt zu bekommen, wenn der Gesprächspartner ihm einen „Vertrauens-Vorschuss“ gibt, dem der Journalist dann gerecht werden kann. Über die vielen Jahre hat sich meine Aussage „Ein guter Journalist weiß alles, aber wenn es darauf ankommt, niemals woher“ als gutes Signal erwiesen. Und: Über die vielen Jahre können sich meine Gesprächspartner darauf verlassen, das vertrauliche Inhalte auch vertraulich bleiben – oder erst dann verwendet werden, wenn sie nach Rücksprache für eine Veröffentlichung „freigegeben“ werden.

Die Ausgestaltung der Partnerschaft mit einem Informanten ist oft mit einer gewissen Schlitzorigkeit verbunden. Ich erinnere mich an einen der ersten „Deals“ bzw. Anfang der 1990er Jahre. Damals gibt es noch kein Internet, Kommunikation findet Auge in Auge, per Telefon oder per Brief statt. Es geht um einen Neubau in der Stadt Leer, einer, der ein öffentliches Interesse erweckt und deren Pläne in der Folgewoche in einer Veranstaltung vorgestellt werden sollen. Das Ziel: Mit exklusiven Infos in wenigen Tagen die Zeitung aufmachen. Beim Bauherrn beiße ich auf Granit. Es werde erst in der kommenden Woche Infos geben. Aber es gibt ja noch den Planer. Wir kennen uns – und er weist mich darauf hin, dass er die Pläne nur nach Zustimmung durch den Bauherren herausgeben darf. Dafür sei es am besten, wenn ich ihm schriftlich eine Anfrage stelle, die er mit dem Bauherrn bespricht. Genau so machen wir das – und wie zu erwarten ist, gibt es natürlich keine Freigabe für die Weitergabe der Pläne. Um sich abzusichern, bekomme ich vom Planer eine schriftliche Antwort. Der Brief mit der Absage liegt einen Tag später im Postkasten – allerdings nicht in einem kleinen, sondern einem recht großen Umschlag. Denn neben dem Absage-Text sind in dem Umschlag, so wie vorher besprochen – Grundriss und Ansichten des Neubaus. Wenige Tage steht alles in der Zeitung. Der Bauherr machte sich auf die Suche nach der undichten Stelle – und es ist niemals herausgekommen. Dank des Vertrauens und der Pfiffigkeit des Planers, der sich ja für etwaige Nachfragen schriftlich abgesichert hatte…

Viele Beispiele folgen in den nächsten Jahren. Oft ist Kreativität gefragt. Manches Mal muss ich dabei auch falsche Spuren legen, damit auf die tatsächliche Quelle bzw. den Informanten keine Rückschlüsse möglich sind. Sozusagen Detektiv sein – nur andersherum. Und das wichtigste dabei: Dem anderen vertrauen, dass die Infos korrekt sind…

In wenigen Fällen musste ich auch als Redakteur auf das Vertrauen setzen. Es gibt ab und an auch Infos bei einer Recherche, die – von einem Informanten bewusst an den Redakteur weitergegeben – Straftaten erkennen lassen. Dann soll es nicht nur einen Bericht geben, sondern der Informant verbindet mit der Weitergabe der Unterlagen auch die Bitte, diese an die entsprechenden Stellen weiter zu geben, um selbst nichts mit der Sache zu tun zu haben, Dann muss auch der Redakteur entscheiden, wem er wie vertraut, bevor er Unterlagen weitergibt. Es ist dann ein Telefonat mit dem Chef der vermutlich zuständigen Staatsanwaltschaft notwendig. Der „Deal“ dabei: Ich übergebe die Informationen, bleibe anonym, gebe ggf. Recherchewissen (was so mit dem Informanten besprochen ist) weiter und mir wird zugesichert, dass ich zu keinem Zeitpunkt in der Ermittlungen genannt bzw. befragt werde und auch keine Auskunft zu meinen Informanten geben muss. Auch hier ist Vertrauen der menschliche Faktor.

In Summe hat das mit dem Vertrauen in über 35 Jahren in beide Richtungen immer funktioniert. Viele Themen kamen so an die Öffentlichkeit und erzielten Wirkung in der Sache. Deshalb gilt mein Dank allen, die mir ihren „Vertrauens-Vorschuss“ gegeben haben und freue mich auf die nächsten vertraulichen Infos.

Symbolfoto: pexels.com

Holger HartwigDer große Briefumschlag