Die Freude beim Gang zum Briefkasten

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Mitte der 1990er Jahre ist in Leer immer von einem Filetgrundstück auf der Nesse die Rede. Das Problem: Die etwa vier Hektar große Fläche wird von der Firma Connemann nicht mehr als Fabrik für Spanplatten genutzt und „gammelt“ vor sich hin. Die Stimmung in der Stadt zu dem Thema ist „gereizt“, weil fast niemand versteht, wieso die Familie Connemann für ein Grundstück, das sie nicht mehr nutzt, von der Stadt eine Millionensumme haben möchte, um es für eine neue Nutzung freizugeben. Nichts genaues weiß man. Hintergrund soll ein Erbbaurechtsvertrag sein, der Connemann für vergleichsweise kleines Geld noch viele Jahre die Nutzung des Geländes zugesteht. Darüber öffentlich reden dürfen weder der Stadtdirektor noch der Bürgermeister und die Firma Connemann hält sich verständlicherweise bedeckt.. Die Lage ist schwierig, zumal die Stadt Leer auch finanziell nicht auf Rosen gebettet ist. Die Emotionen zu dem Thema nehmen zu…

Also lautet die Frage: Wie komme ich an Hintergrundinformationen? Wie gelingt es, Einsicht in das (private) Vertragswerk zwischen der Stadt und Connemann zu kommen? Wie kann der Weg aussehen, dass das Filetstück zurück in die Hände der Stadt kommt und alle zufrieden sind? Einige Wochen bin ich aktiv. Viele Gespräche, viele Anfragen – immer mit dem Hinweis, dass ich mit den Infos umzugehen wisse und dass es am besten sei, dass der- oder diejenige mir erst gar nicht zu erkennen gibt, von wem die Verträge – heute würde man sagen „geleakt“ wurden. Damit die Informanten auf der sicheren Seite sind, sage ich immer: Ich wohne mitten in der Stadt im Ostersteg. Da ist ein großer Briefkasten. Einfach das „Material“ einwerfen ohne Absender. Der Rest ist dann mein Job…

Eines Tages führt der Gang zum Briefkasten dann zu einem großem Freudenschrei. Da sind sind – alle Verträge zu dem Grundstück vom ersten Tag an in Kopie. Mit den Details wird es möglich sein, alle Hintergründe aufzeigen und deutlich zu machen, dass die Geldforderung der Familie Connemann ihre Berechtigung hat. Es folgt viel Zeit der Analyse – auch mit der Frage, wie denn eine Kommentierung aussehen könnte. Denn eines haben die vergangenen Monate auch gezeigt: Die Gespräche zwischen Verwaltung, Politik und Unternehmerfamilie waren dem Vernehmen nach nicht ganz frei von – sagen wir mal so – emotionalen Belastungen. Und es stellte sich die Frage, woher denn ggf. das Geld für die Auflösung des bis 2036 geltenden Vertrages kommen sollte…

Es liegt also nahe, dass vielleicht ein ortsansässige Bank bzw. dessen Chef eine Schlüsselrolle als Moderator bzw. Türöffner spielen könnte. Nun weiß ein Redakteur, dass das, was er in einem Kommentar fordert, meist aus Prinzip anschließend nicht so gemacht wird. Also was nun? Ich entscheide mich, im Vorfeld der Berichterstattung den Kontakt zum Chef der Sparkasse, Egmont Schieffer, herzustellen. Ich berichte ihm vertraulich kurz von den Recherchen und von der Überlegung, einen neutralen Banker als Moderator der Gespräche zwischen Stadt und Connemann vorzuschlagen. Er hört mir zu – und widerspricht meinen Überlegungen nicht. Inwieweit es dazu kommen könnte – man weiß es nicht. Auf jeden Fall ist die Entscheidung für mich gefallen: Ich werde sehr detailliert berichten und auch entsprechend kommentieren, dass der Weg zur Neubebauung des Connemannschen Nessegeländes nur geht, wenn die Familie eine berechtigte Millionenentschädigung für eine vorzeitige Vertragsauflösung bekommt.

Was dann ab dem Sonntag, an dem der Bericht erscheint, wo und wie an Reaktionen passiert ist – das kann ich nur vermuten. Fest steht: In der Stadt wächst das Verständnis und die Bereitschaft, für die Vertragsauflösung Millionen zu zahlen. Fest steht auch, dass die Sparkasse an der einen oder anderen Stelle „mit im Spiel“ ist, so wird mir damals in den nächsten Wochen und Monaten berichtet. Und fest steht auch: Es dauert noch bis zum September 1998, bis die Flächen am Handelshafen an die Stadt Leer rückübertragen werden und bis 2001 heftig über diverse städtebauliche Planungsvarianten diskutiert wird. Am Ende steht ein Masterplan, der durch einen  städtische Eigenbetrieb namens Leeraner Entwicklungs- und Erschließungs-Betrieb“ (LEEB) Stück für Stück bis zum heutigen Tag realisiert wird.

Ja und fest steht auch: Bis heute hat niemand herausfinden können, wie die Vertragswerke in meine Hände gekommen sind und der anfängliche Groll über die „undichte“ Stelle rund um das Rathaus hat sich zügig gelegt. Wie viele andere Leeranerinnen und Leeraner freue ich mich, wenn ich heute durch den „Nessestadtteil“ bummle und habe Respekt vor allen, die dieses Projekt forcierten und Widerstände aus dem Weg räumten. Und ich freue mich, dass meine durchaus aufwändige Recherche vor mehr als 25 Jahren einen kleinen Teil dazu beitragen konnte.


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