Journalistenleben: Der Schock im ersten Vorstellungsgespräch

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Es ist Herbst 1988. Es wird Zeit, sich darum zu kümmern, wie es nach dem hoffentlich bestandenen Abitur ab Mitte 1989 weitergehen soll. Mein Ziel ist definiert: einen Ausbildungsplatz an Volontär bei einer Zeitung finden. Also besorge ich mir die Zeugnisse aus den Redaktionen, für die ich seit einigen Jahren Artikel schreibe – und dann ab mit um die 30 „Bewerbungspaketen“ in alle Himmelsrichtungen.

Die ersten Enttäuschungen folgen schnell. Absagen, Absagen, Absagen. Es ist halt die aus heutiger Sicht unvorstellbare Zeit, in der auf eine Ausbildungsstelle bis zu 300 Bewerbungen kommen. Dann endlich der erste Erfolg. Ein renommiertes Medienhaus aus Nordrhein-Westfalen lädt mich zum Vorstellungsgespräch ein. Der Tag rückt näher, die Nervosität steigt. Warum will mich der Chef vom Dienst kennenlernen? Doch wohl nicht nur, weil ich das gleiche Kürzel bei meinen Texten habe. Was werden mir wohl für Fragen gestellt?

Nachdem ich dann gut mit meinem Käfer angekommen bin, ist erst einmal warten angesagt. Der Termin verschiebt sich etwas nach hinten. Dann ist es endlich soweit. Das Gespräch beginnt locker – und wird dann ganz schön heftig. Neben den Fragen, warum ich denn diesen Beruf erlernen will (da bin ich gut vorbereitet), steigt der Chef vom Dienst auch in die Abteilung „Allgemeinbildung“ sehr stark ein. So will er beispielsweise wissen, welcher Minister in Niedersachsen wegen der Spielbankaffäre einige Monate zuvor zurückgetreten ist. Gut, dass ich diesen Minister mal bei einem Termin persönlich erlebt hatte. Insofern bin ich „im Thema“. Die zwei Stunden vergehen zügig – und dann geht es zur Sache. Man habe einen guten Eindruck von mir und könne sich gut vorstellen, dass ich der Richtige für ein Volontariat bei ihnen im Hause sei. Dann wird es ernst: Man macht mir den Vorschlag, doch erst den Grundwehrdienst bei der Bundeswehr abzuleisten („Wir kümmern uns, dass das hier in der Nähe geht“) und parallel dann schon gegen festes Honorar für den Verlag zu arbeiten. Ich reagiere offen auf den Vorschlag und sage nicht, was ich wirklich denke: Als anerkannter Kriegsdienstverweigerer wird das wohl schwierig…

Ich lasse das erstmal weiterlaufen. Mal sehen, was passiert. Ziemlich zum Ende hin lässt der Chef vom Dienst von seiner Sekretärin einen großen Stapel mit Zeitungen bringen. „Herr Hartwig, Sie haben von mir die Zusage, dass Sie bei uns das Volontariat, zu dem auch eine Zeit beim Fernsehen und beim Radio gehören, damit Sie gut ausgebildet sind, machen.“. Wow, denke ich, aber was ist mit der Verweigerung? Na mal sehen. Und dann legt er nach: „Uns ist es wichtig, dass jeder, der für uns arbeitet, auch die richtige politische Einstellung hat. Deshalb gebe ich Ihnen mal die Zeitungen mit, damit Sie schauen, ob das für Sie passt.“ Ich versuche meine Verwunderung zu verbergen. Ich bin bis zu diesem Tag nämlich fest davon überzeugt gewesen, dass wir eine „freie Presse“ in Deutschland haben, die zwar Richtungen kennt, aber nicht in dieser Härte und Klarheit Journalisten auffordert, sich mit jedem Buchstaben zu „bekennen“. Wir führen dann noch einen kleinen Smalltalk und ich werde gebeten, dann in drei bis vier Wochen anzurufen, damit wir über die Details sprechen…

Jo, und nun? Der große Traum von einer tollen Ausbildung in einem deutschlandweit durchaus anerkannten Verlagshaus ist zum Greifen nahe. Die Rückfahrt und auch die Tage danach werden sehr anstrengend. Kann man eine Verweigerung rückgängig machen? Ist es mein Ziel, Texte zu schreiben, bei denen ich politisch immer in eine Richtung zu agieren habe? Man, was für eine Ernüchterung…

Ich bin mir klar: Das will ich so nicht, ganz egal, welche Chance ich dadurch vergebe. Irgendeine Möglichkeit wird sich schon noch auftun. In den Wochen danach entscheide ich mich, einfach nichts zu machen (auch wenn es weitere Absagen hagelte). Ich sollte mich ja melden. Aber was soll ich denen sagen? Mein Nichtstun hat dann auch ein Ergebnis: Acht Wochen schickt mir der Verlag meine Unterlagen zurück…

Bis heute bin ich froh, dass ich mir auf diesen „Deal“ nicht eingelassen habe. Und ich bin froh, dass ich in den vielen Jahren danach erlebt habe, dass „freie Presse“ nicht nur so heißt, sondern es sie auch (weitgehend) wirklich gibt. Und ich bin dankbar, dass ich eine gute Ausbildung bekommen habe. Zwar in keinen renommierten Verlagshaus und auch ohne jemals eine Journalistenschule von innen gesehen zu haben, aber dafür mit viel Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten in einem kleinen Verlag und dann im „wilden Osten“. Und bis heute reagiere ich absolut allergisch, wenn ich „manipuliert“ werden soll bei der Gestaltung meiner Texte…


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    Holger HartwigJournalistenleben: Der Schock im ersten Vorstellungsgespräch