Von Holger Hartwig*
„Wenn Du nicht mehr weiter weist, dann gründe einen Arbeitskreis“ – dieses Sprichwort kennt jeder. Aus dem beruflichen Alltag wird so manch einer bestätigen, dass die Zahl der Sitzungen und Gespräche in den vergangenen Jahren eher mehr als weniger geworden sind. Ganz zu schweigen von den Talkshows im Fernsehen, wo sich die „Experten“ über den richtigen Weg unterhalten.
Es ist in Mode, dass durch Beteiligung der unterschiedlichsten Fachleute nach der besten Lösung gesucht wird. Beste Lösung? Oder doch eher der geringstmögliche Konsens, auf den sich alle Beteiligten verständigen können?
Genau diese „Konsenskultur“ ist es, die dafür sorgt, dass es viel zu lange bis zu einer Entscheidung dauert und am Ende meist ein Kompromiss steht, der alle Interessen zu berücksichtigen versucht.
Geht es auch anders? Ja. Wenn klar ist, wer welche Kompetenzen hat und wer was zu entscheiden hat. Dazu zwei Beispiele: Der Autofahrer hat die Kompetenz, sein Auto zu fahren. Wenn es nicht mehr fährt, dann bringt er es in die Werkstatt. Was passiert dort? Er übergibt das Auto an den Kfz-Fachmann und gibt seine Erkenntnisse, die er beim Fahren gewonnen hat, weiter. Der Kfz-Fachmann verschafft sich mit seiner Kompetenz einen Überblick, berücksichtigt dabei die Informationen des Fahrers, und entscheidet, was zu tun ist. Stellen sie sich einmal vor, Fahrer und Fachmann würden am Auto diskutieren, was zu tun ist?
Zweites Beispiel: Sie gehen mit Schmerzen zum Zahnarzt. Sie sind in dem Moment der Experte für das Beschreiben des Schmerzes. Sie schildern dem Arzt ihre Erkenntnisse, der Arzt hört zu, schaut mit einer Expertise nach und entscheidet, wie er den Patienten behandelt. Dann schreibt er die Art der Behandlung auf und seine Fachkraft in der Buchhaltung nimmt mit ihren Kenntnissen die Abrechnung mit der Krankenkasse oder dem Privatpatienten aufgrund geltender Gebührenordnungen vor. Stellen Sie sich hier vor, dass der Patient mit dem Arzt über die Behandlung diskutiert oder der Arzt mit der Buchhalterin über die Art der Abrechnung? Was meinen Sie, was dabei herauskommt? Ein gesunder Patient und eine schnell bezahlte Rechnung?
Die beiden Beispiele verdeutlichen, dass im Miteinander wichtig ist, sich der jeweiligen Kompetenzen bewusst zu sein. Wenn das Miteinander funktioniert, dann muss nicht in großen Debattierrunden das Wort geschwungen werden. Auf Basis der jeweiligen Kompetenz und Entscheidungsbefugnis kommen zügig die besten Ergebnisse heraus. In der systemischen Lehre gibt es dafür einen Begriff: die Anschlussfähigkeit. Dieser Begriff besagt, dass es wichtig ist, dass jeder Mensch seine Aufgabe so ausfüllt und verdeutlicht, dass die nächste „Instanz“ im gegenseitigen Vertrauen die Infos aufnimmt und mit der dann erforderlichen Kompetenz weiter agiert.
Was dabei herauskommt, wenn nicht so gehandelt wird, zeigt sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Politik. Nehmen wir die Corona-Pandemie. Da wurden Virologen zu Politikern und Politiker zu Virologen. Dabei wäre es so einfach gewesen, wenn die Virologen ihre fachliche Expertise abgegeben hätten, die der Politiker dann mit seinen Fachleuten in den Ministerien (z.B. Gesundheit und Wirtschaft oder unzähligen Beratern) abstimmt und dann zur Entscheidung an die Kanzlerin oder den Kanzler gibt, der mit seiner Macht dann das letzte Wort hat. Genau dafür ist er ja der Kanzler – und trägt am Ende auch die gesamte Verantwortung, wenn etwas in die falsche Richtung läuft.
Durch eigenes Handeln für den Lebenspartner, die Kinder oder den Kollegen die Anschlussfähigkeit zu schaffen, ist in nahezu allen Lebenssituationen eine wichtige Grundlage, damit das Zusammenspiel funktioniert. Wichtigste Basis ist dabei vor allem eines: Vertrauen. Vertrauen darauf, dass jeder mit der Kompetenz, die er hat, den besten Weg als Ziel hat.
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.