„Auf einen Tee mit …“ – Heute Paul Bloem, Leiter der Außenstelle des Weissen Ring in Leer
WEENER Seit einigen Jahren war die Außenstelle des Weissen Ring in Leer vakant. Als sich der Rheiderländer Paul Bloem etwa vor zwei Jahren für eine Mitarbeit in der Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und zur -prävention entschied, dauerte er nicht lange, bis der 65-Jährige gefragt wurde, ob er die ehrenamtliche Leitung und den Wiederaufbau der Anlaufstelle für den Kreis Leer übernehmen möchte. In unserer Rubrik spricht Bloem, der zuvor über 48 Jahre in verschiedenen Funktionen auf der Meyer Werft gearbeitet, über den starken Anstieg an Hilfsanfragen durch Opfer, die Zusammenarbeit mit der Polizei, die Bedeutung des Datenschutzes und was er als Politiker als erstes im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung und der Justiz ändern würde.
Leiter der Außenstelle des Weissen Ring bin ich geworden, weil …
… weil ich mich für die Arbeit in der Opferhilfe grundsätzlich interessiert habe, ich dann die erforderlichen Weiterbildungen in den Strukturen unserer Organisation gemacht habe und schlichtweg, weil man mich gefragt hat, ob ich die Aufgabe, die in manchen Wochen bis zu 20 Stunden umfassen kann, übernehmen möchte.
Der „Einsatz“ bei der Opferhilfe, der mich bisher am meisten bewegt hat, war…
Das ist schwer zu sagen, da jedes Opfer eine bewegende Geschichte berichten kann. Ich berate bei häuslicher Gewalt, Stalking, Hatespeech oder sexualisierter Gewalt. Ganz präsent und belastend sind Verbrechen gegen Kinder. In Erinnerung ist mir sicherlich das Gespräch mit den Eltern geblieben, dessen Kind durch ein Tötungsdelikt sein Leben verloren hatte.
Mit den Beratungsfällen persönlich zu Recht zu kommen, ist…
… wichtig. Ich halte mich daran fest, dass ich durch meine Unterstützung den Opfern helfen und ich dann immer erleben darf, wie dankbar die Menschen für unsere Begleitung sind. Ich bin ein durch und durch positiver Mensch und schaue immer nach vorne. Meine intakte Familie hilft mir dabei, ohne diesen Rückhalt wäre es sicherlich schwieriger für mich
Die Zahl der Anfragen nach Unterstützung in der Außenstelle Leer …
… steigt sehr stark an. Es nehmen vor allem die Fälle mit häuslicher Gewalt und Stalking zu, weniger die Zahl der Betrugsversuche. Die Taten ziehen sich durch alle Generationen und alle nationalen Hintergründe durch, bei den jüngeren Generationen gibt es tendenziell mehr Cybermobbing und Hating. Seit wir in Leer wieder vor Ort sind, hatten wir als Weisser Ring insgesamt etwa 70 Anfragen.
Zu der Arbeit der Kriminalprävention gehört es, dass …
… wir neben der unmittelbaren Opferarbeit viele Informations- und Coachingangebote machen. Wir sind zwischenzeitlich zu Dritt unterwegs und wollen gerne noch mehr darüber informieren, wo es wichtig ist, aufmerksamer zu sein. Wir könnten viel mehr machen, weil es die Nachfrage gibt, aber dafür benötigen wir mehr ehrenamtliche Helferinnen und Helfer.
Die Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei ist…
… hervorragend. Wenn ich bei Zusammenkünften innerhalb unserer Organisation berichte, wie wir in Leer Hand in Hand agieren, dann sind einige neidisch. Das klappt bei weitem nicht überall so gut.
Unser Jahresthema „Digitale Gewalt – Reale Folgen“ soll …
… ersten Auswüchsen, die wir immer stärker in Form von Hatespeech, Postings und Stalking erleben, entgegenwirken. Die Zahl der steigenden Fälle in diesem Bereich macht deutlich, dass das Jahresmotto gut gewählt ist.
Datenschutz ist beim Weissen Ring …
… elementar. Es ist beispielsweise sehr schwierig, den Mandanten klarzumachen, dass wir aus Gründen der Datensicherheit nicht mit Messenger-Diensten arbeiten. Die Sicherheit steht ganz oben, deshalb wird bei uns auch noch viel mit Papier, per Hand ausfüllen und Durchschlägen gearbeitet. Benutzen.
Plattdeutsch ist bei meiner Tätigkeit…
… vorteilhaft, aber ich habe es bisher noch nicht benötigt. Wichtiger ist sicherlich, dass ich in der Region eine Reputation aus meinem Berufsleben habe. Das erleichtert die Akzeptanz und die Möglichkeiten der Tätigkeit für den Weissen Ring.
Wer sich bei uns engagieren will, der sollte …
… bei mir melden. Wir werden dann Gespräche führen und wer tätig werden will, der muss einige Voraussetzungen mitbringen. Zudem bekommt er Rüstzeug, um mit den Schicksalen, mit denen er zu tun haben wird, gut zurechtkommen zu können. In der Opferhilfe zu arbeiten, ist ein anspruchsvolles Ehrenamt. Es ist eine innere Haltung und eine innere Stabilität erforderlich.
Die größte Herausforderung für den Weissen Ring ist…
… mehr geeignete Menschen zu finden, die sich der steigenden Zahl an Fällen stellt. Auf uns wird in den kommenden Jahren eher mehr als weniger Arbeit zukommen, wenn ich beispielsweise an die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz und die damit verbundenen, keinesfalls nur redlichen Möglichkeiten denke.
Wenn ich Politiker wäre, dann würde ich als erstes …
… ganz konkret ein Gesetz beschließen, dass wie in Spanien bei Fällen häuslicher oder sexualisierte Gewalt Fußfesseln oder Hausarrest oder zwingende Tätertherapien festlegt. Wir sind da in Deutschland manches Mal etwas zu stolz, dass wir nicht von den Besten lernen, wie es gehen kann. Darüber hinaus müsste sofort etwas gegen die personelle Unterbesetzung bei der Polizei und in der Justiz unternehmen. Dort arbeiten viele am Rande des Burnouts und die Verfahren dauern viel zu lange. Die Opfer müssen mit den Folgen einer Tat sofort und oft ein Leben lang zurechtkommen. Sie verlieren durch die quälende Bürokratie den Glauben an den Rechtsstaat. Sie möchten nicht ewig warten, bis sie wissen, ob und welche Konsequenzen es für die Täter gibt. Für unsere Arbeit gilt: Wir versuchen den Fokus nach vorne zu richten. Die Strafverfolgung ist nicht unser Thema, aber wir erleben es in den Gesprächen immer wieder, wie sehr die Opfer dieses Thema beschäftigt.
Mein Lebensmotto ist…
Darüber habe ich mir so nie Gedanken gemacht. Mir gefällt das Leben, wie es ist und es gibt nichts Besseres, als positiv eingestellt zu sein.
Als Camper unterwegs zu sein…
… ist eine Freude. Es ist für mich gelebte Freiheit. Camper gehen ungezwungen miteinander um. Ich genieße jede Tour.
Wenn ich an meine Zeit auf der Meyer Werft denke, dann…
… ist das eine sehr schöne Zeit meines Lebens. Ich habe dort mit 15 als Schiffbau-Lehrling angefangen. Es hat mir über 48 Jahre viel Spaß gemacht, auf und für die der Wert zu arbeiten.
Wenn ich die aktuellen Schlagzeilen über die Papenburger Werft lese, dann…
… blutet mir das Herz und ich muss viel an den Seniorchef Bernard Meyer denken. Dabei blutet mir das Herz. Auch wenn ich durch die Distanz sicherlich nicht alles mehr beurteilen kann, weiß ich eines: Er hat sein gesamtes Leben alles für diese Wert und die Mitarbeiter getan. Die Art und Weise, wie in den vergangenen Monaten mit ihm persönlich umgegangen wurde, befremdet mich. Ich habe die gesamte deutsche Werftgeschichte in meinen Berufsleben unmittelbar erlebt. Die meisten Werften sind Geschichte. Bernard Meyer war hingegen auch und insbesondere in schweren Zeiten immer mutig. In den tiefsten Krisen wurden viel Geld investiert und Entscheidungen gegen den Trend getroffen. Wenn dieser Mann nicht so agiert hätte, dann würde es die Werft so nicht geben. Ich verstehe nicht, warum man die Werft so kaputt redet. Es gibt einen gewichtigen Unterschied zu anderen Krisenbaustellen: Die Meyer Werft hat keinen Auftragsmangel in den nächsten Jahren. Das unterscheidet sie von anderen Werften der Geschichte. Wenn in einer solchen Situation von Managementfehlern geredet wird, blendet man diese Realität offenbar gerne aus. Zudem wäre die Lage heute meiner Ansicht ohne die Folgen der Pandemie und die steigenden Preise durch den Krieg in der Ukraine eine vollkommen andere.
Ich habe das letzte Mal gelogen, als…
… (lacht) als meine Enkelkinder etwas mit mir machen wollten, wozu ich keine Lust hatte. Ich halte es mit Mark Twain: „Wer lügt, der sollte ein sehr gutes Gedächtnis haben.“ Das soll bei zunehmendem Alter ja weniger werden. Ich bin nicht mehr der Jüngste…
Meinen letzten Strafzettel habe ich kassiert für…
… zu schnelles Fahren in Leer. Mit dem Fahrrad musste ich anschließend aber nicht unterwegs sein.
Ich kann mich so richtig aufregen über…
… Gleichgültigkeit, Dummheit und – Entschuldigung für die Ausdrucksweise – „Lahmarschigkeit“ im Denken und Handeln.
Ich kann mich so richtig freuen über, …
… die Momente mit meiner Familie und wenn wir mit der Diakonie im Rheiderland, die ich als Vorsitzender des Vorstandes begleite im Vorstand unterstütze, etwas schaffen, was das Leben der älteren Menschen angenehm macht.
Mein größter Fehler ist, dass …
… nicht Nein sagen kann zu können.
Wenn ich einen Tag lang in meinen Leben ein anderer sein könnte, dann wäre ich gerne…
… einmal ein Skipper ganz allein mit einem Segelboot kleinen Boot auf dem Wasser rund um die Insel Borkum unterwegs. Ich liebe Wasser, Wind und Wellen. Leider habe ich als Seekajakfahrer aber nicht die Fähigkeiten, um allein zu segeln.
Wenn ich drei Wünsche frei habe, dann…
… mehr Sensibilität im Umgang mit Opfern von Straftaten, mehr Respekt im Umgang mit Andersdenkenden in der Gesellschaft weniger Hass und Wut und insgesamt wieder mehr Zuversicht im Denken statt Riesenwolken der Katastrophenerwartung.
Paul Bloem, Leiter der Außenstelle des Weissen Ring in Leer.
Foto: privat