DIE KOLUMNE: Das traurige Ende der „Runden Tische“ in Leer

Artikel teilen

 Es ist eines der Themen, mit denen Politiker im gesamten Land immer wieder die Hoffnung verbinden, dass sie bei den Menschen wieder mehr Interesse und letztlich Akzeptanz für die Entwicklung der Kommune, der Region oder im gesamten Land finden, ist die Bürgerbeteiligung. Sie muss herhalten, wenn es um den Kampf gegen Politikverdrossenheit geht. Die Formate sind seit mehr als zwei Jahrzehnten sehr unterschiedlich. In guter Erinnerung an die Wende in der DDR werden sie gerne „Runde Tische“ genannt. In Leer wird die Ära der „Runden Tische“ nach fast einem Vierteljahrhundert zu Ende gehen.

Die „Runden Tische“ der Politik und Verwaltungen erweckten zu gerne den Eindruck, dass Bürger mitentscheiden können. Die Realität sieht meist anders aus. Es wird viel geredet, doch am Ende greifen die Mechanismen, die den Kommunen durch die Gesetze, beispielsweise bei Bauthemen, vorgegeben sind. Es bleiben Politik und Verwaltung, die die Richtung vorgeben. In der Ledastadt hat es den ersten „Runden Tisch“ im September 2001 gegeben. Es ging um die Sanierung der „Sozialen Ost-Stadt“. Ost-Stadt war ein Begriff, den zuvor niemand kannte. Was die Stunde geschlagen hatte, war den Anwohner aber gleich klar. Sie befürchteten, dass sie trotz Fördergeldern aus Hannover und Berlin am Ende kräftig zur Kasse gebeten werden. Ein voller Saal im Hermann-Lange-Haus war ebenso selbstverständlich wie laute Dispute und teilweise Beschimpfungen. Erst als die finanziellen Fragen nach Jahren geklärt waren, wurde es ruhiger – und es kamen immer weniger Interessierte. Bereits damals wurde deutlich: Bürgerbeteiligung funktioniert, wenn die persönliche Betroffenheit groß ist oder es ans eigene Portemonnaie geht.

Nun ist das bei Gott keine besondere Erkenntnis, die in Leer – und anderswo – regelmäßig gewonnen wird. Gleichwohl ist das Wissen um die Verhaltensweisen der Bürger keineswegs ein Grund, (fast nutzlosen) personellen und finanziellen Aufwand, den die Verwaltung betreibt, umgehend zu beenden. Nein, in Leer wurde mit dem Konzept des „Runden Tisch“ plus der zusätzlichen Sanierungskommission für das „Sanierungsgebiet West-Stadt“ ab 2016 gleich weitergemacht. Schließlich ist doch Bürgerbeteiligung ein hohes Gut.

Nun, acht Jahre später im September 2024, wird der Schlussstrich gezogen. Der Stadtentwicklungsausschuss und der Rat der Stadt sollen den „Runden Tisch“ beerdigen. Die Zahl der Teilnehmenden lag bei „ca. 15 bis 20“. Dass mit Blick auf den einen oder anderen Termin noch hochgegriffen. Stattdessen waren wohl Termine zu Einzelmaßnahmen wie Spielplatzgestaltung oder Straßenausbau mehr gefragt. Zitat aus der Darstellung der Verwaltung, auch wenn die mathematisch etwas komisch ist: „Durchschnittlich 20 – 60 Anlieger“ haben teilgenommen. Wen wundert´s.

Ist mit dem Ende des so gern geforderten modernen Gesprächsformate nun die Entrechtung der Bürger verbunden? Mitnichten, zumal es in der Weststadt noch das Sanierungsbüro und das Haus Hermann als Anlaufstelle gibt. Es wird nun wieder „business as usual“ in Verwaltung und Politik gemacht. „Optimierung der Bürgerbeteiligung“ lautet die Überschrift der Vorlage für den zu fassenden Beschluss. Erfordert die Niedersächsische Gemeindeordnung oder das entsprechende Baurecht eine Bürgerbeteiligung oder -information, dann wird es Termine oder das Auslegen von Plänen geben. Wenn dann die Beratung im Fachausschuss ansteht, gibt es eine Einwohnerfragestunde zu den behandelten Themen. Sollte das alles einmal nicht ausreichen, wird sich ein Politiker, eine Partei oder eine Bürgerbewegung finden, die rechtzeitig zum Diskutieren einlädt. Fazit: Trotz der guten Assoziationen, die der Begriff „Runder Tisch“ weckt – wirklich vermissen wird in Leer dieses Format, dass zudem nie wirklich an einem runden Tisch stattfand, niemand.

Fotos: Paul Hartwig

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Das traurige Ende der „Runden Tische“ in Leer