DIE KOLUMNE – Bringt Wallhecken-Bauland Leeraner Politik in Wallung?

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In wenigen Wochen ist es drei Jahre her, dass der Leeraner Stadtrat neu gewählt wurde. Seitdem hat sich viel verändert. Ratssitzungen dauern nur noch etwas mehr als eine Viertelstunde. Internas kommen nur selten zu früh an die Öffentlichkeit. Selbst bei Personalien wie der Besetzung des Bauratspostens mit Jens Lüning ist nichts nach draußen „durchgesteckt“ worden. Fast drei Jahrzehnte war das komplett anders. Politische Debatten und personelle Streitigkeiten wurden fast täglich zu Markte getragen. Es krachte, dass sich die Balken im ehrwürdigen Rathaus gebogen haben. Und heute? So richtig heftig diskutiert wird in den öffentlichen Ausschüssen nur noch selten – sicherlich auch, weil die Verwaltung mit sachlichen Vorlagen und intensiver Vorarbeit meist die Weichen bereits stellt. Es ist ruhig, sehr ruhig – oder gar zu ruhig? Nun könnte es mal wieder zu einer herzhaften Diskussion kommen. Thema im Stadtentwicklungsausschuss ist ein neues Baugebiet mit interessanter politischer Vergangenheit und in brisanter Lage. Ein Leeraner Traditionsunternehmen, das sich mit Grund- und Bodenverhältnissen bestens auskennt, möchte in der Logaer Wallheckenlandschaft aus acht Hektar Weideland zwischen Mettjeweg und Weidenweg Bauland machen.

Warum wird es brisant?

Aus mehreren Gründen.

Grund 1: 2020 hat die Stadt Leer selbst die Initiative ergriffen und wollte – so wurde damals berichtet – in diesem Gebiet selbst Bauland schaffen. Auch zwei Jahrzehnte zurück hatte eine örtliche Bank den gleichen Ansatz. Das Problem war vor vier Jahren, dass die Stadt nur etwa zwei Hektar der Fläche im Eigentum hatte. Verhandlungen über den Kauf der beplanten weiteren acht Hektar scheiterten. Seinerzeit waren auf der Fläche 150 Wohnungen in Ein- und Mehrfamilienhäusern angedacht. Der Plan verschwand dann in einem der Aktenschränke im Rathaus. Jetzt will die Leeraner Firma den „Profit“ mit dem neuen Bauland machen.

Wallhecken-Verein nicht informiert

Grund 2: Seit mehr als 20 Jahren gibt es die Schutzgemeinschaft Wallhecken, die sich für den Erhalt der historischen Landschaft mit den Wallhecken einsetzt. Jede neu bebaute Fläche – und mag noch so viele Rücksicht auf die Wallhecken genommen werden durch Abstandsstreifen bei der Bebauung – schwächt den historischen Charakter des Landstrichs und hat Einfluss auf Flora und Fauna. Der Verein ist in die aktuellen Überlegungen bisher nicht eingebunden worden. Ob das bewusst passiert, ist nicht zu belegen. Auf jeden Fall könnten auch Aspekte, dass auf der Fläche einst ein wertvolles Biotop war, und wie die Auswirkungen der Bebauung auf das Landschaftsbild wären, in der Debatte „untergehen“.

Schlechte Erschließung

Grund 3: Das Gebiet, das beplant wird, ist schlecht erschlossen. Bei den umliegenden Straßen handelt es sich um ausgebaute Landwirtschaftswege, die bereits jetzt mit vielen An- und Abfahrten belastet sind.

Eine neue Strategie ohne Wert?

Grund 4 – und der könnte im Fokus stehen: Die Zeiten und Herangehensweisen an die Stadtentwicklung haben sich seit 2020 massiv geändert. Während über Jahrzehnte die Stadt Leer (fast) bedingungslos an den Rändern mit Einfamilienhausbebauung wuchs und ein Baugebiet nach dem nächsten erschlossen wurde, ist politisch die Richtung heute grundsätzlich eine andere. Es geht um Fragen der Innenstadtaktivierung, der Neubelebung von vorhandener Wohnsiedlungen bei Generationswechsel der Eigentümer, und vor allem auch um Klima- und Infrastrukturaspekte. Auch ist immer mehr im Fokus, dass naturverbundene Flächen bundesweit nicht mehr versiegelt werden sollen, um den Flächenbedarf zu reduzieren.

Zudem – das könnte als Grund 5 zu nennen sein – hat die Stadt Leer nach vielen Jahren der Erfolglosigkeit und keinen Grundstücksangeboten selbst ein Gebiet Richtung Eisinghausen in der Planung, das mit Bebauung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeit energetisch und infrastrukturell der neuen Zeit gemäß gestaltet werden soll. Auch wenn aktuell – das wissen alle – die Nachfrage nach Grundstücken gen Null tendiert und bereits vorhandene Bauflächen nach Häuslebauern suchen, denen Zinsen und Baukosten nicht zu hoch sind.

Fest steht: Sollte die Leeraner Politik diese Flächenplanung ohne eine umfassende Debatte mehrheitlich „durchwinken“, wäre das angesichts der Vorgeschichte dieser Fläche und vor allem der Grundausrichtung Leers seit 2021 sowie wegen der politischen „Großwetterlage“ mit Klimaschutz doch sehr überraschend. Spekulationen, warum das so sein könnte, würden damit Tür und Tor geöffnet.

Unabhängig von der Entscheidung der Politik – es gibt immer ein Für und Wider für einzelne Grundstücke, solange es keine komplette Neufassung des Flächennutzungsplanes für die gesamte Stadt gibt – wird die Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses gut besucht sein. Am selben Tag hat die Schutzgemeinschaft Wallhecken ihre Jahreshauptversammlung und die Vereinsmitglieder wird es interessieren, was wer wie zu dem Thema zu sagen hat. Hoffentlich gibt es dann eine sachliche Debatte. Denn: Zuviel Harmonie in der Politik schadet auf Dauer auch.

Holger HartwigDIE KOLUMNE – Bringt Wallhecken-Bauland Leeraner Politik in Wallung?